Steuerrecht

Wegzugs­besteuerung trifft Familien­unternehmen

Nach einer Gesetzesreform sind Familienunternehmen von einem Paradigmenwechsel in der Wegzugsbesteuerung herausgefordert. Die Internationalisierung des Gesellschafterkreises wird zur Steuerfalle.

Wegzugs­besteuerung trifft Familien­unternehmen

Von Hendrik Grosse*)

Mit den Regelungen zur sogenannten Wegzugsbesteuerung soll verhindert werden, dass sich in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Personen durch die Aufgabe des inländischen Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts der – im Vergleich zum Ausland zumeist höheren – inländischen Besteuerung entziehen können. Bei Gesellschaftern von Kapitalgesellschaften mit einer Beteiligung von größer 1% kommt es deshalb im Zeitpunkt des Wegzugs zu einer Besteuerung der in den Anteilen enthaltenen stillen Reserven. Obwohl keine Veräußerung stattgefunden hat, wird also ein Verkauf der Beteiligung zum Verkehrswert im Zeitpunkt des Wegzugs unterstellt.

Deutlich verschärft

Zumindest bei einem Wegzug innerhalb der EU oder des EWR (Norwegen, Island, Liechtenstein) kam es bisher allerdings nicht zu einer unmittelbaren Liquiditätsbelastung für den Gesellschafter, da die geschuldete Steuer in diesen Fällen unbefristet, zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet werden konnte. Erst bei einem tatsächlichen Verkauf der Anteile oder z. B. bei Übertragung der Anteile auf natürliche Personen außerhalb der EU oder des EWR kam es zu einer Besteuerung der im Zeitpunkt des Wegzugs vorhandenen stillen Reserven. Insbesondere bei Familienunternehmen war die Wegzugsbesteuerung bis zuletzt somit nicht mit großen Einschränkungen verbunden, weder im Hinblick auf die Mobilität der Gesellschafter noch aus finanzieller Sicht.

Für ab dem 1. Januar 2022 stattfindende Wegzüge wurde die Wegzugsbesteuerung allerdings deutlich verschärft. Nunmehr wird die Wegzugsteuer auch bei einem Wegzug innerhalb der EU oder des EWR grundsätzlich unmittelbar fällig, insbesondere eine unbefristete Stundung scheidet damit aus. Auf Antrag ist in gewissen Konstellationen zwar eine Ratenzahlung der Steuer über sieben Jahre oder eine Aussetzung der Ratenzahlungen möglich, allerdings regelmäßig nur gegen eine Sicherheitsleistung.

Die damit einhergehende unmittelbare Liquiditätsbelastung stellt für deutsche Familienunternehmen in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft durchaus eine große Herausforderung dar, insbesondere vor dem Hintergrund der auch hierzulande fortschreitenden Internationalisierung des Gesellschafterkreises.

Es ist längst nicht mehr unüblich, dass die bereits in jungen Jahren am Unternehmen beteiligten Kinder für Zwecke der Ausbildung ins EU-Ausland gehen oder zunächst in Auslandsgesellschaften beruflich tätig werden, um wichtige Erfahrungen zu sammeln. Bei einer Rückkehr innerhalb von sieben Jahren bzw. in Ausnahmefällen nach zwölf Jahren kann die festgesetzte Steuer zwar rückwirkend wieder entfallen, bei einem dauerhaften Verbleib im EU-Ausland wird die Wegzugsteuer allerdings endgültig – eine deutliche Einschränkung im Vergleich zur bisherigen Regelung. Sofern dann auch noch auf die Erhebung von Jahresraten verzichtet wurde, sind für die Dauer des gewährten Zahlungsaufschubs zu­sätzlich Stundungszinsen zu entrichten.

Was ergibt sich daraus nun für Familienunternehmen in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft? Diese sollten bereits bei der schenkweisen Übertragung von Unternehmensanteilen an die Kinder die Möglichkeit der Wegzugsbesteuerung in Betracht ziehen. In diesem Zusammenhang bietet es sich zunächst an, auflösende Bedingungen bzw. Widerrufsrechte in den Schenkungsvertrag aufzunehmen, die für den Fall des Auslösens einer Wegzugsbesteuerung eine Rückabwicklung der ursprünglichen Schenkung ermöglichen. Für den Fall des Fehlens eines solchen Widerrufsrechtes wäre zu prüfen, ob der Gesellschaftsanteil dem Beschenkten im Vorfeld des Wegzugs durch das (bewusste) Auslösen eines weiteren im Schenkungsvertrag vorbehaltenen Rückforderungsgrundes gegebenenfalls wieder entzogen werden kann. In jedem Fall ist eine fortlaufende und lückenlose Dokumentation der Rückkehrabsicht ratsam, da dann zumindest die Frist zur Rückkehr und damit „Heimkehr der Anteile in die unbeschränkte Steuerpflicht“ von sieben Jahren um weitere fünf Jahre verlängert werden kann. Letztlich ist es aber so, dass eine Wegzugsbesteuerung durch diese Maßnahmen nur für den jeweiligen Einzelfall beseitigt wird.

Familienstiftung als Ausweg

Dauerhaft ausschließen lässt sich das Risiko einer Wegzugsbesteuerung dagegen durch die Übertragung sämtlicher Geschäftsanteile auf eine inländische Familienstiftung. Die Übertragung des Familienunternehmens auf eine Familienstiftung verhindert nicht nur eine „Aufsplitterung“ des Vermögens auf zahlreiche Familienmitglieder über die Generationen hinweg, sondern ermöglicht auch einen Schutz der in den Geschäftsanteilen enthaltenen Vermögenssubstanz vor Vermögensabflüssen bei Scheidung oder in Erbfällen. Weiterer Effekt: Aus steuerlicher Sicht kann keine Wegzugsbesteuerung für die Bezugsberechtigung an der Stiftung ausgelöst werden, da eine Familienstiftung keine Gesellschafter hat. Somit sind die Abkömmlinge als Begünstigte der Familienstiftung in ihrer Mobilität anschließend nicht (mehr) eingeschränkt.

*) Hendrik Grosse ist Steuerberater und Senior Associate bei Rittershaus Rechtsanwälte Steuerberater.