Recht und Kapitalmarkt

Abhängigkeiten von Mitgliedern des Aufsichtsrats vor Gericht

Bei Übernahmen divergieren Interessen von Gesellschaft und Hauptaktionären

Abhängigkeiten von Mitgliedern des Aufsichtsrats vor Gericht

Von Matthias Schüppen *) Eine wesentliche und durchaus intendierte Konsequenz der Corporate-Governance-Debatte sind wachsende Anforderungen an Aufsichtsratsmitglieder. Neben exponentiell steigenden Anforderungen an Inhalte der Aufsichtsratstätigkeit und die erforderliche Fachkompetenz steht dabei die Frage nach (möglichen) Interessenkonflikten und nach der persönlichen Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds im Vordergrund.Nach Ziff. 5.4.2 des Deutschen Corporate Governance Kodex soll dem Aufsichtsrat eine nach seiner Einschätzung ausreichende Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören. Jedes Aufsichtsratsmitglied soll Interessenkonflikte dem Aufsichtsrat gegenüber offenlegen (Ziff. 5.5.2); nicht nur vorübergehende Interessenkonflikte in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds sollen zur Beendigung des Mandats führen (Ziff. 5.5.3 Deutscher Corporate Governance Kodex). Einen ersten Einstieg in gesetzliche Unabhängigkeitsanforderungen bringt das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, mit dessen Inkrafttreten noch 2009 zu rechnen ist. Nach § 100 Abs. 5 AktG in der Fassung des Regierungsentwurfs muss dem Aufsichtsrat bei notierten Gesellschaften künftig mindestens ein unabhängiges Mitglied angehören, das zudem über Sachverstand in Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen muss.Dass diese Anforderungen nicht harmlose Theorie sind, sondern höchste praktische Brisanz entfalten können, haben verschiedene Auseinandersetzungen gezeigt. Mit der Eilentscheidung des Landgerichts (LG) Hannover (Az.: 21 T/09) verspricht die schaefflersche Conti-Übernahme auch in diesem Bereich Rechtsgeschichte zu schreiben. Gegen die gerichtliche Bestellung eines auf Wunsch von Schaeffler benannten Aufsichtsratsmitglieds durch das Amtsgericht hatte ein Aktionär sofortige Beschwerde zum Landgericht erhoben. Dieses hat über die Beschwerde noch nicht entschieden, doch zunächst mit einer vorläufigen Anordnung die Vollziehung der Bestellung des designierten Aufsichtsratschefs Rolf Koerfer ausgesetzt. Seiner Bestellung könne möglicherweise, so das LG, das Bestehen eines Interessenkonfliktes entgegenstehen. Landgericht liegt richtigIn der Tat dürfte das Landgericht Hannover damit richtig liegen. Ein Aufsichtsrat ist dem Interesse der Gesellschaft verpflichtet, das nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und der ganz überwiegenden Auffassung in der Wissenschaft mit dem Interesse der Aktionäre oder gar den Interessen eines Hauptaktionärs nicht notwendig identisch ist, sondern die Interessen sämtlicher Stakeholder einbeziehen muss. In einer mittel- und langfristigen Perspektive werden die Interessen des Hauptaktionärs und der Gesellschaft weitgehend deckungsgleich sein; deshalb kann für den Hauptaktionär und seine Vertreter im Normalfall kein Interessenkonflikt festgestellt werden.Anders ist dies jedoch in Verkaufs- oder Übernahmesituationen: in diesen Fällen treten gravierende Abweichungen zwischen den Interessen der Gesellschaft und Interessen einzelner (Haupt-)Aktionäre auf. Deshalb ist naheliegend, dass ein juristischer Berater und enger Vertrauter des Bieters sich im Interessenkonflikt befindet. Letztlich wird dies dokumentiert durch den bisherigen Verlauf der Übernahme und den Abschluss der frühestens im Frühjahr 2014 kündbaren Investorenvereinbarung. Diese dient gerade der Abgrenzung der Interessenssphären von Gesellschaft einerseits, des Bieters andererseits, setzt das Bestehen eines Interessenwiderstreites voraus und erkennt diesen implizit an. Wenig überzeugend ist vor diesem Hintergrund, wenn sich der betroffene Rechtsanwalt nach Presseberichten dahingehend einlässt, dass er “ein professionelles Selbstverständnis” habe und dadurch gewährleistet sei, dass er “zwischen den einzelnen Interessen sehr wohl zu trennen” wisse: eine etwa vorhandene Schizophrenie wäre kaum geeignet, die gerichtliche Entscheidung günstig zu beeinflussen. Allerdings wird in der juristischen Kommentarliteratur die Auffassung vertreten, dass das Gericht bei seiner Auswahlentscheidung zu berücksichtigen habe, wer von der Hauptversammlung (HV) mutmaßlich bestellt worden wäre. Dem wird man jedoch nicht folgen können. Denn es ist bei der gerichtlichen Bestellung von Aufsichtsräten nicht Aufgabe des Gerichts, eine Mehrheitsentscheidung der Aktionäre zu antizipieren, sondern nach pflichtgemäßem Ermessen die Eignung eines bis zur Wahl durch die HV zu bestellenden Kandidaten eigenständig festzustellen. Ist ein gravierender und nicht nur punktueller Interessenkonflikt zu besorgen, so fehlt es an dieser Eignung. Noch deutlicher wird die Rechtslage, wenn man einer kürzlich vom OLG München (Urteil vom 6.8.2008, Az.: 7 U 5628/07) vertretenen Auffassung folgt. Danach verstoßen die Organe einer AG gegen § 161 AktG, wenn sie entgegen ihrer Entsprechenserklärung eine Kodexempfehlung missachten, ohne die geänderte Absicht bekannt zu machen. Die aktuelle Entsprechenserklärung von Conti enthält weder hinsichtlich Ziffer 5.4.2 noch hinsichtlich des Abschnitts 5.5 eine Einschränkung, sodass diese Empfehlungen für die Gesellschaft bis auf Weiteres Normqualität erlangt hätten. *) Dr. Matthias Schüppen ist Rechtsanwalt bei Graf Kanitz, Schüppen & Partner.