ASSET MANAGEMENT - GASTBEITRAG

Anleger zwischen Zinswende und Zeitenwende

Börsen-Zeitung, 21.5.2013 Das aktuelle Marktumfeld und die langfristigen Aussichten zwingen Anleiheinvestoren zu einem grundsätzlichen Überdenken ihrer traditionellen Anlagestrategien. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Welt des...

Anleger zwischen Zinswende und Zeitenwende

Das aktuelle Marktumfeld und die langfristigen Aussichten zwingen Anleiheinvestoren zu einem grundsätzlichen Überdenken ihrer traditionellen Anlagestrategien. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Welt des Anleihemanagements enorm weiterentwickelt. So ist das Volumen des globalen Rentenmarktes von etwa 15 Bill. Dollar im Jahr 1989 auf rund 92 Bill. Dollar 2012 angewachsen.Statt eines überschaubaren Anlageuniversums an Staatsanleihen, Pfandbriefen und einigen qualitativ hochwertigen Unternehmenstiteln gibt es heute ein breites und differenziertes Spektrum an Sektoren, Teilsektoren, Ländern und Währungen und Finanzderivaten über alle Bereiche der Kapitalstruktur von staatlichen und privaten Emittenten hinweg. Und während die Risiken früher vorwiegend auf Basis der Laufzeit, der Bonität und der Duration beurteilt wurden, sind die heutigen Risikomaße wesentlich ausgefeilter und spezialisierter. Motive sind gleichWas sich aber nicht wesentlich verändert hat, sind die Motive, aus denen sich Anleger für festverzinsliche Wertpapiere entscheiden: Ganz gleich, ob sie auf der Suche nach Zinseinkommen, Gesamtertrag, Liquidität, Diversifikation, Absicherung gegen Deflation oder Liability Management waren – Anleihen galten während des größten Teils der vergangenen 25 bis 30 Jahre als Königsklasse der Geldanlage.Nun treten wir jedoch in ein neues Zeitalter ein, das für Anleiheinvestoren zumindest teilweise unangenehm werden dürfte. Zwar werden Zinstitel auch weiterhin eine zentrale Rolle in den Portfolios einnehmen. Anleger sollten aber ihren Investmentansatz im Anleihesektor in Erwartung langfristiger Veränderungen wie eines Anstieges des Zinsniveaus und der Inflationsraten grundsätzlich überdenken, um sich langfristig richtig zu positionieren, insbesondere bei der Erreichung ihrer Einkommens- und Absolute-Return-Ziele. Hier geht es nicht nur um ein paar Stellschrauben, sondern um die gesamte Einstellung gegenüber der Bandbreite an genutzten Standardinstrumenten und -strategien.In der heutigen Situation mit deutlich geschrumpften Zinssätzen, Risikoprämien und damit einhergehend auch reduzierten langfristigen Ertragserwartungen sollten Anleger mit spezifischen Rendite- oder Ertragszielen grundsätzlich eine Einbeziehung von flexiblen und liquiditätsorientierten Strategien erwägen, die eine gezielte Einkommensgenerierung sowie absolute Renditen in verschiedenen Marktphasen anstreben. Darüber hinaus dürften auch Absicherungsstrategien gegen Inflation an Bedeutung gewinnen, wenn die Auswirkungen der akkommodierenden Notenbankpolitik auf globaler Ebene zunehmend spürbar werden und sich in Form höherer Teuerungsraten niederschlagen. Ertragsorientierter AnsatzDas offenkundigste Problem für Investoren stellen die geringen Marktzinsen dar: In der heutigen Situation mit deutlich geschrumpften Zinssätzen und reduzierten Ertragserwartungen sollten Anleger mit spezifischen Rendite- oder Ertragszielen eine Einbeziehung von flexiblen und liquiditätsorientierten Strategien erwägen, die auf gezielte Einkommensgenerierung sowie absolute Erträge nach Abzug der Inflation ausgerichtet sind. Das beinhaltet notwendigerweise ein Umschwenken auf einen ertragsorientierteren Ansatz.Dabei ist keine Konzentration auf den High-Yield-Bereich und andere risikoreiche Sektoren nötig. Allerdings sind flexiblere Ansätze nötig, um Anlagemöglichkeiten