Arbeitgebern droht Ungemach bei nicht genommenem Urlaub
– Herr Lüderitz, ein bevorstehendes EuGH-Urteil könnte das Urlaubsrecht ins Wanken bringen. Wo liegen die Risiken?Bisher beantragen Arbeitnehmer in Deutschland ganz selbstverständlich Urlaub, damit ihr Anspruch auch erfüllt wird. Tun sie dies nicht, verfallen die Ansprüche grundsätzlich am Jahresende. Damit könnte nun Schluss sein. Nach Ansicht des EuGH-Generalanwalts Yves Bot soll es nun keine zwingende Voraussetzung sein, Urlaub zu beantragen, um später Schadenersatz wegen nicht genommenem Urlaub fordern zu können. Das würde das Urlaubsrecht in Deutschland noch weiter verkomplizieren.- Welche Konsequenzen drohen den Arbeitgebern?Auf die bisherige Rechtslage konnten sich beide Seiten verlassen. Jetzt stehen selbst dann Schadenersatzansprüche ins Haus, wenn der Grund für nicht beanspruchten Urlaub beim Arbeitnehmer lag – weil er keinen Urlaub genommen hat. Nun muss der Arbeitgeber zur Vermeidung eines Schadenersatzanspruchs bei einer späteren Trennung nachverfolgen, ob solche Ansprüche noch offen sind und gegebenenfalls den Arbeitnehmer daran erinnern – sonst droht die Abgeltung der Urlaubstage, wenn man sich trennt.- Woran liegt es denn, dass Arbeitnehmer ihren Urlaub nicht nehmen?Das kann viele Gründe haben. Viele Arbeitnehmer kennen ihre Ansprüche nicht oder nicht genau. Oder ihnen ist beim Austritt im zweiten Halbjahr nicht bekannt, dass ihnen der volle, zumindest der gesetzliche, Jahresurlaub zusteht. Auch wird oft davon ausgegangen, man könne noch im ersten Quartal des Folgejahres frei nehmen.- Geht das denn nicht?Gesetzlich vorgesehen ist das nur, wenn der Urlaub beantragt und vom Arbeitgeber verweigert wurde. Auch bei einer Kündigung mit Freistellung unter Anrechnung von Urlaub kommt es vor, dass diese Anrechnung unwirksam ist und der Mitarbeiter dann eine Abgeltung fordert. – Welche Rolle spielt der zunehmende Druck am Arbeitsplatz?In der Praxis sind wir selten mit Fällen konfrontiert, dass Arbeitnehmer sich aus einer Drucksituation heraus nicht trauen, nach Urlaub zu fragen. Es kommt aber vor, dass Arbeitnehmer Urlaub nicht nehmen und mit dem Arbeitgeber vereinbaren, dass dieser ausbezahlt wird. Solche Zusagen sind aber meist unwirksam. – Welche Entscheidung ist vom EuGH zu erwarten?Den Luxemburger Richtern liegt vom Bundesarbeitsgericht die Frage vor, ob ein Antrag gestellt werden musste, damit der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums nicht ersatzlos untergeht. Folgt das Gericht dem Generalanwalt – und das ist in der überwiegenden Zahl der Fälle so -, wären Arbeitgeber künftig schlimmstenfalls verpflichtet, auch ohne Antrag Urlaub zu gewähren und dem Arbeitnehmer, womöglich gegen seinen Willen, den Urlaub zu einem bestimmten Zeitpunkt “aufzuzwingen”, damit das Unternehmen seiner Schadenersatzpflicht entgeht. Eine solche Vorgabe könnte in der Praxis zu zahlreichen Problemen führen.- Wie können sich die betroffenen Unternehmen vor ungerechtfertigten Ansprüchen schützen?In den Schlussanträgen weist der Generalanwalt ausdrücklich darauf hin, dass Arbeitgeber nachweisen können, dass sie alles getan haben, dem Arbeitnehmer den Urlaub zu ermöglichen. Dann wird es für den Schadenersatz am Verschulden des Arbeitgebers fehlen. Für die Personalabteilungen wäre das eine anspruchsvolle, aber nicht unlösbare Aufgabe. Arbeitgeber müssen auf jeden Fall aktiver als bisher prüfen, ob Arbeitnehmer ihren Urlaub auch beantragen, um diesen Nachweis führen zu können. Dies sollte auch entsprechend dokumentiert werden. Aus meiner Sicht sollten Arbeitgeber zusätzlich prüfen, wie sie den Arbeitnehmer wirksam zur Stellung von Urlaubsanträgen verpflichten können. Eine entsprechende Regelung im Arbeitsvertrag könnte dazu beitragen, künftige Streitfälle zu vermeiden.—-Dr. Martin Lüderitz ist Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Bryan Cave Leighton Paisner in Hamburg. Die Fragen stellte Walther Becker.