GastbeitragSanierung

Insolvenzantragspflicht – die unklare Rechtslage

Der Gesetzgeber hat die Insolvenzantragspflicht gelockert. Das soll Unternehmen aufgrund der aktuell wirtschaftlich schwierigen Lage etwas Spielraum schaffen. Es ergibt sich jedoch eine rechtliche Unsicherheit, die zu erheblichen Risiken führen kann.

Insolvenzantragspflicht – die unklare Rechtslage

Insolvenzantragspflicht – die unklare Rechtslage

Temporäre Lockerung schafft Risiken für Unternehmen – Unsicherheit über Prognosezeitraum – Frühzeitiges Agieren angeraten

Von Sven Schelo und Michael Rickert *)

Mit der Stellung eines Insolvenzantrags gehen bedeutende wirtschaftliche und rechtliche Konsequenzen einher. Dies gilt sowohl für die fristgemäße Antragsstellung als auch für einen verspäteten oder unter Umständen gänzlich unterlassenen Insolvenzantrag. Es können sich straf- und weitreichende haftungsrechtliche Folgen anschließen. Deswegen ist es für Unternehmen und Geschäftsleitung essenziell, dass sie einen präzisen Rechtsrahmen vorfinden, aus dem sich die genauen Pflichten und Fristen für die Stellung eines Insolvenzantrags zweifelsfrei ergeben. Bei Zahlungsunfähigkeit muss ein Insolvenzantrag binnen maximal drei Wochen gestellt werden. Die maximale Antragsfrist wegen Überschuldung hat der Gesetzgeber derzeit von sechs auf acht Wochen verlängert. Gleichzeitig wurde der Prognosezeitraum für die sogenannte Fortführungsprognose von zwölf auf vier Monate gesenkt. Die Regelungen für den Prognosezeitraum und die Antragsfrist wegen Überschuldung sind bis zum 31.12.2023 befristet. Ab dem 1.1.2024 sollen wieder die ursprünglichen Fristen (zwölf Monate bzw. sechs Wochen) gelten.

Entgegenkommen

Mit dieser temporären Lockerung möchte der Gesetzgeber den Unternehmen aufgrund der aktuell wirtschaftlich schwierigen Lage etwas Spielraum und gesetzgeberisches Entgegenkommen gewähren. Aus der Befristung und dem automatischen Umschwenken von dem verkürzten Prognosezeitraum zu dem regulären zwölfmonatigen Prognosezeitraum ergibt sich für die Unternehmen jedoch eine rechtliche Unsicherheit, die zu erheblichen Risiken führen kann. Die Regelungen sind nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Für eine positive Fortführungsprognose muss ein Unternehmen in die Zukunft schauen und in dem vorgegebenen Zeitraum – nach eigener Einschätzung – alle fällig werdenden Verbindlichkeiten zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt mit der dann verfügbaren Liquidität mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (mehr als 50%) befriedigen können. Ist diese Prognose positiv, muss das Unternehmen trotz bestehender Überschuldung und der eigentlichen Insolvenzantragspflicht keinen Antrag stellen.

Wie unterschiedlich die Befristung des vier-Monatszeitraums ausgelegt werden kann, soll folgendes Beispiel illustrieren. Ein Unternehmen erstellt Anfang August 2023 seine Fortführungsprognose. Hierfür muss es die zu diesem Zeitpunkt geltenden vier Monate in die Zukunft schauen und prüfen, ob es von einschließlich August bis Ende November, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durchfinanziert ist. Unklar ist indes welchen Prognosezeitraum das Unternehmen zu Grunde legen muss, wenn es seine Fortführungsprognose Anfang November 2023 aufstellt. Auch in diesem Fall könnten noch die vier Monate Prognosezeitraum relevant sein, weil die Befristung bis Ende Dezember 2023 gilt. Alle vor Jahresende 2023 aufgestellten Prognosen müssten sich demnach auf einen vier-Monatszeitraum erstrecken. Wird die Prognose Anfang November 2023 erstellt, dauert der Prognosezeitraum von einschließlich November bis Ende Februar 2024.

Erheblicher Unterschied

Doch so einfach ist die Lage nicht. Man könnte die Befristung bis Ende Dezember 2023 auch dahingehend verstehen, dass dann lediglich der viermonatige Prognosezeitraum endet. Wenn dieser dann noch nicht voll ausgeschöpft ist, müssen die verbleibenden Monate mit der Dauer des dann geltenden Prognosezeitraums aufgefüllt werden. Für das Beispiel mit der Anfang November beginnenden Prognose bedeutet dies, dass bis Ende Dezember zwei Monate verstrichen sind; ab Januar 2024 gilt der zwölfmonatige Prognosezeitraum wieder, das heißt um auf insgesamt zwölf Monate Prognosedauer zu gelangen, müssen noch zehn Monate im neuen Jahr hinzuaddiert werden. Die Prognose würde also bis Ende Oktober 2024 dauern. Ein erheblicher Unterschied im Vergleich zu der ersten Auslegungsmethode.

Die Frage ist also wie mit Prognosen umzugehen ist, die im Jahr 2023 anfangen und deren viermonatige Prognosedauer über den Jahreswechsel hinaus reicht. Gilt hier die viermonatige Prognosedauer, die zu Beginn der Prognoseerstellung einschlägig ist, oder ist die zwölfmonatige Prognosedauer relevant, die zum Ende der Prognosedauer gilt?

