ASSET MANAGEMENT - GASTBEITRAG

Aktieninvestitionen und die Macht der Gewohnheit

Börsen-Zeitung, 2.7.2013 Akteure handeln rational, logisch und nutzenmaximierend. Diese Grundsätze hört jeder Wirtschaftsstudent schon im ersten Semester - auf ihnen basiert die gesamte Finanzmarkttheorie. Doch mittlerweile hinterfragt die...

Aktieninvestitionen und die Macht der Gewohnheit

Akteure handeln rational, logisch und nutzenmaximierend. Diese Grundsätze hört jeder Wirtschaftsstudent schon im ersten Semester – auf ihnen basiert die gesamte Finanzmarkttheorie. Doch mittlerweile hinterfragt die Behavioral-Finance-Forschung diese Annahmen.Denn das Verhalten der Marktteilnehmer sieht in der Realität anders aus: Von Gewohnheiten dominiert, entwickeln Investoren Handlungsmuster, die häufig auf Fehleinschätzungen basieren. Studien zeigen: Hat man einmal diese Muster erkannt, lassen sich profitable Anlagestrategien ableiten – zum Beispiel mit aktiv verwalteten Exchange Traded Funds.Anleger stehen an der Börse meistens vor zwei großen Problemen: zu wenig relevante Information und zu viel Unsicherheit. Trotzdem müssen sie ständig Entscheidungen treffen: Sollen Gewinne mitgenommen werden? Lohnt sich ein Engagement in einem Unternehmen, dessen Kurs stark gefallen ist? Trennt man sich von Aktien, die sich im Abwärtstrend befinden? Oft nicht rationalIn der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierte in der Wissenschaft das Menschenbild des rational handelnden Homo oeconomicus. Die israelischen Wissenschaftler Daniel Kahneman und Amos Tversky aber haben mit ihrer “Neuen Erwartungstheorie”, für die sie den Nobelpreis bekamen, eine entscheidende Wahrnehmungsverzerrung aufgedeckt, die die Rationalität der Akteure in Frage stellt: Anleger nehmen Gewinne und Verluste unterschiedlich wahr. Die Freude über einen Gewinn von 100 Euro ist nicht so groß wie der Ärger über den Verlust von 100 Euro. Das ist zwar nicht rational, aber menschlich.Dieser Ansatz der Verhaltensökonomik findet auch empirisch Bestätigung: Analysiert man die weltweit wichtigsten 2 500 Aktien seit 1985, zeigt sich ein differenziertes Kursmuster, das das Verhalten der Anleger spiegelt. So neigen die Marktakteure dazu, Gewinneraktien tendenziell zu früh zu verkaufen und das Preismomentum so nicht voll auszunutzen. Gleichzeitig halten Anleger Verliereraktien oft zu lange, statt durch rechtzeitigen Ausstieg die Verluste zu begrenzen.Zwei Beispiele sollen zeigen, wie das typische Kauf- und Verkaufsverhalten in Auf- und Abwärtstrends aussieht und wie Investoren die beschriebene Irrationalität durch systematische Portfolioauswahl nicht nur vermeiden, sondern sogar nutzen können. Aktien im Aufschwung versprechen häufig auch über einen längeren Zeitraum hohe Erträge: Die typische Kursentwicklung lässt sich in drei Phasen aufteilen.Die Gründe für einen kurzfristig markanten Kursanstieg in der ersten Phase sind vielfältig: Unternehmensergebnisse, die die Erwartungen übertreffen, Übernahmegerüchte oder eine neue Konzernleitung können Auslöser sein. Ist die erste Euphorie vorüber, kommt es in der zweiten Phase zur Konsolidierung: Der Aufschwung wird unterbrochen, ein kurzer Kursrückgang folgt. Während dieser Zeit realisieren viele Investoren ihre Gewinne: Entweder weil sie es für unwahrscheinlich halten, dass sich die Aktie nach dem starken Anstieg noch weiter positiv entwickeln wird, oder weil sie attraktivere Anlagemöglichkeiten sehen. Der Rückgang hält nicht lange an. In Phase drei setzt sich der langfristige Kursanstieg fort, im Durchschnitt über mehrere Monate. Auf Dauer vertrauen die Investoren auf Unternehmen, die bereits in der Vergangenheit