RECHT UND KAPITALMARKT

Aktionäre werden kritischer

Vergütung, Aufsichtsratswahlen, Entlastung und Nachhaltigkeit fordern Unternehmen in Hauptversammlungen heraus

Aktionäre werden kritischer

Von Oliver Rieckers *)Die neue Hauptversammlungssaison nähert sich mit großen Schritten. Bei vielen Unternehmen laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren und die ersten Hauptversammlungen (HV) haben bereits stattgefunden. Wirft man einen Blick zurück auf die teilweise recht turbulente HV-Saison 2019, lassen sich aus den dort zu beobachtenden Trends auch Lehren für das Jahr 2020 ziehen. Einfluss auf die neue HV-Saison wird zudem das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (Arug II) haben, das nach langem Vorlauf und mit einiger Verspätung zum 1.1.2020 in Kraft getreten ist. Auch der grundlegend überarbeitete Corporate Governance Kodex sorgt für Aufmerksamkeit. Einfluss der InvestorenDie HV-Saison 2019 war geprägt durch den bereits seit Jahren zunehmenden Einfluss der institutionellen Investoren und Stimmrechtsberater (Proxy Advisors). Anders als in der Vergangenheit nehmen institutionelle Investoren ihre Rechte in der Hauptversammlung heute aktiver wahr, was zu steigenden Präsenzen führt. Mit durchschnittlich 64,85 % erreichten 2019 die Präsenzen im Dax den höchsten Wert seit mehr als 20 Jahren.Mit diesem zunehmenden Interesse geht ein gestiegener Einfluss der Stimmrechtsberater einher, deren Abstimmungsempfehlungen häufig in die Entscheidung institutioneller Investoren über die Stimmrechtsausübung einfließen. Bemerkbar machte sich der Einfluss der institutionellen Investoren und Stimmrechtsberater im letzten Jahr vor allem bei der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat. Auffällig war zunächst, dass in einer Reihe von Hauptversammlungen entgegen der bislang üblichen Praxis über die Entlastung der Organmitglieder einzeln abgestimmt wurde. Neben dem Trend zur Einzelentlastung ließ sich an den Abstimmungsergebnissen der Entlastungsbeschlüsse beobachten, dass die Aktionäre kritischer geworden sind. Zustimmungsquoten von deutlich über 90 % sind nicht mehr die Regel.Der Trend zu einer aktiveren Wahrnehmung der Aktionärsrechte durch institutionelle Investoren wird 2020 anhalten. Vorstand und Aufsichtsrat sind daher gut beraten, bei der Formulierung ihrer Beschlussvorschläge die Abstimmungsrichtlinien der Stimmrechtsberater und die eigenen Richtlinien institutioneller Investoren im Blick zu haben, die teilweise deutlich über die gesetzlichen Vorgaben und über die Empfehlungen des Corporate Governance Kodex hinausgehen.Nach wie vor im besonderen Fokus der Stimmrechtsberater stehen die Vorstandsvergütung und die Zusammensetzung des Aufsichtsrats. Bei den Aufsichtsratswahlen liegen die Schwerpunkte auf Diversity sowie auf der Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder und der Verhinderung einer übermäßigen Ämterhäufung (Overboarding). Während das Thema Diversity in Form der Geschlechterquote bereits Eingang in das Aktiengesetz gefunden hat, finden sich dort bislang keine konkreten Anforderungen zur Unabhängigkeit. Die gesetzlichen Vorgaben zur Ämterhäufung bleiben weit hinter den Vorgaben der Stimmrechtsberater zurück.Auch der bisherige Corporate Governance Kodex ist bei den Empfehlungen zur Unabhängigkeit und zur Ämterhäufung weniger streng. Hier versucht die zuständige Regierungskommission nunmehr mit verschärften Empfehlungen im neuen Kodex verlorenen Boden gutzumachen. Dass es der Regierungskommission damit gelingt, die alleinige Deutungshoheit bei diesen Themen zurückzuerobern, darf allerdings bezweifelt werden, so dass auch nach Inkrafttreten des neuen Kodex die Richtlinien der Stimmrechtsberater weiterhin äußerst relevant sein werden.Bei der Vorstandsvergütung dürften auch künftig neben dem Gesamtumfang der Vergütung vor allem die variablen Vergütungsbestandteile und die entsprechenden Erfolgsziele im Zentrum der Diskussion stehen. Weiter zunehmende Bedeutung dürften dabei die zuletzt viel diskutierten Möglichkeiten zur Rückforderung von Vergütungsbestandteilen (Clawback) haben. Insgesamt ist zu erwarten, dass die institutionellen Investoren und Stimmrechtsberater das Thema Vorstandsvergütung weiterhin kritisch begleiten