RECHT UND KAPITALMARKT

Ad-hoc-Publizität in neuer Auflage

BaFin-Konsultationsverfahren - Zwischenschritte bleiben kontrovers - Zutreffender Maßstab für die Kurserheblichkeit

Ad-hoc-Publizität in neuer Auflage

Von Lutz Krämer und Alexander Kiefner *) Die BaFin hat am 4. Juli 2019 den mit Spannung erwarteten Entwurf für das Modul C ihres Emittentenleitfadens (Insiderüberwachung, Ad-hoc-Publizität, Geschäfte von Führungskräften, Verbot der Marktmanipulation) veröffentlicht. Die fünfte Leitfaden-Auflage greift nicht nur die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen auf, also insbesondere die im Juli 2016 in Kraft getretene Marktmissbrauchsverordnung (MAR), sondern auch die MAR-Verwaltungspraxis, die bislang nur lückenhaft in FAQs der BaFin verlautbart wurde. Im Fokus steht – wenig überraschend – die Ad-hoc-Publizität für Aktienemittenten. Die Praxis wird mit der weit überwiegenden Anzahl der Ergänzungen und einigen Liberalisierungen gut leben können. Bis Ende August nimmt die BaFin Kommentare zu ihrem Entwurf entgegen. Im Zentrum dürften dann die Ausführungen zur Ad-hoc-Publizität bei Zwischenschritten in gestreckten Sachverhalten stehen.Dreh- und Angelpunkt der Diskussion um die Ad-hoc-Publizität ist der Begriff der Insiderinformation, dort vor allem die Merkmale der “präzisen Information” und der “Eignung zur spürbaren Kursbeeinflussung”. Zu begrüßen ist, dass die BaFin bei der Kurserheblichkeit – Maßstab ist die Ex-ante-Einschätzung eines “verständigen Anlegers” – anders als noch in ihren FAQ keine Berücksichtigung des Verhaltens auch irrational handelnder Marktteilnehmer mehr fordert. Die Verquickung von “verständigem” und “irrationalen” Marktverhalten führte zu einer unzutreffenden Erweiterung des Bewertungsmaßstabes, die zudem Gefahr lief, Rückschaufehler (sog. Hindsight Bias) zu begünstigen. Auch die weiteren Ausführungen der BaFin zur präzisen Information und Kurserheblichkeit sind nachvollziehbar. Die im Entwurf aufgeführten Beispiele betreffen freilich häufig eindeutige Fallgestaltungen, die offenkundig den Beurteilungsspielraum der BaFin für anders gelagerte Fälle nicht einschränken sollen.Aus Sicht der Marktteilnehmer enttäuschend ist, dass die BaFin weiterhin eine enge Interpretation der sog. Geltl-Entscheidung des EuGH zu Zwischenschritten bei gestreckten Sachverhalten vertritt. Die in der MAR angelegte Differenzierung der Zwischenschritte nach solchen, die für sich genommen eine Insiderinformation darstellen können, und solchen, deren Bedeutung sich aus der Beurteilung der Eintrittswahrscheinlichkeit des Endereignisses ergibt, führte schon bisher wegen der strengen BaFin-Lesart in der Praxis zur Rechtsunsicherheit und bisweilen zu unnötigen Kurskapriolen. Betonung des EinzelfallsEinige von der BaFin wiederholt herangezogene Beispiele (Übernahmeangebote und Squeeze-out) zeigen deutlich, dass es maßgeblich auf die Art der Transaktion und die besondere Bedeutung zentraler Zwischenschritte ankommt. Gleichwohl schreckt die BaFin vor klaren Richtlinien zurück und (über)betont die Umstände des Einzelfalls, wie die eher kleinteiligen BaFin-Ausführungen zu M&A-Prozessen als der praktisch wichtigsten Fallgruppe eindrücklich belegen.So wichtig und komplex die Gesamtschau und Bewertung gestreckter Sachverhalte ist, so muss dann auch die Einschätzungsprärogative der Emittenten in Bezug auf die Qualität des Zwischenschritts als Insiderinformation gelten. Das allgemeine Petitum der BaFin, die Emittenten hätten im Zweifel stets diejenige Auslegung zu wählen, die Prävention von Insiderhandel und Herstellung größtmöglicher Chancengleichheit und Transparenz am besten sicherstellt, ist unter bußgeldrechtlichen Aspekten eine Überspannung der Emittentenpflicht.Begrüßenswert sind die Ausführungen der BaFin zu Prognosen und Geschäftszahlen. Hier ist insbesondere auf die gesteigerte Bedeutung der Markterwartung (in Form der Konsensus-Schätzung) sowie die detaillierte Einschätzung der verschiedenen Prognosearten und Prognosekorridore hinzuweisen. Diese bieten für die Praxis eine handhabbare Richtschnur. Die ebenfalls erweiterten Ausführungen zu Kapitalmaßnahmen, Rückkaufprogrammen, Personalentscheidungen und Gerichtsverfahren zeigen an einigen Stellen wiederum, dass die Überbetonung jedes Zwischenschritts zu mitunter praxisfremden Ergebnissen führt. