GastbeitragSchiedsgerichte

Mehr Krisen – mehr Konfliktpotenzial

Schiedsgerichte bewähren sich in Zeiten geopolitischer Instabilität. Auch die Energiewende verändert die internationale Streitlandschaft.

Mehr Krisen – mehr Konfliktpotenzial

Mehr Krisen – mehr Konfliktpotenzial  

Schiedsgerichte bewähren sich in Zeiten geopolitischer Instabilität  – Energiewende verändert internationale Streitlandschaft

Von Boris Kasolowsky und Carsten Wendler *)

Auch dieses Jahr hat die Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer erneut die Top-Trends in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit beleuchtet. Dabei setzt sich die dynamische Entwicklung der schiedsgerichtlichen Streitbeilegung der vergangenen Jahre weiter fort. Zahlreiche disruptive Ereignisse haben die Entwicklung beschleunigt und für eine Erweiterung des Anwendungsbereichs für Schiedsverfahren gesorgt. Die Schiedsgerichtsbarkeit hat sich insofern erneut als die effizienteste Art der Streitbeilegung im grenzüberschreitenden Umfeld bewährt.

Die Top-Trends werden von mehreren übergeordneten Themen bestimmt. Geopolitische und wirtschaftliche Instabilität ist ein Katalysator für Streitigkeiten in vielen Sektoren, vor allem wenn ehrgeizige Zielsetzungen in den Bereichen Technologie, Energiewende und Klimaschutz hinzutreten.

Hohe Dynamik

Die Energiewende hat einen entscheidenden Einfluss auf die dynamische Veränderung der internationalen Streitlandschaft.

Zum einen nehmen nun klimabezogene Klagen eine Vielzahl unterschiedlicher Gestalten an, diese reichen von Schadenersatzklagen gegen geplante immissionsintensive Projekte über persönliche Haftungsansprüche gegen Geschäftsführer bis hin zu Klagen gegen Regulierungsbehörden oder Regierungen. Die Bandbreite solcher Ansprüche hat zugenommen und umfasst auch Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dem Internationalen Strafgerichtshof sowie UN-Gremien oder OECD-Verfahren.

Solche Klagen setzen Staaten unter Druck, weitere Reformen zur Bekämpfung der globalen Erwärmung umzusetzen. Diese Änderungen können sich in der Folge wiederum auf ausländische Investoren auswirken und Anlass für Investor-Staat-Schiedsverfahren bieten.

Zum anderen wird die von der Energiewende beförderte steigende Nachfrage nach besonderen Wertstoffen (z.B. Lithium, Kobalt, seltene Erden) zunehmend politische, ökologische und soziale Herausforderungen mit sich bringen. So haben sich die Investitionen für die zur Herstellung von Batterien und Elektromobilität erforderlichen Wertstoffe in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Mit der steigenden Nachfrage wachsen aber auch die Herausforderungen, sodass sich das Konfliktpotenzial immens erhöht. Daher ist mit einer verstärkten staatlichen Kontrolle beim Abbau aber auch bei der Ausfuhr wichtiger Rohstoffe zu rechnen.

ESG-Risiken

Zudem birgt der Abbau kritischer Rohstoffe erhebliche Risiken aus ESG-Perspektive, insbesondere im Zusammenhang mit möglichen ökologischen und sozialen Auswirkungen solcher Projekte. Es ist davon auszugehen, dass Bergbauprojekte vielerorts zunehmend auf den Widerstand von Gemeinden stoßen, wenn die (Über-)nutzung natürlicher Ressourcen wie Wasser, der Verlust von Artenvielfalt und die mögliche Vertreibung der lokalen Bevölkerung zu befürchten stehen. Dieses steigende Konfliktpotential wird in der Regel durch Schiedsverfahren (einschließlich Investor-Staat-Schiedsverfahren) beizulegen sein.

Hinzu kommen von der Energiewende forcierte Stilllegungen von fossilen Kraftwerken- und Anlagen. Der mit der Stilllegung einhergehende Abbau der Anlagen ist mit komplexen ökologischen, rechtlichen, finanziellen, sozialen und logistischen Herausforderungen verbunden. Eine Welle von Streitigkeiten zu den bau- und umweltrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit diesen Stilllegungen scheint unvermeidlich.

Schiedsgerichtsbarkeit in Krisenzeiten

So wurde die Schiedsgerichtsbarkeit im letzten Jahr auf ihre Tauglichkeit als Streitbeilegungsform in Krisenzeiten unter den Prüfstand gestellt. War es in den letzten Jahren vorrangig die Covid-19-Pandemie, die Anlass zu Streitigkeiten gab, haben sich die Krisen nun schlagartig vermehrt. In 2024 sind deshalb mehr Streitigkeiten zu erwarten im Zusammenhang mit geopolitischen Krisen, der globalen Erwärmung, wirtschaftlichen und politischen Unruhen und den Maßnahmen, die die Staaten als Reaktion darauf ergreifen.