und mit ihren Abstimmungsrichtlinien die Entwicklung maßgeblich prägen. Kritikpunkte waren in der Vergangenheit insbesondere mangelnde Transparenz und als zu groß empfundene Ermessensspielräume des Aufsichtsrats bei der Festsetzung variabler Vergütungsbestandteile.Zumindest die Transparenz der Vergütung soll sich mit den Neuregelungen des Arug II verbessern. Danach muss der Aufsichtsrat künftig ein klares und verständliches Vergütungssystem mit bestimmten Mindestangaben beschließen. Das Vergütungssystem ist bei wesentlichen Änderungen, mindestens jedoch alle vier Jahre, der Hauptversammlung zur Billigung vorzulegen (Say on Pay).Hinzu kommt eine nachgelagerte Berichtspflicht von Vorstand und Aufsichtsrat in Form eines Vergütungsberichts, über den die Hauptversammlung jährlich beschließt. Allerdings sind weder der Beschluss über das Vergütungssystem noch der Beschluss über den Vergütungsbericht verbindlich. Auch die Anfechtbarkeit wurde vom Gesetzgeber ausgeschlossen. Die Möglichkeit einer verbindlichen Beschlussfassung der Hauptversammlung besteht künftig aber hinsichtlich der Maximalvergütung der Vorstandsmitglieder.Nach der in letzter Sekunde in das Gesetz aufgenommenen Regelung muss der Aufsichtsrat in das Vergütungssystem eine Maximalvergütung aufnehmen, die für jedes einzelne Vorstandsmitglied oder für den Gesamtvorstand festgelegt werden kann. Diese Maximalvergütung kann dann von der Hauptversammlung durch Beschluss herabgesetzt werden. Allerdings ist hierfür ein entsprechender Tagesordnungspunkt erforderlich, der von Aktionären nur mittels eines sogenannten Ergänzungsverlangens auf die Tagesordnung der Hauptversammlung gesetzt werden kann. Hierfür ist ein recht hohes Quorum in Höhe von 500 000 Euro oder 5 % des Grundkapitals erforderlich, so dass entsprechende Beschlüsse eher die Ausnahme bleiben dürften.Zu beachten ist, dass die Neuregelungen zur Vergütung nach der gesetzlichen Übergangsregelung noch nicht unmittelbar ab dem 1.1.2020 befolgt werden müssen. Die erstmaligen Beschlussfassungen des Aufsichtsrats und der Hauptversammlung über das Vergütungssystem müssen bis zum Ablauf der ersten ordentlichen Hauptversammlung nach dem 31.12.2020 erfolgen. Der Vergütungsbericht muss erstmals für das nach dem 31.12.2020 beginnende Geschäftsjahr erstellt werden. Da die Übergangsregelung für die erstmaligen Beschlussfassungen nur ein Enddatum vorgibt, steht es den Unternehmen frei, der Hauptversammlung bereits in der HV-Saison 2020 ein Vergütungssystem nach den neuen Vorgaben zur Billigung vorzulegen. Dem Vernehmen nach planen mehrere Unternehmen, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Diskussion über KlimaschutzEin Thema, das für institutionelle Investoren ständig an Bedeutung gewinnt, ist schließlich die Nachhaltigkeit der Investitionen. Dementsprechend nehmen Fragen der Environmental and Social Governance (ESG) und – davon umfasst – der Corporate Social Responsibility (CSR) zunehmend Eingang in die Hauptversammlungen, etwa bei den Entlastungsentscheidungen. In diesem Zusammenhang sind auch die in das Handelsgesetzbuch eingefügten CSR-Berichtspflichten von Bedeutung, mit denen bereits in der HV-Saison 2018 erste Erfahrungen gesammelt werden konnten.Da Nachhaltigkeit angesichts der aktuellen Klimaschutzdebatte nicht nur ein Thema institutioneller Investoren ist, dürfte der Klimaschutz verstärkt auch zum Gegenstand von Redebeiträgen und Fragen im Rahmen der Generaldebatte gemacht werden. Dieser Trend ließ sich schon im letzten Jahr beobachten und dürfte sich weiter verstärken. Auch Protestaktionen von Klimaaktivisten erscheinen nicht ausgeschlossen.Wie schon im letzten Jahr werden zudem Fragen der Digitalisierung und des Datenschutzes weiterhin eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung und Durchführung von Hauptversammlungen spielen. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die Unternehmen auch in der HV-Saison 2020 wieder viel Arbeit investieren müssen, um den gesetzlichen Vorgaben und den Erwartungen ihrer Investoren gerecht zu werden. Es gilt wiederum, dass nur mit guter Vorbereitung eine reibungslose und anfechtungssichere Hauptversammlung gelingt. *) Dr. Oliver Rieckers ist Partner bei Hengeler Mueller in Düsseldorf.