Kryptowährungen

Verwerfungen im Kryptomarkt und Flanken im juristischen System

Kryptounternehmen bringen immer mehr Marktkapitalisierung auf die Waage, agieren bislang aber weitgehend unreguliert. Die EU adressiert das als Problem und versucht, die Zügel enger zu ziehen.

Verwerfungen im Kryptomarkt und Flanken im juristischen System

Von Sven Schelo*)

Die Welt der Kryptowährungen ist vielfältig. Klassische Kryptowährungen wie der Bitcoin schöpfen aus sich selbst heraus einen Wert, begründet durch ihr einzigartiges krypto­grafisches Herstellungsverfahren (Mining). Eine andere Kategorie ist der sogenannte Stablecoin, dessen Wert dagegen an andere stabile Vermögenswerte rückkoppelt, also etwa Staatsanleihen oder Bargeldbestände in Referenzwährungen.

Der Wert des Bitcoins unterliegt – naturgemäß – starken Schwankungen, je nachdem wie hoch das Marktvertrauen in ihn gerade ist. Der Wert von Stablecoins sollte dagegen – wie der Name verspricht – idealerweise gar nicht schwanken, weil sie eben an stabile Werte gekoppelt sind. Dementsprechend garantieren die Herausgeber des größten Stablecoin, Tether, den Käufern auch, dass jede Einheit immer eins zu eins in US-Dollar umgetauscht werden kann. Allerdings schien dieses Versprechen in den vergangenen Tagen kurzzeitig ins Wanken zu geraten, sank doch der Wert einer Tether-Einheit kurz unter den Referenzwert von 1 Dollar. Ein anderes, deutlich kleineres Stablecoin-Unternehmen (Terra USD) stürzte sogar vollständig ab.

Dies wirft ein Schlaglicht auf ein Thema, das Zentralbanken und Regierungen schon seit der (einstweilen) gescheiterten Libra-Einführung umtreibt: Diese Kryptounternehmen agieren derzeit weitgehend unreguliert, haben aber eine stetig wachsende Marktkapitalisierung. Der Kunde eines Stablecoins erwirbt beispielsweise für 1000 Euro entsprechende Einheiten mit dem Versprechen, dass diese jederzeit zurückgetauscht werden können. Das Stablecoin-Unternehmen muss also das eingenommene Bargeld sicher und liquide in stabile Vermögenswerte anlegen, um diesem Versprechen jederzeit nachkommen zu können. Die Struktur ist einer rudimentären Bankbilanz nicht unähnlich. Wer aber kontrolliert, was mit dem eingenommenen Geld tatsächlich passiert und wie es angelegt wird? Was passiert, wenn es Vertrauensverluste gibt oder viele Kunden auf einmal ihre Einheit zurücktauschen wollen?

Manches Unternehmen aus der Branche gibt Details zu seiner Anlagestrategie mit dem Hinweis auf ein „Geheimrezept“ (Secret Sauce) nicht gerne öffentlich preis. Allerdings müsste im Ernstfall das Stablecoin-Unternehmen sehr schnell sehr große Mengen an Assets in den Markt geben, um Liquidität zu generieren, was wiederum bei den entsprechenden Volumina Einfluss auf die Märkte als solche und auf die Finanzstabilität haben könnte. Sind die investierten Assets ihrerseits im Wert gesunken oder verloren, wird eventuell auch das Rückzahlungsversprechen nicht einlösbar sein. Eine Insolvenz wäre dann nicht ausgeschlossen.

Dominoeffekte möglich

Ein solcher Ausfall könnte Dominoeffekte auslösen und zu Vertrauenskrisen auch jenseits des Kryptomarktes führen, zumal die Bilanzsummen der Stablecoin-Unternehmen mittlerweile die 100-Mrd.-Euro-Marke weit überschritten haben. Auch wenn dies manche Marktteilnehmer für übertrieben halten, sind die Anfänge der Finanzkrise noch gut in Erinnerung.

Die EU hat dieses Problem erkannt und ist hier Vorreiter der rechtlichen Entwicklung, denn die derzeitigen Regeln für elektronisches Geld (E-Money) erfassen nicht alle Konstellationen, die es mittlerweile im Markt der Stablecoins und Kryptowährungen gibt. So prüft die EZB zum einen die Einführung einer eigenen digitalen Währung, den digitalen Euro (Central Bank Digital Currency, CDBC). Dieser wäre als gesetzliches Zahlungsmittel über jeden Zweifel erhaben, bringt dafür aber etwaige andere „Nebenwirkungen“. Zum anderen sind die Arbeiten an einem EU-Gesetzesvorhaben zur Regulierung des Kryptomarktes weit fortgeschritten.

Geplant ist eine EU-Verordnung zu Kryptoassetwerten (MiCA), die möglicherweise schon Ende des Jahres verabschiedet wird und dann Mitte 2024 in Kraft treten würde. Als Verordnung ist sie unmittelbar anwendbar, bedarf also keines weiteren Umsetzungsaktes. Sie wäre international eines der ersten Regelwerke, um Kryptounternehmen enger zu beaufsichtigen und Verbraucher besser zu schützen.

Nachbesserungsbedarf

Der Kommissionsentwurf enthält auch Regelungen zu Stablecoin-Unternehmen. Diese müssen, wenn sie in der EU agieren wollen, in der EU ihren Sitz haben. Es muss eine Mindesteigenkapitalquote vorgehalten werden, und die Vermögenswerte müssen sicher und kurzfristig verfügbar investiert werden. Für den Notfall müssen Sanierungspläne vorliegen und ein Plan, wie das Unternehmen ordnungsgemäß liquidiert werden kann.

Reglungen dazu, was passiert, wenn eine ordnungsgemäße Abwicklung nicht mehr möglich ist, sucht man in dem Entwurf allerdings vergeblich. Hier gibt es Nachbesserungsbedarf. Denn Wertschwankungen und Fehlinvestitionen sind ja nicht ausgeschlossen, und eine unkontrollierte Insolvenz mag nicht das geeignete Mittel sein. Gegebenenfalls sollte für diesen Fall über ein Moratorium zur möglichst wertschonenden Liquidation oder auch über eine Anpassung der Rückzahlungsversprechen ähnlich wie im Bankenbereich nachgedacht werden.

*) Dr. Sven Schelo ist Partner im Bereich Restrukturierung & Insolvenz von Linklaters in Frankfurt.