Relevanz nicht zu unterschätzen

Die praktische Relevanz dieser Frage ist nicht zu unterschätzen. Man muss sich nur vergegenwärtigen, dass bei der ersten Auslegungsmöglichkeit (Prognosebeginn relevant) die Prognose lediglich bis Ende Februar 2024 erstellt werden muss, während bei der zweiten Auslegungsmöglichkeit (Prognoseende relevant) die Prognose bis Ende Oktober 2024 erstellt werden muss. Je nachdem wie es um die Fälligkeit in dem Zeitfenster von Februar bis Oktober 2024 bestellt ist, muss das Unternehmen unter Umständen bereits im November 2023 einen Insolvenzantrag stellen. Vom Gesetzeswortlaut und dem Gesetzeszweck her liegt es näher, auf den zu Prognosebeginn geltenden Prognosezeitraum abzustellen. Der einschlägige Gesetzeswortlaut des § 4 Abs. 2 Nr. 1 Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (SanInsKG) besagt, dass in dem Zeitraum vom 9.11.2022 bis einschließlich 31.12.2023 an die Stelle des zwölfmonatigen Prognosezeitraums im Sinne des § 19 Abs. 2 S.1 Insolvenzordnung ein Prognosezeitraum von vier Monaten tritt. Der viermonatige Prognosezeitraum endet demnach am 31.12.2023. Dies kann mit gutem Gewissen dahingehend verstanden werden, dass der Gesetzgeber für alle Prognosen, die vor dem 31.12.2023 erstellt werden, die vier-Monatsfrist zu Grunde gelegt haben möchte.

Entlastung beabsichtigt

Selbst falls dieses Verständnis mit Zweifel behaftet sein sollte, kann der Gesetzeszweck diese Zweifel beseitigen. Der Gesetzgeber wollte mit der Interimslösung zum verkürzten Prognosezeitraum die Unternehmen entlasten. Die Unternehmen sollen durch die Regelung privilegiert werden. Es widerspricht dem Gesetzeszweck, die Prognosefrist vor ihrem eigentlichen Ende durch eine andere Gesetzesauslegung zu verlängern und damit den Unternehmen das Privileg vorzeitig zu entziehen. Gleichwohl scheint der Gesetzgeber mit der Befristung zum Jahresende eine Befristung bis Ende August 2023 verfolgt zu haben. In der Gesetzesbegründung zum relevanten § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG steht, dass die befristeten Regelungen auch bereits vor ihrem offiziellen Ende am 31.12.2023 teilweise an Bedeutung und praktischer Relevanz verloren haben können.

Etwas konkreter ist die vom Bundesjustizministerium veröffentlichte Pressemitteilung zum SanInsKG, wonach der bis Ende 2023 befristete Prognosezeitraum bereits ab dem 1.9.2023 wieder zwölf Monate betragen könne. Gesetzesbegründung und Pressemitteilung ergeben insoweit nur Sinn, wenn der Gesetzestext mit der Befristung nicht auf die zu Prognosebeginn geltende Prognosedauer abstellen wollte, sondern den 31.12.2023 als hartes Fristende vor Auge hatte. Dies würde bedeuten, dass ab dem 1.9.2023 wieder der zwölf-Monatszeitraum zur Anwendung käme, obwohl gemäß SanInsKG die Lockerungen der Überschuldungsprüfung noch bis zum 31.12.2023 fortgelten. Ein eigentlich widersinniges Ergebnis angesichts des Wortlautes und des Gesetzeszwecks.

In der Verantwortung

Leider lässt sich nicht mit der für die Insolvenzantragspflichten erforderlichen Gewissheit sagen, welcher Prognosezeitraum nunmehr vom Gesetzgeber gewollt ist. Die Geschäftsleitung wird im Zweifel wohl den risikoärmeren Weg wählen. Allerdings kann die Geschäftsleitung unter Umständen nicht nur für die verspätete, sondern auch für die verfrühte Antragstellung zur Verantwortung gezogen werden und haftbar sein. Sie auf den Ausgang einer gerichtlichen Klärung dieser Rechtsfrage zu verweisen, dürfte insbesondere in präventiven Beratungssituationen für wenig Akzeptanz des nicht eindeutig formulierten Gesetzes sorgen.

Dies gilt umso mehr, weil es das Phänomen des befristeten Prognosezeitraums bereits zu Zeiten der Finanz- und Bankenkrise im Jahr 2010 gegeben hat und diese Rechtsfrage bereits damals diskutiert wurde. Soweit ersichtlich, gab es seiner Zeit aber keine obergerichtliche Klärung, wie mit der Befristung umzugehen ist. Dies mag nicht zuletzt daran liegen, dass für eine Geschäftsleiterhaftung – sei es wegen verfrühter oder verspäteter Antragstellung – Verschulden erforderlich ist.

Wenn die relevanten Gesetze aber keinen klaren Rechtsrahmen vorgeben, wird man der Geschäftsleitung nicht ohne Weiteres ein solches Verschulden zur Last legen können. Vor allem aber bieten solche Situationen dann eben doch den gebotenen Anlass für die Geschäftsleitung, die relevanten Stakeholder frühzeitig anzusprechen und um Risikoabschirmung oder Sanierungsbeiträge zu ersuchen. Frühzeitiges Agieren ist in Krisensituation definitiv in allseitigem Interesse. Insofern lässt sich selbst einer unklaren Rechtslage auch etwas Positives abgewinnen.

Dr. Sven Schelo und Dr. Michael Rickert sind Rechtsanwälte im Bereich Restrukturierung und Insolvenz bei Linklaters.

*) Dr. Sven Schelo und Dr. Michael Rickert sind Rechtsanwälte im Bereich Restrukturierung und Insolvenz bei Linklaters.

*) Dr. Sven Schelo und Dr. Michael Rickert sind Rechtsanwälte im Bereich Restrukturierung und Insolvenz bei Linklaters.
BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.