Insbesondere der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, aber auch die derzeitige Krise im Nahen Osten inklusive der Huthi Attacken im Roten Meer haben zu weiteren Unsicherheiten und Störungen im internationalen Handel geführt. Vertragliche Streitigkeiten über die Frage, wer für die etwaigen Schäden und erhöhten Kosten aufkommen muss, zeichnen sich ab. Diese Auseinandersetzungen werden vor internationalen Schiedsgerichten ausgetragen werden.

Die drastische Verschlechterung der Bedingungen für ausländische Investoren in Russland wird westliche Unternehmen ebenfalls vor internationale Schiedsgerichte führen. Ein gangbarer Weg zur Durchsetzung ihrer Rechte sind Investor-Staat-Schiedsverfahren auf Grundlage von bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen Russland und dem „unfreundlichen Staat“, dem das betroffene Unternehmen zugehörig ist. 2024 wird vermehrt über diese Schiedsklagen gegen Russland berichtet werden.

Auch Versicherungen gegen politische Risiken werden in Anspruch genommen werden, denn viele Investoren in Russland dürften in der Vergangenheit derartige Versicherungen abgeschlossen haben. Inwiefern die Versicherer aufgrund der gegen ausländische Investoren gerichteten russischen Maßnahmen gemäß den jeweiligen Policen zahlen müssen, wird oftmals von Schiedsgerichten zu entscheiden sein.

Darüber hinaus entwickelt sich das Spektrum bestehender Sanktionen aufgrund neuer Krisen ständig weiter. Sanktionen und die damit einhergehenden Gegensanktionen wirken sich auf viele Arten von Handelsverträgen aus. Insbesondere wird die Erfüllung derartiger Verträge bei einer Sanktionierung des Vertragspartners oder bei Verhängung von Ausfuhrverboten für bestimmte Waren oder Dienstleistungen erschwert oder sogar unmöglich.

Für die Parteien stellt sich dann die Frage, ob die getroffenen Vertragsabsprachen – überwiegend mittels Schiedsverfahren – dennoch durchgesetzt werden sollen.

Exklusive Zuständigkeiten

Erschwerend ist in diesem Kontext zu berücksichtigen, dass Russland die exklusive Zuständigkeit russischer Gerichte für Streitigkeiten mit sanktionierten russischen Parteien vorsieht. Damit wird es sanktionierten russischen Parteien erlaubt, Schiedsklauseln zu umgehen und ihre westlichen Vertragspartner vor russische Gerichte zu zwingen. Als Reaktion darauf werden viele westliche Unternehmen keine andere Wahl haben, als Schiedsverfahren einzuleiten und zusätzlich Unterstützung vor nicht-russischen Gerichten zu suchen.

Ähnliche Entwicklungen sind in China zu verzeichnen, wo es nun ebenfalls sanktionierten chinesischen Parteien erlaubt ist, Rechtsmittel vor sonst nicht zuständigen chinesischen Gerichten einzulegen. Bislang scheint es in China noch keinen Anstieg an sanktionsbedingten Rechtsstreitigkeiten gegeben zu haben, doch könnte sich dies im Jahr 2024 ändern, sollten die geopolitischen Spannungen weiter anhalten.

Völkerrechtliche Standards

Angesichts der anhaltenden globalen wirtschaftlichen Unsicherheit, Unterbrechungen der Lieferketten und der Spannungen zwischen den großen Wirtschaftsmächten wird das Völkerrecht zunehmend an Bedeutung gewinnen: dies trifft sowohl zu auf Transaktionen, an denen staatliche Unternehmen beteiligt sind, als auch Grenzstreitigkeiten im Zusammenhang mit natürlichen Ressourcen, Menschenrechtsklagen gegen Unternehmen und die Entwicklung von ESG-Standards.

In einigen Rechtsordnungen ist Völkerrecht bereits ein entscheidendes Element für Unternehmen in den Bereichen Compliance und Risikobewertung. So verlangen das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wie auch ein ähnlich gelagertes französische Gesetz, dass Unternehmen Maßnahmen zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden innerhalb ihrer Lieferketten ergreifen.

Völkerrechtliche Standards werden zudem weiter an Bedeutung gewinnen, wenn das vorgeschlagene EU-weite Lieferkettengesetz umgesetzt wird.

Die steigende Relevanz von Völkerrecht erhöht das Konfliktpotenzial. Mögliche Verletzungen von völkerrechtlichen Verpflichtungen entlang der Lieferkette führen aufgrund der signifikanten Auswirkungen unausweichlich zu Streitigkeiten – oftmals Schiedsverfahren – im vertraglichen Innenverhältnis. Darüber hinaus werden von Grenzstreitigkeiten betroffene Unternehmen (z.B. bei Beeinträchtigung von Konzessionen) vermehrt Schutz vor Investor-Staat-Schiedsgerichten suchen.

*) Dr. Boris Kasolowsky und Dr. Carsten Wendler sind Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer.

Dr. Boris Kasolowsky und Dr. Carsten Wendler sind Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer.

*) Dr. Boris Kasolowsky und Dr. Carsten Wendler sind Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer.