Regulierung

Vorstoß zu Sustainable Corporate Governance

Die EU-Kommission will durch Regulierung für eine nachhaltige Unternehmensführung sorgen. Details der geplanten Richtlinie lassen sich bislang nur vermuten.

Vorstoß zu Sustainable Corporate Governance

Von Lucina Berger*)

Ein Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission zur Sustainable Corporate Governance soll auch in der Unternehmensführung verbindliche Vorgaben für mehr Nachhaltigkeit schaffen. Ursprünglich war der Entwurf bereits für das zweite Quartal 2021 angekündigt, wurde bisher aber noch nicht vorgelegt. Die vorausgegangenen Schritte lassen allerdings die europäische Stoßrichtung erahnen.

Das Vorhaben der Europäischen Kommission, unionsweit einheitliche Vorgaben für eine nachhaltige Unternehmensführung zu machen, folgt einem Trend, der sich in vielfältigen ESG-Initiativen auf nationaler und europäischer Ebene zeigt. Diese sollen letztlich in ihrer Gesamtheit Unternehmen veranlassen, bei ihren Entscheidungen ökologische Aspekte sowie soziale, menschliche und gesamtwirtschaftliche Auswirkungen zu beachten.

Dabei soll der Fokus stärker auf eine langfristige und nachhaltige Wertschöpfung gelegt und es sollen nicht nur kurzfristige Interessen einzelner Stakeholder bedient werden. Begleitet werden die Überlegungen zu einer europaweiten Regulierung nachhaltiger Unternehmensführung von der geplanten Verabschiedung einer europäischen Normierung zu Lieferkettensorgfaltspflichten, die vor allem bei den Rechtsfolgen noch weiterreichen könnten als das jüngst verabschiedete deutsche Äquivalent.

Entwickelt wird die Richtlinie zur Sustainable Corporate Governance auf Grundlage einer im Auftrag der Europäischen Kommission von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) als Teil des sogenannten Impact Assessments erstellten „Study on Directors’ Duties and Sustainable Corporate Governance“, die im Juli 2020 veröffentlicht wurde. Die Studie gelangt zu dem Ergebnis, dass ein ausgeprägter Fokus auf kurzfristige Gewinnerwartungen in vielen Unternehmen Investitionen verhindere, die langfristig zu einer nachhaltigeren und sozial verträglicheren Produktion führen würden. Dieser Umstand wird als ein Kern des Problems identifiziert und als einer der Haupttreiber für das Erfordernis einer stärkeren Regulierung einer nachhaltigen Corporate Governance gewertet.

In der von der Europäischen Kommission bis Februar 2021 durchgeführten Konsultation zur nachhaltigen Unternehmensführung hatte sich von den über 470000 Teilnehmern nach Angaben der Europäischen Kommission eine klare Mehrheit von über 80% für eine einheitliche europäische Regulierung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht ausgesprochen. Über 60% hielten es für erforderlich, dezidiert Nachhaltigkeitsexpertise in Vorständen auszubauen, und ebenfalls über 60% sprachen sich für eine Einbindung von Stakeholdern in der Ausarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategie eines Unternehmens aus.

Zahlreiche Handlungsfelder

Was genau Inhalt einer möglichen Richtlinie werden könnte, lässt sich bislang auf Grundlage öffentlich zugänglicher Quellen nur vermuten. Die EY-Studie benennt sieben mögliche Handlungsfelder, nämlich die Verpflichtung der Unternehmen auf das Stakeholder-Value-Prinzip, eine Stärkung der Rechte nachhaltiger und langfristiger Investoren, die Integration von Nachhaltigkeitszielen in der Strategie von Unternehmen, die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit bei der variablen Vergütung, dezidierte Nachhaltigkeitskompetenz im Aufsichtsrat, ein kontinuierlicher Dialog mit externen Stakeholdern zu Nachhaltigkeitsthemen und ein gestärktes Enforcement bestimmter Nachhaltigkeitsgesichtspunkte durch Aufsichtsbehörden sowie Klagerechte externer Stakeholder.