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Möglichkeit einer Selbstbefreiung nicht eröffnet ist. Bei Gerichtsverfahren müsste zum Beispiel konsequenterweise nicht nur ein Hinweisbeschluss des Gerichts, sondern auch ein “starker Schriftsatz” der Gegenseite einen Zwischenschritt darstellen können; ein solcher wird jedoch richtigerweise nie zu einer Veröffentlichung führen, weil dies fundamental mit der prozessualen Chancengleichheit börsennotierter und nicht börsennotierter Gesellschaften kollidierte.Bei Personalentscheidungen vertritt die BaFin die Einschätzung, dass bereits die Konkretisierung auf einen “engen Personenkreis” einen insiderrelevanten Zwischenschritt auf dem Weg zur Neubesetzung eines Organs darstellen könne. Vorstandskandidaten, Aufsichtsratsvorsitzende und Headhunter werden eine solch vorgelagerte Veröffentlichungspflicht eher kopfschüttelnd registrieren. Überdies wird eine Kursrelevanz in diesem Stadium aus Ex-ante-Sicht praktisch nie vorliegen. Ausdrücklich zu begrüßen sind die erstmals aufgenommenen Ausführungen zu verknüpften Insiderinformationen, die ein in der Praxis häufiges anzutreffendes Problem adressieren. Rolle des AufsichtsratsDie Klarstellung der BaFin, dass der Aufsichtsrat für originär in seine Zuständigkeit fallende Entscheidungen (wie die Bestellung oder Abberufung von Vorstandsmitgliedern) auch eine ausschließliche (Annex-)Kompetenz für die Ad-hoc-Publizität – namentlich bezieht sich die BaFin auf die Zuständigkeit für die Selbstbefreiung – hat, ist zu begrüßen. Dies gilt ebenso für die Aussage, dass eine Delegation an einen Aufsichtsratsausschuss möglich ist. Nicht überzeugend ist es demgegenüber, die eigentliche Veröffentlichungskompetenz beim Vorstand zu belassen. Die Entscheidung über das Ob einer Insiderinformation ist regelmäßig untrennbar mit dem Wann und dem Wie einer Veröffentlichung verbunden. Weshalb der Aufsichtsrat nicht direkt die Meldung über Investor Relations veranlassen können soll, erschließt sich nicht.Die Ausführungen zur Selbstbefreiung beschränken sich im Kern auf die bisherigen Verlautbarungen der ESMA. Es bleibt dabei, dass die Grenzen für eine Selbstbefreiung enger geworden sind und bestimmte Bereiche (wie etwa Prognoseänderungen) einer Selbstbefreiung kaum noch zugänglich sind. Zu begrüßen ist die Klarstellung, dass es unter Geltung der MAR nur auf berechtigte Emittenteninteressen ankommt und nicht auf deren Überwiegen gegenüber dem allgemeinen Transparenzinteresse.Erfreulich ist, dass die BaFin zur rechtzeitigen Befassung des Emittenten mit Ad-hoc-Sachverhalten konkretisierende und praxisangemessene Ausführungen macht. So wird die Einbeziehung externer Experten ausdrücklich gestattet, und es werden keine zu engen zeitlichen Grenzen gezogen, was die sorgfältige Ermittlung des Sachverhalts und dessen rechtliche Bewertung angeht. Im Zusammenhang mit der Ermittlung (vorläufiger) Konzern-Geschäftszahlen wird etwa ausgeführt, dass dieser Prozess eine Konsolidierung und Plausibilisierung durch den Vorstand einschließt. Dies umfasst auch eine Prüfung, wie sich etwaige noch ausstehende Korrekturen auf das finale Zahlenwerk auswirken können. Der Verweis der BaFin auf das Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens als zeitlicher Schranke versteht sich von selbst. Nachjustierungen erhofftInsgesamt ist es der BaFin mit ihrem Entwurf gut gelungen, die neue Verwaltungspraxis in einer Quelle transparent und ausführlich darzustellen. Aus Sicht der Praxis ist zu hoffen, dass das Konsultationsverfahren insbesondere zu Zwischenschritte bei gestreckten Sachverhalten noch zu Nachjustierungen führen wird. Ungeachtet dessen wird das demnächst finalisierte Modul C schnell zum ständigen Begleiter aller Kapitalmarktteilnehmer werden.*) Dr. Lutz Krämer und Dr. Alexander Kiefner sind Partner von White & Case in Frankfurt.