Was bei Jobverlagerungen zu beachten ist
Von Björn Otto und Carolin Millgramm*)
Die Geschäftswelt verändert sich in zunehmender Geschwindigkeit – und mit ihr die Unternehmens- und Konzernstrukturen. Ein aktueller Trend ist die Verlagerung von Jobs ins Ausland. Dafür gibt es unterschiedliche Beweggründe und gleichzeitig zahlreiche Punkte zu beachten.
Einerseits führt der Druck auf globale Lieferketten, die schon durch die Corona-Pandemie stark angespannt waren und nun zusätzlich durch die Auswirkungen des Ukraine-Krieges geschwächt sind, in weiten Teilen der Wirtschaft zu einer Abkehr von der Just-in-Time-Mentalität.
Der damit verbundene Fokus auf Resilienz geht vielfach mit dem Wunsch einher, die eigene Wertschöpfungsquote zu erhöhen und durch den Aufbau unternehmenseigener Kapazitäten die Kontrolle über den Produktionsprozess zurückzugewinnen. Andererseits versuchen viele Unternehmen, ihre Service- und Verwaltungseinheiten zu optimieren, indem bislang unternehmensintern erbrachte Funktionen an externe Dienstleister ausgelagert oder eigene Shared Services Center (SSC) errichtet werden.
Standortauswahl
Die Idee von SSC ist nicht neu. Bereits in den 1980er-Jahren etablierten große Unternehmen entsprechende Organisationseinheiten, vielfach in Ländern mit im Vergleich zu Westeuropa oder den USA deutlich niedrigeren Lohnkosten. Besonders beliebt sind Ungarn, Rumänien, Indien, China, Malaysia und, in letzter Zeit verstärkt, die Philippinen.
Bei der Standortauswahl spielen nicht nur Kosten, sondern auch sprachliche Überlegungen eine Rolle. So handelt es sich bei Indien und den Philippinen, zwei vielfach favorisierten SSC-Zielstaaten, um Länder, deren Amtssprache Englisch ist und die daher über ein großes Reservoir an für Multinationals sprachgeeigneten Kandidaten verfügen. Auch der Zugang zu qualifiziertem Personal ist ein wichtiges Kriterium. Darüber hinaus gewinnen Nachhaltigkeitsziele vermehrt an Bedeutung.
Kostenvorteile
Auch wenn der Fokus auf transparente und faire Arbeitsbedingungen sowie demokratische Strukturen zunimmt, entscheiden sich viele Konzerne im Rahmen einer Gesamtabwägung weiterhin für in asiatischen Ländern angesiedelte SSC, deren politische Systeme teils deutlich von denen des Westens abweichen. Während China mit Blick auf seine strengen Covid-19-Beschränkungen zuletzt an Popularität eingebüßt hat, siedeln sich auf den Philippinen vermehrt SSC aus dem Finanzsektor an.
Die Gründe für SSC sind vielfältig. Neben Kostenvorteilen, die sich aus Skaleneffekten sowie einem oftmals niedrigeren Lohnniveau im Zielland ergeben, geht es meist um die Fokussierung von Know-how sowie die Standardisierung von Prozessen, Zuständigkeiten und Kommunikationswegen. Automatisierung sowie die Spezialisierung der Beschäftigten sollen zu besseren Arbeitsergebnissen und einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit führen.
Dementsprechend werden bestimmte identische Dienstleistungen und Prozesse aus unterschiedlichen Konzerngesellschaften in einer marktorientierten Organisationseinheit, meist in Form einer separaten SSC-Gesellschaft, zusammengefasst und zentralisiert. Es handelt sich also um eine Art internes Outsourcing. Tätigkeiten, die bislang in gleicher oder ähnlicher Form an mehreren Orten in einer Unternehmensgruppe durchgeführt wurden, werden damit an einer Stelle gebündelt.
Als besonders geeignet für eine Verlagerung in SSC sind Dienstleistungen mit gleichartigen Arbeitsschritten, die einen hohen administrativen Anteil aufweisen und nur wenig strategisch ausgerichtet sind. Sinnvoll ist die Bildung von SSC, wenn Geschäftsprozesse an mehr als einem Standort erfolgen und standardisierbar sind.
SSC kommen daher insbesondere in den Bereichen IT-Services, Personalwesen, Rechnungswesen, Einkauf oder Controlling in Betracht. Getrieben von der Digitalisierung werden zunehmend auch wertschöpfende Bereiche, Vertriebsaufgaben und Reporting-Arbeiten auf SSC im (außereuropäischen) Ausland transferiert.
