GastbeitragHauptversammlungen

Mehr Aktionärsrechte und nicht weniger stärken den Börsenplatz Deutschland

Die diskutierte Reform des Beschlussmängelrechts soll der Hauptversammlung neues Leben einhauchen. Für solch einen Schritt müsste aber ein Ausgleich geschaffen werden, etwa durch Einführung direkter Organhaftungsansprüche.

Mehr Aktionärsrechte und nicht weniger stärken den Börsenplatz Deutschland

Mehr Aktionärsrechte und nicht weniger stärken den Börsenplatz Deutschland

Direkte Organhaftung und starke Aufsicht als Ausgleich für Reform des Anfechtungsrechts

Von Marc Tüngler *)

Als Investorenvertreter beobachtet man das Abschmelzen der Anlegerrechte in den vergangenen zehn bis 20 Jahren mit großer Sorge. Ob nun das (virtuelle) Format der Hauptversammlung, die Rechte der Aktionäre im Rahmen einer Restrukturierung gemäß StaRUG (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz), die doch recht einseitige Interessenabwägung im Rahmen eines Freigabeverfahrens oder der immer stärkere Verweis auf das Spruchverfahren zulasten des Anfechtungsrechts: Man erkennt eine klare Tendenz zu einer verwaltungs- und damit unternehmensfreundlichen Gesetzgebung.

Der klassische Reflex der Industrie

Zugleich ist man dann aber sowohl in Berlin wie auch auf der Unternehmensseite besorgt, dass immer weniger Unternehmen den Weg an die Börse suchen oder aber, wenn überhaupt mal ein Börsengang angedacht wird, dieser nicht in Deutschland, sondern in den USA oder in Nordeuropa stattfindet.

Der klassische Reflex der Industrie sieht so aus, dass ein noch weiteres Abschmelzen der rechtlichen Vorgaben und ein noch stärkeres Absenken der Anlegerrechte gefordert wird. Insbesondere Kontrollrechte der Minderheiten werden als vermeintliche Bremse gesehen.

Virtuelle Hauptversammlungen

Ganz aktuell flammt die Diskussion um die Zukunft der Anlegerrechte – insbesondere rund um die Hauptversammlung – wieder stark auf. Ausgangspunkt dafür war und ist die Einführung der virtuellen Hauptversammlung und die dadurch ausgelösten massiven Änderungen in der Praxis. Nunmehr ist es jedoch nicht mehr das Format der Hauptversammlung, sondern das Beschlussmängelrecht, das einer Reform unterzogen werden soll. Die Idee dahinter: Ohne ein reformiertes Beschlussmängelrecht kann der Hauptversammlung hierzulande kein (neues) Leben eingehaucht werden. Insofern sieht man den Grund für arg formalistische, sterile und oft inhaltsleere Antworten vor allem im deutschen Beschlussmängelrecht und nicht in der Art und Weise, wie wenig respektvoll Vorstände und Aufsichtsräte teilweise den Aktionären entgegentreten.

Blick ins Ausland

Das Problem aus Sicht der Anleger ist dabei grundsätzlicher Natur. Die Frage nach der Zukunft des Beschlussmängelrechts hierzulande wird oftmals mit einem Blick ins Ausland beantwortet. Dort existiert ein Beschlussmängelrecht, wie wir es hier in Deutschland kennen, schlichtweg nicht. Allerdings entlarvt sich dieser Blick ins Ausland schnell auch als schlichtes Cherry Picking.

Sicherlich ist das Beschlussmängelrecht in den Niederlanden, in Großbritannien oder auch in den USA nicht so feinmaschig und streng ausgestaltet wie hierzulande. Teilweise existiert es gar nicht. Dafür aber wirken dort andere Mechanismen, die eine effiziente Kontrolle durch die Aktionäre möglich machen und zugleich stark präventiv wirken. Oftmals gibt es direkte Ansprüche der Aktionäre gegen die Organe. In den USA existiert mit der SEC eine starke Aufsichtsbehörde mit schmerzhaften Durchgriffsrechten.

Gleichgewicht im jeweiligen System

Hier in Deutschland ist es das Beschlussmängelrecht, das im System an erster Stelle für eine Kontrolle der Aktionäre und für Prävention sorgt. Nimmt man den Aktionären das Beschlussmängelrecht in seiner jetzigen Form, obwohl wir keine starke Aufsichtsbehörde in Deutschland haben und keine direkten Ansprüche gegen die Organe hierzulande im Aktiengesetz sehen, könnte das gesamte System in ein Ungleichgewicht geraten. Das wiederum wird zu weiteren Nachteilen des Finanz- und Börsenstandortes Deutschland führen.

Vertrauen durch Kontrolle

Letztendlich muss man sich die ehrliche Frage stellen, wie es sein kann, dass Unternehmen in den USA an die Börse gehen, obwohl dort das Haftungsregime klar ausgestaltet ist, dort strenge(re) Regeln gelten und dort eine starke Aufsichtsbehörde agiert. Die Antwort liegt auf der Hand: Aufgrund einer durchgreifenden Aufsichtsbehörde, des engmaschigen Regelwerks und eines klaren Haftungsregimes können Anleger stärker auf das System und auf die Verlässlichkeit der Berichterstattung der Unternehmen vertrauen.

Dieses Vertrauen führt in der Folge zu einer deutlich höheren Bereitschaft, in Unternehmen zu investieren. Dies wiederum ermöglicht höhere Bewertungen und damit einen attraktiveren Kapitalmarkt. Im Umkehrschluss bedeuten niederschwelligere Kontrollrechte damit weniger Vertrauen und eben niedrigere Bewertungen, wie wir sie hierzulande und in Europa sehen.

Gesamtschau ist entscheidend

Ein Blick auf mögliche Anpassungen sollte also auch immer vor dem Hintergrund der Gesamtsysteme im Bereich der Kontrolle und des Enforcements erfolgen. Verändern wir einen Baustein im System, schwächen wir es damit möglichweise insgesamt, sofern nicht ein Ausgleich geschaffen wird. Ein solcher Ausgleich könnte hierzulande durch die Einführung direkter Organhaftungsansprüche herbeigeführt werden. Ein entsprechender Gesetzesentwurf dafür liegt bereits seit 20 Jahren in Berlin in der Schublade. Vielleicht ist es an der Zeit, diese Schublade wieder zu öffnen.

*) Marc Tüngler ist Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).

Marc Tüngler

Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW)