Zeitenwende im Kapitalerhöhungsrecht
Zeitenwende im Kapitalerhöhungsrecht
Mehr Spielraum bei einem vereinfachten Bezugsrechtsausschluss – Bewertungsrügen kein Anfechtungsgrund mehr
Von Klaus von der Linden *)
Mitte Dezember 2023 ist das Gesetz zur Finanzierung zukunftssichernder Investitionen, kurz: Zukunftsfinanzierungsgesetz, in Kraft getreten. Es bringt unter anderem mehrere Neuerungen im Kapitalerhöhungsrecht. Sie betreffen die Voraussetzungen, unter denen das Bezugsrecht der Aktionäre auf neue Aktien ausgeschlossen werden kann, die Höhe des bedingten Kapitals und den Rechtsschutz bei ordentlichen Kapitalerhöhungen.
Schon bisher war es möglich, das Bezugsrecht der Aktionäre ohne besondere Rechtfertigung auszuschließen, wenn Bareinlagen erbracht wurden, der Ausgabebetrag nahe am Börsenpreis lag und das Grundkapital sich um nicht mehr als 10% erhöhte. Der Gedanke dahinter: Die Altaktionäre können zwar keine neuen Aktien beziehen. Es droht ihnen aber nur eine überschaubare Verwässerung, die sie zudem durch Zukäufe über die Börse zu beinahe identischen Konditionen wettmachen können.
Pferdefuß
Das neue Recht erlaubt einen solchen vereinfachten Bezugsrechtsausschluss nunmehr sogar im Umfang von bis zu 20% des Grundkapitals. Damit ist bezweckt, den Unternehmen mehr Spielraum bei ihrer Finanzierung zu geben. Das ist ein wichtiges politisches Signal – vor allem an Gründer und kapitalbedürftige Startups, deren Finanzierungsrunden mitunter nur kurze Abstände haben.
Doch gibt es einen Pferdefuß: Der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss hat seine Bedeutung vor allem beim genehmigten Kapital, also bei der Ermächtigung des Vorstands, das Grundkapital nach eigenem Ermessen zu erhöhen. Der Umfang einer solchen Ermächtigung richtet sich aber nicht nur nach dem Gesetz, sondern auch nach den deutlich restriktiveren Spielregeln, die institutionelle Investoren, Stimmrechtsberater und Aktionärsschützer aufstellen. Als internationaler Standard gilt, dass Bezugsrechtsausschlüsse nur bis zur Grenze von 10% des Grundkapitals unterstützt werden – unter wechselseitiger Anrechnung paralleler Ermächtigungen. An dieser Markterwartung ändert das neue Recht nichts.
Konflikt programmiert
Daraus folgt, dass notierte Gesellschaften den neuen Spielraum im Gesetz kaum nutzen können – zumindest dann nicht, wenn sie sich im Streubesitz befinden und daher zur Satzungsänderung auf breiten Konsens im Aktionärskreis angewiesen sind. Anders kann es sich bei Gesellschaften mit hilfsbereiten Großaktionären verhalten. Nur müssen sie abwägen, ob sie um einer großzügigen Ermächtigung Willen den Konflikt mit der Minderheit riskieren möchten.
Ähnlich liegen die Dinge beim bedingten Kapital. Bedingtes Kapital kann geschaffen werden, um Wandlungs- oder Optionsrechte von Anleihegläubigern zu bedienen, außerdem zur Vorbereitung von Unternehmensfusionen sowie für Stock Options. Das neue Recht sieht vor, dass die Obergrenzen für bedingtes Kapital in zweien dieser Fälle angehoben werden: von 50 auf 60% für Fusionen und von 10 auf 20% für Stock Options.
Aus dem Blick geriet dabei, dass bedingtes Kapital für Fusionen untauglich ist – und zwar nicht infolge zu geringen Volumens, sondern konzeptionell. Denn es muss das jeweilige Vorhaben stets konkret benennen. Das würde bei Fusionen mit der üblicherweise gebotenen Vertraulichkeit kollidieren.
Stimmrechtsberater im Spiel
Für Stock Options wird bedingtes Kapital sehr wohl genutzt. Es kommen hier aber wieder die Stimmrechtsberater ins Spiel: Sie befürworten Stock Options für Mitarbeiter nur in Grenzen, nämlich abermals nur bis zu einem Volumen von 10%, teils sogar nur von 5% des Grundkapitals. Das eine oder andere Start-up mag unter neuem Recht größere Volumina realisieren. Etablierte Börsenunternehmen mit großem Aktionärskreis haben solche Möglichkeiten hingegen nur auf dem Papier.
Bedeutsamer ist die dritte Änderung: die Neuordnung des Rechtsschutzes gegen Kapitalerhöhungsbeschlüsse. Hintergrund ist, dass bezugsrechtsfreie Kapitalerhöhungen bisher noch mit dem Argument angefochten werden konnten, die Einlage sei unangemessen niedrig. Das war von Belang vor allem bei Sacheinlage von Unternehmen. In solchen Fällen ist eine Bewertungsrüge überaus komplex. Die Folge war, dass die Anfechtungsklage die Transaktion langfristig ausbremste. Auch das Freigabeverfahren bot nur selten Abhilfe, ist es doch als Eilverfahren noch weniger als die Hauptsache auf komplexe Bewertungsfragen zugeschnitten.
