Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Ralf Schnaittacher

Abstimmungsverfahren wird nach Effizienzgesichtspunkten gewählt

Irritationen auf der Infineon-HV - Wechsel des Prozederes durchaus üblich

Abstimmungsverfahren wird nach Effizienzgesichtspunkten gewählt

– Herr Schnaittacher, das Abstimmungsergebnis der Hauptversammlung (HV) von Infineon hat gewisse Irritationen ausgelöst. Welche Verfahren zur Ermittlung eines Abstimmungsergebnisses gibt es?Die Praxis wendet zwei Methoden an: das Additions- und das Subtraktionsverfahren. Beim Additionsverfahren werden Ja- und Nein-Stimmen gesondert gezählt. Zusammen ergeben sie die Zahl der abgegebenen Stimmen. Die Präsenz spielt dabei keine Rolle. Enthaltungen werden üblicherweise nicht erfasst, da sie verfahrenstechnisch irrelevant sind und bei Ermittlung der abgegebenen Stimmen unberücksichtigt bleiben.- Beim Subtraktionsverfahren?Dort werden nur Nein-Stimmen und Enthaltungen ausgezählt. Um die abgegebenen Stimmen zu ermitteln, werden die Stimmenthaltungen von der Präsenz subtrahiert. Die Ja-Stimmen ergeben sich, indem sodann die Nein-Stimmen abgezogen werden. Das Subtraktionsverfahren lässt sich auch “umgekehrt” durchführen, indem anstelle der Nein-Stimmen die Ja-Stimmen und Enthaltungen ausgezählt werden. Hier spricht man vom umgekehrten Subtraktionsverfahren.- Welches Verfahren ist üblich?Beide sind üblich. Das Additionsverfahren birgt ein geringes Fehlerpotenzial, da es auf die Präsenz nicht ankommt. Allerdings kostet es bei großen HV viel Zeit. Das Subtraktionsverfahren ist effizienter und bietet sich daher auf größeren HV an, insbesondere dann, wenn über viele Tagesordnungspunkte zu beschließen ist. Um das immanente Fehlerrisiko zu beherrschen, muss laufend die Präsenz kontrolliert werden, weil sie für die Ermittlung der Ja- beziehungsweise Nein-Stimmen elementar ist. Außerdem muss der Versammlungsleiter das Verfahren vorab erläutern, da die Nichtabgabe der Stimme als Zustimmung oder Ablehnung gewertet wird.- Inwieweit kann der Aufsichtsratschef durch die Wahl des Auszählungsverfahrens das Abstimmungsergebnis beeinflussen?Möglicherweise wird die eine oder andere Stimme, die beim Additionsverfahren als Stimmenthaltung gewertet würde, beim Subtraktionsverfahren als Ja- oder Nein-Stimme gezählt, was aber am Aktionärsverhalten liegt, nicht am Zählverfahren.- Ist es üblich, dass der Versammlungsleiter den Abstimmungs-Modus während der HV ändert und von einem zum anderen Verfahren übergeht?Aber ja. Das Verfahren wird in der Regel nach Effizienzgesichtspunkten ausgewählt. Darf der Versammlungsleiter annehmen, dass der jeweilige Verwaltungsvorschlag eine breite Mehrheit findet, bietet es sich an, nur Nein-Stimmen und Enthaltungen auszuzählen, um den Abstimmungsprozess zu beschleunigen. Das gilt auch für Gegenanträge, für die eine Ablehnung wahrscheinlich ist: Das umgekehrte Subtraktionsverfahren drängt sich hier geradezu auf, um Zeit zu gewinnen – auch wenn bei der Abhandlung der übrigen Tagesordnungspunkte das Subtraktions- oder das Additionsverfahren angewandt wird.- Ist das umgekehrte Subtraktionsverfahren nach Ihrer Erfahrung ausländischen institutionellen Investoren klar, oder besteht hier immer noch Erklärungsbedarf?Ich glaube, es interessiert sie nicht. Es handelt sich dabei nicht um eine inhaltliche Behandlung von Tagesordnungspunkten, sondern nur um eine Verfahrensart zur Durchführung des Abstimmungsprozesses.- Sollte das Prozedere nicht besser vereinheitlicht werden?Nein, die Anzahl der Abstimmungsmethoden ist überschaubar und bietet die nötige Flexibilität, um auf verschiedene Situationen zu reagieren.Institutionelle Investoren entscheiden meist nach Kenntnis der Tagesordnung lange vor der Hauptversammlung und geben ihre Stimmen über entsprechende Dienstleister im Vorhinein ab, Gegenanträge auf der HV fallen dann durchs Raster.- Hat dadurch die Verwaltung nicht einen Informationsvorteil, den sie in der HV ausspielen kann?Letztlich entscheiden die Aktionäre und nur die Aktionäre. Auch Vorschläge der Verwaltung müssen in der Versammlung von entsprechenden Mehrheiten getragen werden. Will sich ein Aktionär aktiv in den Prozess einschalten, ist Präsenz auf der Versammlung zu empfehlen.—-Ralf Schnaittacher ist Partner bei Mayer Brown. Die Fragen stellte Walther Becker.