Rechtliche Herausforderungen
Neben sektorspezifischen regulatorischen Anforderungen sind im Zusammenhang mit der Verlagerung von Aufgaben aus Deutschland heraus auf SSC insbesondere arbeits-, mitbestimmungs- und datenschutzrechtliche Aspekte zu beachten.
Regelmäßig ist erforderlich, das SSC in technischer Hinsicht an das bzw. die auslagernden Unternehmen anzubinden. Damit einher geht im Regelfall die Einführung neuer bzw. die Ausweitung vorhandener IT-Systeme sowie die Schaffung entsprechender Schnittstellen im Inland. Im Rahmen der Projektplanung muss berücksichtigt werden, dass die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, der Mitbestimmung des inländischen Betriebsrats bedarf.
Die gesetzliche Beteiligungspflicht gilt nach der Rechtsprechung regelmäßig unabhängig davon, ob es sich um alltägliche Software oder auf die jeweiligen Unternehmensbedürfnisse individuell abgestimmte Spezialprogramme handelt. Eine Überwachungsabsicht des Arbeitgebers ist nicht erforderlich. Es genügt, dass die Software Leistung oder Verhalten von Arbeitnehmern (objektiv) überwachen könnte. Auf eine – wie auch immer im Einzelnen verfasste – Geringfügigkeitsschwelle kommt es nicht an.
Neben der Beteiligung der zuständigen Arbeitnehmervertreter müssen beim Betrieb eines SSC datenschutzrechtliche Anforderungen umgesetzt werden. Denn mit der Auslagerung von Funktionen ist regelmäßig ein erheblicher Datenaustausch mit internen bzw. externen Dienstleistern verbunden. Ist das datenverarbeitende SSC weisungsgebunden und erbringt reine Servicefunktionen, liegt oftmals eine Auftragsdatenverarbeitung vor. Bei ausländischen SSC müssen zudem die Vorgaben für einen Datentransfer ins Ausland erfüllt werden.
Interessenausgleich
Schließlich ist die Verlagerung von Aufgaben auf ein SSC vielfach mit einer Betriebsänderung verbunden. In diesem Fall muss der Arbeitgeber die zuständigen Arbeitnehmervertreter – unabhängig von einer IT-spezifischen Einbindung – rechtzeitig und umfassend unterrichten und die geplanten Maßnahmen mit dem Betriebsrat beraten. Ziel der Gespräche ist der Versuch eines Interessenausgleichs, in dem die vorgesehenen Veränderungen festgelegt werden, sowie der Abschluss eines Sozialplans, der die zu erwartenden wirtschaftlichen Nachteile abmildert.
Die Übertragung von Tätigkeiten auf ein ausländisches SSC führt typischerweise zum Wegfall der Arbeiten beim Vertragsarbeitgeber in Deutschland. Insofern geht es für die vom Verlust ihres Arbeitsplatzes betroffenen Arbeitnehmer meist um die Vereinbarung von Abfindungen und ähnlichen Ausgleichsleistungen.
Darüber hinaus kann relevant sein, ob die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter, deren Arbeit künftig im SSC erledigt wird, im Wege eines Betriebs(teil)übergangs auf die SSC-Gesellschaft übergehen. Zwar werden regelmäßig ausschließlich die Aufgaben ins Ausland transferiert, nicht aber die Beschäftigten oder wesentliche Betriebsmittel. Gleichwohl ist ein Betriebs(teil)übergang jedenfalls bei Übertragungsvorgängen innerhalb Europas nicht per se ausgeschlossen. Denn nach der Rechtsprechung steht der Umstand, dass ein Betrieb oder Betriebsteil ins Ausland verlagert wird, der Anwendung der Betriebsübergangsvorschriften für sich genommen nicht ohne weiteres entgegen.
Einarbeitung notwendig
Für die Implementierung eines SSC sind zahlreiche Faktoren zu beachten – sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht. Neben den juristischen Gesichtspunkten sollte ein Augenmerk auf die Vorbereitung und Einarbeitung der im SSC Beschäftigten gelegt werden. Denn ohne entsprechende Trainingsaufenthalte in den inländischen Gesellschaften kann der Know-how-Transfer oft nicht gelingen.
*) Dr. Björn Otto ist Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland. Carolin Millgramm ist Rechtsanwältin der Kanzlei.