„Wir empfehlen eine Stärkung der Restrukturierungsgerichte“
Herr Horbach, warum gibt es bisher nur wenige Fälle, in denen das seit Jahresanfang geltende Gesetz für vorinsolvenzliche Sanierung (StaRUG) angewendet wurde?
Anfänglich gab es natürlich keine Fälle, an denen sich die Praxis orientieren konnte. Zudem fehlte es an Gerichtsentscheidungen, die Verfahren bestätigen und den Rahmen des rechtlich Möglichen näher definieren. Aufgrund der dadurch begründeten Rechtsunsicherheit nahmen restrukturierungsbereite Unternehmen die Möglichkeiten des StaRUG häufig noch nicht in Anspruch.
Ist das Gesetz zu komplex?
Ein StaRUG-Verfahren erfordert intensive Vorbereitung und konsequente Durchführung. Seine große Flexibilität lässt es zudem komplexer erscheinen, als es in Wirklichkeit ist. Mit der Komplexität kann man umgehen. Sie sollte nicht zur Ablehnung eines geeigneten StaRUG-Verfahrens führen.
Wie funktioniert das Gesetz in der Praxis?
Das StaRUG setzt zahlreiche Vorüberlegungen voraus. Dazu gehören neben der Prüfung, ob das Verfahren für den konkreten Sanierungsbedarf geeignet ist, die Abstimmung mit einzelnen der betroffenen Gläubiger und die Sicherstellung der Betriebsmittelfinanzierung für die Dauer des Verfahrens sowie eine betriebswirtschaftliche Vergleichsrechnung. Diese stellt das wichtigste Schutzinstrument für die betroffenen Gläubiger dar. Betroffene Gläubiger dürfen durch das Verfahren nicht schlechter gestellt sein als ohne das Verfahren, was häufig einen Vergleich mit der hypothetischen Insolvenzquote bedeutet. Das Verfahren selbst beginnt mit der Zustellung des Restrukturierungsplanes, setzt sich mit Abstimmungen der betroffenen Gläubiger nach Gruppen fort und endet in der Regel mit der gerichtlichen Bestätigung. Es wird flankiert vom gerichtlich angeordneten Vollstreckungs- und Verwertungsschutz und einer, wenn auch beschränkten, Anfechtungsprivilegierung für die betroffenen Gläubiger.
Welche Änderungsvorschläge ergeben sich?
Das StaRUG ist aktuell auf die Umsetzung finanzwirtschaftlichen Sanierungsbedarfs beschränkt. Es sieht bisher keine einseitige Änderung oder Kündigung von Vertragsverhältnissen mit Lieferanten, Kunden, Vermietern und Mitarbeitern vor. Wir empfehlen außerdem eine Stärkung der Rolle der Restrukturierungsgerichte, die dadurch eine aktivere und verfahrensleitende Funktion einnehmen und über Unklarheiten und Meinungsverschiedenheiten unmittelbar entscheiden könnten. Die Verfahren würden an Akzeptanz gewinnen und gegenüber Insolvenzplanverfahren einen erheblichen Vorteil erlangen. Einige Klarstellungen über den Umfang der Anfechtungsprivilegierung, der derzeit auf Handlungen in Vollzug des Plans beschränkt ist und eine Ausnahme bei Kenntnis von unrichtigen Darstellungen enthält, wären hilfreich. Gleiches gilt für die Frage, inwieweit StaRUG-Verfahren auch für Refinanzierungen, Prolongationen und Stundungen, jeweils unter Gewährung vorrangiger Sicherheiten (super senior), geeignet sind.
Passt das StaRUG auch für kleine und mittlere Unternehmen?
Eine Restrukturierung nach Maßgabe des StaRUG eignet sich für Unternehmen jeder Größe. Die entstehenden Kosten sind für kleine und mittlere Unternehmen im Verhältnis zur Unternehmensgröße oft höher, lassen sich aber schätzen. Sie dürften nur in seltenen Fällen einen Umfang erreichen, der gegen die Durchführung eines StaRUG-Verfahrens spricht.
In welchen Fällen bietet das herkömmliche Insolvenzrecht bessere Optionen?
Ein Insolvenzverfahren bietet sich vor allem dann für eine Restrukturierung an, wenn die Sanierung Änderungen des operativen Geschäfts erfordert, zum Beispiel durch Betriebsschließungen, oder wenn die Änderung laufender Vertragsverhältnisse oder die Entlastung von Pensionsverbindlichkeiten notwendig ist. Das Insolvenzrecht kann ferner die bessere Option sein, wenn eine Vielzahl von unterschiedlichen Gläubigergruppen zu beteiligen ist und deren Komplexität die Durchführung des flexibel anwendbaren StaRUG-Verfahrens gefährdet.
Dr. Matthias Horbach ist Partner der Kanzlei Skadden.
Die Fragen stellte Helmut Kipp.