GastbeitragEnergieversorgung

Lehren für den Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur

Das LNG-Beschleunigungsgesetz kann nicht als einfach zu übertragende Blaupause für den Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur dienen. Denn die Ausgangssituationen sind sehr unterschiedlich.

Lehren für den Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur

Lehren für den Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur

LNG-Beschleunigungsgesetz kann nicht als Blaupause dienen – Ausgangslage unterschiedlich – Gesetzentwurf in entscheidenden Punkten zu zaghaft

Von Michael Schramm *)

Schon in seiner „Zeitenwende-Rede“, gehalten vor dem Deutschen Bundestag unmittelbar nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, hat Bundeskanzler Olaf Scholz den Aufbau einer Import-Infrastruktur für Flüssigerdgas (Liquified Natural Gas, LNG) zur nationalen Aufgabe erklärt. Aus gutem Grund: Der stetige Strom von Pipeline-Erdgas aus Russland, der die deutsche Industrie und die Haushalte bislang zuverlässig mit bezahlbarer Energie versorgte, versiegte zunächst schrittweise, dann abrupt. In der deutschen Energiebilanz klaffte nach Berechnungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ein Loch von über 30 Mrd. Kubikmetern Erdgas. Der Gaspreis schoss in die Höhe und die Bundesnetzagentur entwickelte Rationierungspläne.

Im prominent ausgerufenen „neuen Deutschlandtempo“ stemmten sich Bundesregierung, Gesetzgeber, Genehmigungsbehörden und Vorhabenträger gegen die Krise: Es wurde mit dem LNG-Beschleunigungsgesetz die rechtliche Grundlage für beschleunigte Genehmigungsverfahren geschaffen, ohne die Anforderungen an Umweltschutz und Sicherheit abzusenken. Nur wenige Monaten später gingen in Wilhelmshaven und Lubmin Deutschlands erste LNG-Terminals an den Start. Der befürchtete Worst Case blieb im milden Winter 2022/2023 aus.

Fünf Terminals

Seitdem ist der Aufbau der LNG-Infrastruktur vorangeschritten. Mittlerweile sind fünf Terminals und zahlreiche Verbindungsleitungen in Betrieb. Dass die Genehmigungsbehörden dabei die Sorgfalt nicht der Geschwindigkeit geopfert haben, bestätigen mittlerweile über ein Dutzend Entscheidungen des erst- und letztinstanzlich zuständigen Bundesverwaltungsgerichts. Bislang hat das Gericht sämtliche Klagen und Eilanträge gegen LNG-Vorhaben abgelehnt, zuletzt am 7. Juni 2024 in vier Eilverfahren gegen das LNG-Terminal auf Rügen. Die Versorgungskrise ist noch nicht ausgestanden. Das BMWK hält die „Alarmstufe“ nach dem Notfallplan Gas weiterhin aufrecht.

Die volkswirtschaftlich und geopolitisch verhängnisvolle Abhängigkeit der Energieversorgung von Putins Russland scheint jedoch überwunden. Die Gasmärkte haben sich beruhigt, nicht zuletzt dank des stetigen Imports von LNG. Die EU nimmt nunmehr auch russisches Erdgas ins Visier der Sanktionen, um so eine der wichtigsten Einnahmequellen Russlands empfindlich zu treffen. Bislang erschien der Kollateralschaden für die europäischen Volkswirtschaften unvertretbar.

Energieträger Wasserstoff

Ein im Vergleich zu den LNG-Vorhaben weitaus größeres und ambitionierteres Projekt der Bundesregierung steht indes noch in den Startlöchern: der Aufbau einer Infrastruktur für die Herstellung, den Import und den Transport von (idealerweise „Grünem“) Wasserstoff. Auch dies eine Ankündigung vom Februar 2022.

Nach der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung soll Wasserstoff mittelfristig Erdgas als Energieträger insbesondere in der Industrie ablösen. Um den erwarteten Bedarf von bis zu 130 Terrawattstunden im Jahr 2030 zu decken, müssen eilig Elektrolyseure, Importterminals und Transportleitungen geplant, genehmigt und realisiert werden. Da liegt es nahe, an die Erfahrungen aus den erfolgreichen LNG-Projekten anzuknüpfen.

Einige bekannte Instrumente

So finden sich in dem am 29. Mai 2024 von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines Wasserstoffbeschleunigungsgesetzes (WasserstoffBG) einige bekannte Instrumente wieder. Dazu zählen die gesetzliche Feststellung eines überragenden öffentlichen Interesses, verkürzte Einwendungsfristen, Konzentration des Rechtsschutzes sowie die sofortige Vollziehbarkeit von Zulassungsentscheidungen.

Als einfach zu übertragende Blaupause kann das LNG-Beschleunigungsgesetz dennoch nicht dienen, zu unterschiedlich sind die Ausgangssituationen: Das LNG-Beschleunigungsgesetz erfasst eine überschaubare Zahl von einzeln im Gesetz ausgewiesenen Vorhaben. Der Aufbau einer bundesweiten Wasserstoff-Infrastruktur kann mit einem solchen enumerativen Ansatz nicht gelingen. Dementsprechend wird das WasserstoffBG seinen Anwendungsbereich in allgemeinen Kategorien von priorisierten Vorhaben beschreiben (Elektrolyseure, Speicheranlagen, Importterminals, „Ammoniak-Cracker“ usw.).

