Umsatzsteuerliche Organschaft ist konform mit EU-Recht
Umsatzsteuerliche Organschaft
ist konform mit EU-Recht
Finanz-, Versicherungs- und Immobilienunternehmen können aufatmen
Von Jörg F. Kurzenberger und Matthias Body *)
Aufatmen in der Finanz-, Versicherungs- und Immobilienwelt. Bis zuletzt musste mit einem Knall gerechnet werden. Schließlich war der Bundesfinanzhof (BFH) sehr skeptisch in seiner Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und rechnete für den deutschen Staatssäckel bereits mit Milliardenverlusten. Doch dieses Schreckensszenario und erst recht die Überlegung, welch immenser Schaden für Unternehmen eintreten würde, ist nun obsolet. Denn der EuGH entschied, dass die Umsatzsteuerorganschaft EU-rechtskonform ist. Auch weitere nicht zum (vollen) Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer wie Krankenhäuser, gemeinnützige und öffentlich-rechtliche Einrichtungen dürften erleichtert sein.
Wirtschaftliche Vorteile
Mit einer umsatzsteuerlichen Organschaft werden mehrere Unternehmer (z.B. Kapitalgesellschaften oder Personengesellschaften) zu einem einzigen Unternehmen zusammengefasst. Der einzige Steuerpflichtige dieser Organschaft ist der sog. Organträger. Das kann einerseits Verwaltungsaufwand einsparen, weil nur der Organträger Umsatzsteuererklärungen für den gesamten Organkreis abgeben muss. Andererseits kann die umsatzsteuerliche Organschaft aber auch handfeste Steuervorteile bieten.
Endverbraucher soll besteuert werden
Erbringt ein Unternehmer steuerpflichtige Lieferungen oder Dienstleistungen, muss er seinem Kunden grundsätzlich Umsatzsteuer in Rechnung stellen. Ist der Kunde ein anderer Unternehmer, kann er die in den Rechnungen ausgewiesene und an den Lieferanten gezahlte Umsatzsteuer normalerweise als Vorsteuer vom Finanzamt zurückverlangen. Dadurch ist er mit der Umsatzsteuer nicht wirtschaftlich belastet. Schließlich soll nur der Konsum durch den privaten Endverbraucher besteuert werden.
Anders ist das aber, wenn der Unternehmer die eingekauften Gegenstände oder Dienstleistungen vorsteuerschädlich verwendet. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn er die Gegenstände oder Dienstleistungen zur Erbringung von steuerfreien Versicherungs-, Vermietungs- oder Finanzumsätzen einkauft. Die Vorsteuer kann der Unternehmer dann nicht geltend machen. Er wird als privater Endverbraucher behandelt und ist mit der Umsatzsteuer endgültig belastet.
Dieses ungünstige Ergebnis lässt sich bei verbundenen Unternehmen mit der Organschaft vermeiden. Wenn man den leistenden Unternehmer und den Leistungsempfänger in einer Organschaft zusammenfasst, fällt für Umsätze innerhalb einer Organschaft (Innenumsätze) keine Umsatzsteuer an.
Auf dem europarechtlichen Prüfstand
Aber genau diese Beurteilung von Innenumsätzen stand aktuell auf dem Prüfstand. Die hitzige Debatte in der Fachwelt wurde von den Ausführungen der Generalanwältin am EuGH befeuert, wonach Umsätze innerhalb der Organschaft der Umsatzsteuer unterliegen sollen. Wenn sie recht behalten hätte, wäre die Organschaft zu einer bloßen Deklarationsvereinfachung verkommen und als Gestaltungsinstrument ausgefallen. Massive wirtschaftliche Schäden für Staat und Unternehmen drohten.
Zweite Vorlage
Der BFH sah sich deshalb gezwungen, die Frage dem EuGH zur Prüfung vorzulegen. Das war – und das ist äußerst ungewöhnlich – schon die zweite Vorlage im selben Verfahren. Dabei neigte der BFH noch dazu, die unerfreuliche Rechtsauffassung der Generalanwältin zu teilen. Der EuGH hat dem mit seiner Entscheidung vom 11. Juli 2024 nun aber eine klare Absage erteilt: Innenumsätze unterliegen nicht der Umsatzsteuer!
Auf der Kippe
Die umsatzsteuerliche Organschaft stand kurz zuvor – nämlich mit der ersten Vorlage in diesem Verfahren – noch unter einem anderen Aspekt auf der Kippe. Denn der BFH bekam Zweifel daran, ob es richtig ist, dass man in Deutschland den Organträger als einzigen Steuerpflichtigen bestimmt. Deshalb wurde befürchtet, dass Organträger die von ihnen abgeführte Umsatzsteuer mit der Begründung zurückverlangen, dass sie nicht Steuerschuldner sind. Die Mehrwertsteuergruppe wäre aber als Steuerpflichtiger ausgefallen, weil das deutsche Recht ein solches Gebilde nicht kennt. Das wäre zwar für betroffene Unternehmer erfreulich gewesen. Für den Staatshaushalt drohten allerdings erhebliche Umsatzsteuerausfälle – allein für das Jahr 2018 über 23 Mrd. Euro. Aber auch insoweit hat der EuGH mit Urteilen vom 1. Dezember 2022 Entwarnung gegeben. Es ist unionsrechtskonform, dass der Organträger der einzige Steuerpflichtige ist.
Es bleiben Fragen
Damit endet ein spannendes Kapitel um die umsatzsteuerliche Organschaft. Aber es sind noch viele Fragen offen. Das gilt vor allem auch für die Voraussetzungen, unter denen rechtssicher von einer Organschaft ausgegangen werden kann. Sind diese erfüllt, treten die Rechtsfolgen der Organschaft ein, auch wenn dies nicht erkannt wird. Umgekehrt gilt das genauso. Auch deshalb gab es in Deutschland in der Vergangenheit Bestrebungen, die Organschaft von einem Antrag der Steuerpflichtigen oder einer Bewilligung des Finanzamtes abhängig zu machen. Es wäre wünschenswert, wenn diese Bemühungen nicht nur wieder aufgenommen, sondern auch umgesetzt würden. Dann wäre die Organschaft endlich das, was sie verdient: ein rechtssicheres Gestaltungsmodell.
*) Dr. Jörg Kurzenberger ist Steuerberater und Partner, Matthias Body ist Rechtsanwalt und Steuerberater bei der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg.