Lassen sich Lieferverträge einfach kündigen?
Von Vanessa Pickenpack und Patrick Vapore*)
Die Rohstoff- und Energiepreise schnellen durch den Krieg in der Ukraine weiter in die Höhe. Nahezu alle Branchen sind von den Preisexplosionen betroffen. Sie werden zur erheblichen Belastung für Lieferketten. Viele Lieferanten sind nicht ausreichend durch Preisanpassungsklauseln gegen die Risiken abgesichert. Sie müssen fürchten, dass ihre Gewinne sinken oder durch die plötzlich viel höheren Kosten aufgefressen werden.
Gerade langlebige Lieferverpflichtungen drohen zum wirtschaftlichen Verlustgeschäft zu werden. Wie kann das Risiko jetzt schnellstmöglich eingedämmt werden? Bei allem Kostendruck ist sorgfältige Abwägung geboten, um Schadenersatzrisiken zu vermeiden.
Lieferanten kann ein gesetzliches Preisanpassungsrecht zustehen, bei Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Anpassung sogar ein fristloses Kündigungsrecht. Die Hürden dafür sind aber hoch: Es müssen schwerwiegende Veränderungen von Umständen vorliegen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind. Außerdem muss einer Partei die Vertragserfüllung unzumutbar sein – unter Berücksichtigung aller dafür relevanten Umstände.
In der Regel gilt die Vorstellung von der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung als Geschäftsgrundlage gegenseitiger Verträge. Wenn sich aus dem Vertrag allerdings ergibt, dass bestimmte Umstände in den Risikobereich nur einer Partei fallen sollen, gilt das nicht. Festpreisabreden begründen üblicherweise eine solche Risikoübernahme. Hier trägt der Lieferant das Beschaffungsrisiko und damit auch das Risiko von Preisschwankungen. Der Lieferant bleibt deshalb normalerweise bei erheblich gestiegenen Beschaffungs- oder Herstellungspreisen an den Vertrag gebunden (pacta sunt servanda).
Ausnahmen können gelten, wenn Leistung und Gegenleistung deutlich auseinanderklaffen. Davon ist aber erst bei Äquivalenzverschiebungen ab 50% oder mehr auszugehen. Die Preiserhöhungen müssen sich außerdem absehbar längerfristig einpegeln. Ein Anpassungsanspruch oder Kündigungsrecht besteht aber selbst dann nur bei langfristigen Lieferverpflichtungen.
Ist die Geschäftsgrundlage nicht gestört, wird dem Lieferanten nur die ordentliche Kündigung bleiben. Die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung sind dann meist ebenfalls nicht erfüllt. Denn es muss einen wichtigen Grund geben, der die weitere Vertragserfüllung unzumutbar macht – unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände und Abwägung der beiderseitigen Interessen.
Ist eine ordentliche Kündigung vertraglich weder geregelt noch ausgeschlossen, zum Beispiel durch Festlaufzeitvereinbarungen, kann sie unter Einhaltung einer angemessenen Frist ausgesprochen werden. Wenig greifbare Anhaltspunkte gibt es für die Bemessung der ordentlichen Kündigungsfristen. Sie ist unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen und des Vertragszwecks zu ermitteln. Orientierungspunkt können branchenübliche Vertragslaufzeiten und Kündigungsfristen sein.
Die Hürden für eine Preisanpassung und Vertragsbeendigung sind hoch, wenn im Vertrag keine klaren Handlungsmöglichkeiten geregelt sind. Hinzu kommt, dass die Voraussetzungen stark wertungsabhängig sind und keine trennscharfe Bewertung erlauben. Dies birgt vor allem für den Lieferanten deutliche Risiken: Hat er kein Kündigungsrecht und stellt er seine Leistungen trotzdem ein, ist er seinem Vertragspartner zum Schadenersatz verpflichtet. Dasselbe gilt, wenn der Lieferant bei bestehendem Kündigungsrecht eine zu kurze Frist setzt.
Der Schadenersatz umfasst üblicherweise die Produktionsausfälle des Abnehmers. Dazu gehört vor allem der entgangene Gewinn. Auch Mehrkosten, die dem Abnehmer durch Ersatzkäufe bei einem anderen Lieferanten entstehen, müssen ersetzt werden.
Mit Blick auf die allgemein angespannte Marktlage und den geringen Verhandlungsspielraum eines auf Alternativen angewiesenen Abnehmers werden diese enorm sein. Eine vorschnelle Kündigung kann allein dadurch zur Milchmädchenrechnung werden. Lieferanten müssen dann schnell mit Schäden in Millionenhöhe rechnen.
Verhandlungslösungen
Vertragspartner sollten für bestehende Verträge Verhandlungslösungen finden, um derartige Risiken und langwierige Auseinandersetzungen mit weiter gehenden Kosten zu vermeiden. Das liegt auch im Interesse des Abnehmers, der im Zweifel seine eigenen Lieferpflichten einhalten muss. Der Abnehmer wird die Kosten der Verzögerung oder des Ausfalls zunächst selbst stemmen müssen, bis die Rechtsstreitigkeiten mit seinem Lieferanten abgeschlossen sind.
Für Lieferverträge sind deshalb klare vertragliche Vereinbarungen das A und O. Preisanpassungsklauseln federn Kostenschwankungen wirtschaftlich zuverlässig ab. Auch können Kündigungsrechte mit konkreten Fristen Festpreisvereinbarungen zumindest zeitlich eingrenzen.
*) Dr. Vanessa Pickenpack ist Partnerin von Oppenhoff in Köln und Patrick Vapore Rechtsanwalt in der Kanzlei.