Verfahrenserleichterungen sinnvoll

Hinzu kommt eine weitere Lehre aus den LNG-Projekten: Die politische Priorisierung und der Personaleinsatz in den Behörden tragen mindestens so entscheidend zur Beschleunigung bei wie die gesetzlichen Modifikationen der Genehmigungsverfahren. Eine vergleichbare Bündelung von Ressourcen ist bei den zahlreichen Wasserstoff-Projekten von vornherein ausgeschlossen. Es werden überdies nicht alle Länder und Genehmigungsbehörden uneingeschränkt von den Plänen der Bundesregierung überzeugt sein und diese mit vollem Elan vorantreiben.

Was ist also vor dem Hintergrund der LNG-Erfahrung vom Entwurf des WasserstoffBG zu halten? Die bewährten Verfahrenserleichterungen, ergänzt um eine Prise Digitalisierung, sind sinnvoll und zu begrüßen. In entscheidenden Punkten wirkt der Entwurf jedoch angesichts der großen Ambitionen und damit verbundenen Herausforderungen zu zaghaft. Dazu drei Thesen:

Befreiung für Elektrolyseure

Erstens: Abbau von Genehmigungserfordernissen. Die Kapazitäten der Genehmigungsbehörden würden weniger strapaziert, wenn insbesondere Elektrolyseure im signifikanten Umfang von Genehmigungserfordernissen befreit würden. Dies ist bislang nur für Anlagen mit einer Kapazität von unter fünf Megawatt vorgesehen; solche Kleinstanlagen werden allerdings kaum signifikant zum Ziel einer heimischen Elektrolysekapazität von mindestens 10 Gigawatt im Jahr 2030 beitragen können. Elektrolyseure sind sauber und vergleichsweise geräuscharm.

Zudem ist eine starke Standardisierung beim Anlagendesign zu erwarten. Insofern scheint in vielen Fällen eine Anzeige des Vorhabens mit eigenverantwortlicher Planung und Errichtung ausreichend. Ebenso dürfte eine zeitaufwändige Umweltverträglichkeitsprüfung in aller Regel verzichtbar sein.

Genehmigungsfiktion

Zweitens: Belastbare Verfahrensdauer. Für immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren werden bald verbindliche Fristen für die Prüfung von Antragsunterlagen und die Entscheidung über einen Antrag gelten. Das WasserstoffBG soll solche Bearbeitungshöchstfristen auch für sonstige Zulassungsverfahren festsetzen, insbesondere für wasserrechtliche Erlaubnisse. Indes: Fristen ohne ernstzunehmende Rechtsfolgen sind wenig wert.

Lässt die überlastete Genehmigungsbehörde die gesetzlichen Fristen verstreichen, hat dies in aller Regel für sie keine Konsequenzen – umso mehr aber für den Vorhabenträger, der seine Projektfinanzierung und sonstige Planung am gesetzlichen Beschleunigungsversprechen ausgerichtet hat. Verwaltungsgerichtliche Klagen werden dem Vorhabenträger die benötigte Genehmigung nicht schneller verschaffen und Entschädigungsansprüche haben im notorisch restriktiven deutschen Staatshaftungsrecht kaum Aussicht auf Erfolg.

Die Bearbeitungsfristen sollten daher mit einer Genehmigungsfiktion verbunden werden: Entscheidet die Behörde nicht im vorgesehenen Zeitrahmen, so gilt die begehrte Genehmigung als erteilt. Auch über pauschalierte und einfach durzusetzende Entschädigungsansprüche bei verzögerten Zulassungsentscheidungen wird man nachdenken dürfen.

Beschleunigungswirkung

Drittens: Vorzeitiger Betrieb. Das deutsche Immissionsschutzrecht ermöglicht bislang in vielen Fällen – so auch in einigen LNG-Verfahren – die vorläufige Errichtung und Erprobung von Anlagen noch während des Genehmigungsverfahrens, nicht aber einen vorzeitigen (Regel-)Betrieb. Daran soll bislang auch das WasserstoffBG nichts ändern. Das ist bedauerlich, denn ein vorzeitiger Betrieb könnte eine erhebliche Beschleunigungswirkung entfalten – vorausgesetzt, dass mit der Erteilung der Genehmigung zu rechnen ist und vom vorzeitigen Betrieb keine irreversiblen Schäden ausgehen. Der Vorhabenträger handelt insoweit auf eigenes Risiko.

Nicht getraut

Vorbilder gäbe es: Bei einer erheblichen Gasmangellage ermöglicht das Bundes-Immissionsschutzgesetz bereits den vorläufigen Betrieb. Für wasserrechtliche Erlaubnisse besteht diese Möglichkeit ohnehin. Warum also kein vorläufiger Betrieb für einen beschleunigten Wasserstoffhochlauf im überragenden öffentlichen Interesse? Das Europarecht gewährt insoweit jedenfalls mehr Flexibilität als zuweilen angenommen wird. So zeichnet sich der Entwurf des WasserstoffBG durch wertvolle Ansätze aus. Insgesamt fühlt man sich jedoch an Karl Valentin erinnert: Mögen hätt‘ ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut.

    *) Dr. Michael Schramm ist Partner von Hengeler Mueller in Düsseldorf. Hengeler Mueller berät die Deutsche ReGas zu ihrem LNG-Terminal im Hafen Mukran (Rügen) und vertritt sie in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

    Dr. Michael Schramm

    Partner von Hengeler Mueller in Düsseldorf. Hengeler Mueller berät die Deutsche ReGas zu ihrem LNG-Terminal im Hafen Mukran (Rügen) und vertritt sie in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.