Lieferkettengesetz

Zivilrechtliche Haftung durch die Hintertür?

Die rechtlichen Konsequenzen bei der Verletzung von Sorgfaltspflichten in Lieferketten könnten umfangreicher ausfallen als von vielen Unternehmen erwartet.

Zivilrechtliche Haftung durch die Hintertür?

Von Matthias Schrader und Johannes Schmidt*)

Dass der Gesetzgeber die Einhaltung von Gesetzen nicht nur durch staatliche Behörden überwachen lässt, sondern sich in gewissem Umfang auch auf die Abschreckungswirkung privater Rechtsdurchsetzung verlässt, ist nichts Neues. Im Kartellrecht beispielsweise müssen Kartellanten sowohl ein Bußgeld fürchten als auch Schadenersatzforderungen der durch das Kartell geschädigten Personen. Der Abschreckungseffekt der privaten Rechtsdurchsetzung ist vom Gesetzgeber erwünscht. Das zusätzliche Risiko fördert die Durchsetzung des Kartellrechts; Verstöße sollen sich finanziell nicht lohnen.

Anderer Regelungsansatz

Bei dem im Juli 2021 verabschiedeten Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten („Lieferkettengesetz“) hat der Gesetzgeber einen anderen Regelungsansatz gewählt. Unter dem Lieferkettengesetz werden große deutsche Unternehmen vom 1. Januar 2023 an verpflichtet, ihre Lieferkette sorgfältig auf die Verletzung von bestimmten grundlegenden Menschen-, Arbeitnehmer- und Umweltrechten zu prüfen, entsprechende Risiken zu minimieren und Verletzungen möglichst zu beenden. Die Prüfungspflicht erstreckt sich – mit unterschiedlichen Anforderungen – über die gesamte Lieferkette bis zum ersten Rohstofflieferanten.

Das Lieferkettengesetz schreibt den erfassten Unternehmen im Detail vor, welche Einrichtungen und Maßnahmen sie zur Erfüllung ihrer Pflichten zu schaffen beziehungsweise zu ergreifen haben. Die Schaffung von menschen- und umweltrechtlichen Sorgfaltspflichten sowie die Erstreckung dieser Sorgfaltspflichten auf Tochtergesellschaften und konzernfremde Dritte, zum Beispiel Zulieferer, ist ein Novum. Verletzt ein Unternehmen eine Pflicht aus dem Lieferkettengesetz, hat es mit empfindlichen Bußen zu rechnen, die im Maximum 2% des Konzernjahresumsatzes erreichen können.

Fast beiläufig ordnet der Gesetzgeber an, dass eine Verletzung der Pflichten aus dem Gesetz „keine zivilrechtliche Haftung“ begründe. Klarstellend weist er darauf hin, dass eine zivilrechtliche Haftung, die ohne Berücksichtigung des Lieferkettengesetzes – also aufgrund der sonstigen Gesetze – bestehe, nicht eingeschränkt werde. Damit hat der Gesetzgeber dem parallelen Lauf von öffentlich-rechtlicher und zivilrechtlicher Durchsetzung des Lieferkettengesetzes eine Absage erteilt.

Im Gesetzgebungsverfahren war alternativ vorgeschlagen worden, in das Lieferkettengesetz eine eigenständige zivilrechtliche Haftungsnorm aufzunehmen. Ein Unternehmen sollte – vereinfacht gesprochen – jeder Person zivilrechtlich zum Schadenersatz verpflichtet sein, der es durch die Verletzung einer Sorgfaltspflicht aus dem Lieferkettengesetz einen Schaden zufügt.

Dieser Vorschlag konnte sich im parlamentarischen Verfahren nicht durchsetzen. In seinem Bericht führte der federführende Ausschuss aus, das Lieferkettengesetz sei mit dem Ziel und der Vorstellung auf den Weg gebracht worden, „gegenüber der geltenden Rechtslage keine zusätzlichen zivilrechtlichen Haftungsrisiken für Unternehmen zu schaffen“. Die Durchsetzung der neuen Sorgfaltspflichten solle nicht privaten Klägern, sondern den Behörden zugewiesen werden.

Dennoch gibt es Bestrebungen, eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen für Sorgfaltspflichtverstöße in der Lieferkette zu begründen. Befürworter führen unter anderem die richterrechtlich entwickelten Verkehrspflichten als Haftungsgrundlage an. Wer – vereinfacht gesprochen – eine Gefahrenquelle schafft, ist zur billigen Rücksichtnahme auf die Interessen von anderen verpflichtet oder plastischer: Wer ein Produkt im Markt verkauft, der muss sicherstellen, dass das Produkt schon seiner Konzeption nach dem gebotenen Sicherheitsstandard entspricht.

Die Rechtsprechung hat über die Jahrzehnte zahlreiche Verkehrspflichten entwickelt. Eine Sorgfaltspflicht hinsichtlich menschen- oder umweltrechtlicher Risiken in der Lieferkette – noch dazu für den Bereich von Tochterunternehmen und konzernfremden Dritten – gehörte bislang nicht dazu.

Es wird sich zeigen, ob Gerichte die neuen öffentlich-rechtlichen Sorgfaltspflichten zum Anlass nehmen werden, die allgemeine zivilrechtliche Haftung fortzuentwickeln. Sie werden sich dabei fragen müssen, ob eine solche Haftung durch die Hintertür trotz des ablehnenden Willens des Gesetzgebers des Lieferkettengesetzes möglich ist.

Novum im Deliktsrecht

Zusätzliche Brisanz gewinnt die Frage durch die im Lieferkettengesetz angelegte Ausdehnung des Sorgfaltspflichtenkreises eines Unternehmens über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus. Auch eine solche Ausdehnung wäre in dieser Breite ein Novum im deutschen Deliktsrecht.

Vielleicht werden diese Überlegungen kurzfristig auch wieder Makulatur, denn auf EU-Ebene wird derzeit ebenfalls an einer Lieferkettenrichtlinie gefeilt. Ein erster Vorschlag des Europäischen Parlaments sah eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen vor. Die Europäische Kommission will noch im Laufe dieses Jahres ihrerseits einen Entwurf vorlegen.

*) Matthias Schrader und Dr. Johannes Schmidt sind Counsel von Willkie Farr Gallagher in Frankfurt.