Transaktionssicherheit steigt
Schon lange gab es daher die Forderung, Bewertungsrügen als Anfechtungsgründe auszuschließen und ins Spruchverfahren zu verweisen. Das neue Recht kommt ihr nunmehr nach. Das steigert die Transaktionssicherheit für Kapitalerhöhungen und ebnet neue Wege für Akquisitionen. Das ist sehr zu begrüßen, hat aber natürlich auch seinen Preis. Er liegt darin, dass das Spruchverfahren finanziellen Ausgleich in erheblicher Höhe nach sich ziehen kann, sollte das Gericht den Einlagewert schließlich als zu niedrig erachten. Zu leisten ist dieser Ausgleich an die übervorteilten Altaktionäre und durch die Gesellschaft.
Abweichend von früheren Plänen soll die Gesellschaft sich beim Investor, der die Kapitalerhöhung zeichnet und die Einlage erbringt, nicht schadlos halten können. Darin liegt eine maßgebliche Verbesserung des neuen Rechts. Denn ein Nachzahlungsrisiko hätte wohl zur Folge gehabt, dass Investoren sich gar nicht erst bereitgefunden hätten, an bezugsrechtsfreien Kapitalerhöhungen noch teilzunehmen. Damit wäre das Gegenteil dessen erreicht worden, was der Gesetzgeber wollte, nämlich eine Erschwernis anstelle einer Erleichterung der Eigenkapitalaufnahme.
Börsenkurs maßgeblich
Als weitere Erleichterung sieht das neue Recht vor, dass der Wert einer Aktie aus der Kapitalerhöhung sich allein anhand des Börsenkurses bestimmt. Das hat zur Folge, dass dieser Wert im Spruchverfahren unschwer feststellbar ist und nur der Einlagewert hinterfragt werden kann. Allerdings soll es nicht auf den aktuellen Börsenkurs ankommen. Abzustellen ist vielmehr auf einen Kursdurchschnitt, berechnet über drei Monate vor der Entscheidung über die Aktienausgabe. Diese Vorgabe ist angelehnt an das Übernahmerecht, wo der dreimonatige Kursdurchschnitt die Untergrenze für die Höhe eines Übernahme- oder Pflichtangebots markiert.
Webfehler im neuen Recht
Bedenklich stimmt daran, dass Investoren bei Kapitalerhöhungen primär auf aktuelle Kurse schauen. Dem entspricht es, dass ein niedrigerer Vortageskurs den dreimonatigen Durchschnitt als Maßstab verdrängen kann, um bei fallenden Kursen die Kapitalerhöhung nicht zu vereiteln. So oder so bleibt aber offen, wie eine Hauptversammlung diese Vorgaben bei ihrem Beschluss planvoll berücksichtigen soll. Denn sie bescheidet einen Beschlussvorschlag, den Vorstand und Aufsichtsrat mit der Einberufung unterbreiten – lange bevor die maßgeblichen Kurse feststehen.
Und bei Sacheinlage eines Unternehmens kann ohnehin nur vorgeschlagen werden, was zuvor mit dem Investor als Umtauschverhältnis vereinbart wurde. Darin liegt ein ernstlicher Webfehler des neuen Rechts, der im parlamentarischen Verfahren nicht mehr bereinigt wurde. Die Praxis muss nun Wege finden, hiermit umzugehen.
Ausgleich auch in Geld
Optional sieht das neue Recht vor, dass die Gesellschaft einen etwaigen Ausgleich statt in Geld liquiditätsschonend in Aktien leisten kann. Dafür allerdings muss sie die Weichen schon früh stellen, nämlich im Kapitalerhöhungsbeschluss ihrer Hauptversammlung. Die so getroffene Wahl ist verbindlich. Eine Rückkehr zum Barausgleich gibt es selbst dann nicht mehr, falls der Ausgleich in Aktien sich im Laufe des Spruchverfahrens als nachteilig erweisen sollte – egal aus welchen Gründen. Wie realistisch es ist, dass die Gesellschaften diese Option trotz ihrer Unwägbarkeiten wählen, wird sich in der Praxis noch weisen müssen.
Neue Herausforderungen
Alles in allem bringt das neue Rechtsschutzkonzept eine Zeitenwende im Kapitalerhöhungsrecht. Die Transaktionssicherheit steigt spürbar. Zugleich stehen die Gesellschaften aber vor neuen Herausforderungen. Hierzu gehört auch, dass das neue Recht den Börsenkurs zum exklusiven Bewertungsmaßstab erhebt. Das bringt viele Vorteile mit sich, bereitet aber Schwierigkeiten vor allem bei der Sacheinlage von Unternehmen, bei der man sich frühzeitig auf ein Umtauschverhältnis einigen muss. Überdies stellt sich die Frage, welche Konsequenzen für andere Bewertungsanlässe damit einhergehen könnten, etwa für Beherrschungsverträge oder den Squeeze-out der Aktionärsminderheit.
*) Dr. Klaus von der Linden ist Partner im Fachbereich Corporate/M&A von Linklaters in Düsseldorf.
*) Dr. Klaus von der Linden ist Partner im Fachbereich Corporate/M&A von Linklaters in Düsseldorf.