über ein breites Spektrum zu nutzen. Daher dürften etwa Portfoliokonstruktionen, die auf einer Standard-Benchmark mittlerer Duration basieren, zunehmend in Frage gestellt werden.Für Anleger mit mittelfristigem Horizont, die dem Risiko steigender Zinssätze begegnen möchten, dürfte ein flexiblerer Durationsansatz sinnvoll sein – ein Ansatz, der nach wie vor auf unterschiedliche Sektoren, Länder und Währungen zurückgreift, gleichzeitig jedoch in der Lage ist, eine kurze oder sogar negative Duration einzunehmen, um sich gegen steigende Marktzinsen abzusichern oder gar von ihnen zu profitieren. Dies entspricht teils eher einem Absolute-Return-Stil, bei dem entsprechend den individuellen Präferenzen ein bestimmtes Renditeziel gegenüber dem Referenzzinssatz Libor angestrebt und gleichzeitig reichlich Liquidität aufrechterhalten wird, so dass diese als Hauptbestandteil des Kernanleiheportfolios erhalten bleibt. Hohe LiquiditätBei Unternehmensanleihen ist neben einer Absicherung gegen steigende Zinsen auch eine zusätzliche Absicherung gegen eine Ausweitung der Zinsprämien empfehlenswert. Denn nicht nur die Marktrenditen, auch die Zinsprämien sind auf sehr geringen Niveaus angelangt. Zugleich scheint auch hier der Übergang zu einem flexibleren, Benchmark-agnostischen Ansatz vorteilhaft, der kurze Durationspositionen eingehen kann sowie eine Allokation in unterschiedlichen Spread-Sektoren ermöglicht, wie Investment Grade gegenüber High Yield. Ziele sind dabei eine hohe Liquidität und relativ bescheidene, einstellige Renditeziele in Abgrenzung gegenüber den typischerweise zweistelligen Zielvorgaben, die meist bei Hedgefonds und alternativen Anlagen zu finden sind. InflationsrisikoEin weiteres langfristiges Risiko ist die mögliche Inflation infolge der aktiven globalen Geldpolitik: Zwar gehen vor allem im Euroraum die Teuerungsraten derzeit tendenziell weiter zurück, die langfristigen monetären Rahmenbedingungen für höhere Inflationsraten sind aber geschaffen.Anleger, die sich gegen Inflation schützen möchten, sollten ihre Kernpositionen in Nominalanleihen langfristig zugunsten von Strategien reduzieren, die sich an der Realrendite orientieren, etwa durch eine direkte Umschichtung in inflationsgebundene Wertpapiere. Alternativ dürften die Währungen der fundamental stabilen Schwellenländer positiv auf einen Anstieg der Inflation in den Industriestaaten reagieren und gewissermaßen eine Absicherung darstellen. Anleiheinvestoren sollten ihre Denk- und Handlungsweise auf jeden Fall umfassend an das neue Umfeld anpassen.Der entscheidende Schritt, dem Asset Manager einen höheren Freiheitsgrad einzuräumen, erfordert zweifelsohne Vertrauen, stellt aber dennoch die beste Möglichkeit dar, um die anvisierte oder benötigte Zielrendite zu realisieren und sich gegen Abwärtsrisiken abzusichern – vor allem, wenn die Anleiherenditen ihren Tiefpunkt tatsächlich überwunden haben und auf lange Sicht einem erneuten Aufwärtstrend folgen dürften mit entsprechenden negativen Konsequenzen für die Kursentwicklung am Anleihemarkt. Chancenspektrum erweiternDie nötige Ausweitung des Chancenspektrums und eine teilweise Abkehr von der traditionellen, Benchmark-orientierten Vermögensanlage als Gebot gilt aber nicht nur für Zinsanleger, sondern unserer Meinung nach auch für Aktieninvestoren und auch für Manager vermögensverwaltender Strategien. Nahezu alle Bereiche der Kapitalanlage sehen sich denselben grundsätzlichen und langfristigen Herausforderungen gegenüber.Denn der Finanzmarkt steht nicht nur vor einer möglichen Zinswende, sondern mitten in einer Zeitenwende: Die traditionellen Anlagemuster können in dieser neuen Zeit kaum eine langfristig erfolgreiche Handlungsempfehlung liefern.—-Bill Benz Leiter Europa Pimco