Während die Konsultation nach Angaben der Europäischen Kommission überwiegend positive Reak­tionen hervorgerufen hat, werden die Regulierungsbestrebungen in Deutschland zum Teil sehr kritisch betrachtet. Mit direkten Vorgaben zur Ausrichtung der Unternehmensstrategie und der Unternehmensführung an Nachhaltigkeitsgesichtspunkten, gegebenenfalls gepaart mit unmittelbaren Klagerechten Dritter, greife der europäische Gesetzgeber in nicht gerechtfertigter Weise in zentrale Verwaltungsrechte von Aktionären ein und stelle damit grundsätzliche marktwirtschaftliche Prinzipien in Frage. Ein Großteil der bisher auf europäischer Ebene verabschiedeten ESG-Initiativen setze primär auf indirekte Anreize für nachhaltiges Handeln, etwa durch umfassende CSR-Reporting-Pflichten und die künftigen Vorgaben zur transparenten Klassifizierung auf Grundlage der EU-Taxonomie. Regulatorische Vorgaben zu einer nachhaltigen Unternehmensausrichtung seien demgegenüber als Abkehr von einer solchen indirekten Anreizwirkung zu verstehen. Auf diese Weise werde das Unternehmensinteresse einseitig zugunsten einer allgemeinen gesellschaftlichen Verantwortung neu geprägt und ohne Berücksichtigung von Aktionärsinteressen primär anhand von Nachhaltigkeitskriterien definiert.

Auf der Agenda

Die Regulierungsbestrebungen der EU-Kommission fallen in eine Zeit, in der Nachhaltigkeitsthemen insgesamt bereits einen rasanten Bedeutungszuwachs erfahren haben. Allein in dem einen Jahr seit Veröffentlichung der EY-Studie ist das Bewusstsein für ESG-Themen in deutschen Unternehmen dramatisch angestiegen.

Zu dieser Entwicklung haben nicht nur regulatorische Veränderungen wie etwa die bevorstehende deutliche Ausweitung der CSR-Berichtspflichten und die EU-Taxonomie beigetragen.

Auch andere, eher marktwirtschaftlich getriebene Einflüsse, wie etwa die klare ESG-Positionierung wesentlicher institutioneller Investoren und Stimmrechtsberater, erste prominente ESG-Rechtsstreitigkeiten und allgemeingesellschaftliche Debatten und Initiativen zu Diversity- und Umweltthemen haben dazu geführt, dass Nachhaltigkeit in fast allen Unternehmen aktuell die interne Strategie- und Corporate-Governance-Diskussion bestimmt.

Zahlreiche Unternehmen haben längst eigene Nachhaltigkeitsabteilungen eingerichtet und vereinzelt sogar dezidierte Vorstandsressorts und Ausschüsse im Aufsichtsrat für ESG geschaffen. Zum Teil wurde begonnen, eine sorgfältige Überprüfung der eigenen ESG-Governance anzustoßen – und in einzelnen Fällen darüber hinaus auch das eigene Geschäftsmodell unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten auf den Prüfstand gestellt.

Weitere Anstrengungen sind im Hinblick auf das noch ganz am Ende der laufenden Legislaturperiode verabschiedete Lieferkettensorgfalts­pflichtengesetz zu erwarten, das für Deutschland bereits verschiedene Sorgfaltspflichten im Hinblick auf Zulieferer aufstellt, die auch mit konkreten Folgen für die interne Governance von Unternehmen einhergehen.

Last but not least haben Nachhaltigkeitsaspekte in sehr vielen im Jahr 2021 den Hauptversammlungen deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften zur Billigung vorgelegten Vergütungssystemen Einzug gehalten, auch wenn die konkreten Bezugsgrößen zum Teil noch nicht veröffentlicht wurden. Auch im Hinblick auf Empfehlungen von Stimmrechtsberatern und die stärkere Betonung nachhaltiger Investments steht zu erwarten, dass nachhaltigkeitsbezogene Anreizstrukturen in den kommenden Jahren auch ohne zusätzliche Regulierung weiter an Bedeutung gewinnen werden.

Vertrauen auf Marktkräfte

Vor diesem Hintergrund lässt sich durchaus die Frage stellen, ob es nicht eine berechtigte Forderung ist, den entsprechenden Marktkräften hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft und Unternehmenslandschaft noch etwas mehr Zeit zu geben. So ließe sich letztlich – auch im Wettbewerb der Systeme – eine nachhaltige Corporate Governance auf organische Art und Weise erreichen, ohne – in den Worten von Rolf Nonnenmacher, dem Vorsitzenden der Kodex-Kommission, – mehr Schaden als Nutzen anzurichten.

Dafür spricht auch, dass die Finanzökonomie vielfältige Belege dafür liefert, dass Marktkräfte, ausgehend vom langfristigen Eigeninteresse der Investoren, tatsächlich eine Nachhaltigkeitstransformation der Volkswirtschaft bewirken können. Auf diese Weise könnte auch vermieden werden, dass zwischen Unternehmensinteresse und Ge­meinwohlinteresse nur aufgrund regulatorischer Vorgaben eine Brücke gebaut wird, ohne echte Veränderungen im Unternehmen herbeizuführen.

*) Dr. Lucina Berger ist Partnerin von Hengeler Mueller in Frankfurt.