einen positiven Geschäftsverlauf durch strategisch erfolgreiche Geschäftsführung aufwiesen. Phasen im AbwärtstrendAuch im Abwärtstrend konnten die Wissenschaftler typische Phasen erkennen: Fällt ein Aktienkurs infolge von negativen Unternehmens- oder Branchennachrichten, Gerüchten oder vorsichtigen Analysteneinschätzungen, führt dies in der ersten Phase oft zu weiteren Verkäufen. Ein Grund sind risikoaverse Anleger, die eine absolut orientierte Renditesichtweise haben: Diese Investoren realisieren lieber einen kleinen Verlust, als einen möglichen weiteren Kursverfall in Kauf zu nehmen.Häufig sind auch Unterschreitungen der Kursuntergrenzen das entscheidende technische Signal für weitere Verkäufe. Nach einem substanziellen Kursrückgang erholt sich der Aktienkurs in der zweiten Phase im Durchschnitt binnen mehrerer Wochen. Diese relativ schnelle Erholung zeugt von einer Überreaktion der Anleger auf die Negativnachrichten in der ersten Phase, die in der nun folgenden Erholungsphase kompensiert wird. In dieser Phase kaufen Anleger, die den markanten Kursrückgang als übertrieben erachten und eine günstige Einstiegsmöglichkeit sehen. Überreaktionen erkennenOft handelt es sich dabei um professionelle Anleger, die solche Überreaktionen systematisch erkennen und die Aktien trotz Negativnachrichten kaufen. Das fördert die Konsolidierung, bevor die Aktienkurse in der dritten Phase, der Momentumphase, zu neuen Kurssteigerungen ansetzen.Doch wie lassen sich diese wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Investmentpraxis nutzen? In der heutigen Zeit werden Investoren von Informationen überschwemmt. In den Medien und auf Finanzportalen erscheinen neue Nachrichten über Unternehmen, Industrien, Länder und die Gesamtwirtschaft im Sekundentakt.Die Unterscheidung, ob diese Informationen kursrelevant sind oder nicht, fällt dabei schwer. Studien zeigen: Fehlentscheidungen basieren oft auf der Überschätzung unwichtiger Nachrichten. Bessere Resultate werden erzielt, wenn man die Entscheidung aufgrund weniger, aber wichtiger Informationen fällt und alle anderen Nachrichten ausblendet.Eine Möglichkeit, dieses Verhaltensmuster in der Praxis umzusetzen, besteht darin, Anlageentscheidungen systematisch zu fällen, indem Kauf- und Verkaufsentscheidungen aufgrund klarer Regeln getroffen werden. Aktiv gemanagte Exchange Traded Funds (ETF) setzen diese Strategien mittels eines dynamischen Modells, das die verschiedenen Ansätze kombiniert, systematisch und diszipliniert um. Dabei nutzt das Portfoliomanagement zum einen Trendindikatoren zur Identifizierung von Anomalien bei Aktienkursen, die sich durch typische Verhaltensmuster der Anleger ergeben, um so durch das Anlegerverhalten verursachte Marktanomalien erkennen zu können. Langfristige AnomalienZum anderen nutzt das Portfoliomanagement mit dem Fokus auf Unternehmensbewertungen mittel- und langfristige Bewertungs- und Kursdynamik-Anomalien, um in unterbewertete Aktien zu investieren. Dabei wird auf den Einsatz von Derivaten, Swaps oder Optionen völlig verzichtet.Vielmehr liegt der Fokus auf einem ausgewogenen Aktienportfolio, das die zum Teil irrationalen Verhaltensweisen der Investoren antizipiert und strategisch nutzt. Entsprechende Ucits-IV-regulierte ETF sollten dabei breit gestreut in bis zu 200 Positionen investieren. Über das Börsen-Listing sind so in jeweils einer aktiv verwalteten Investmentlösung die Märkte Europa, Asien, die Schwellenmärkte sowie der globalen Aktienmarkt investierbar.—-Alexander Gerstadt, Vorsitzender des Vorstands Swiss & Global Asset Management Kapital —-Stefan Fröhlich, Portfoliomanager Swiss & Global Asset Management