Recht und Kapitalmarkt

Auch nach einer Enteignung können sich die Aktionäre wehren

Rettungsübernahmegesetz: Verfassungsbeschwerden sind absehbar

Auch nach einer Enteignung können sich die Aktionäre wehren

Von Hermann Müller*) Der Bundestag hat am 20. März das Rettungsübernahmegesetz beschlossen. Damit ist die gesetzliche Grundlage für die Enteignung von Unternehmen des Finanzsektors geschaffen. Das Gesetz ist auf die Enteignung der Aktionäre der Hypo Real Estate Bank (HRE) gemünzt, was unter anderem daran deutlich wird, dass es Enteignungen nur bis 31. Oktober 2009 erlaubt. Zwar sieht das Grundgesetz die Sozialisierung (Artikel 15) und Enteignung (Artikel 14) gegen Entschädigung als zulässige Eingriffe des Staates in das Wirtschaftsleben vor. Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes hat es Eingriffe dieser Art noch nicht gegeben und man darf mit Spannung verfolgen, ob das Rettungsübernahmegesetz tatsächlich befristet bleibt oder ob der Gesetzgeber es gar auf andere Wirtschaftszweige ausweiten wird. Legal und administrativ Enteignungen nach dem Grundgesetz können entweder durch den Gesetzgeber selbst (Legalenteignung) oder durch eine von ihm dazu ermächtigte Stelle (Administrativenteignung) herbeigeführt werden. Das Rettungsübernahmegesetz folgt dem Weg einer Administrativenteignung durch die Bundesregierung. Der Enteignungsakt wird in Form einer Rechtsverordnung ergehen, die von betroffenen Altaktionären vor dem Bundesverwaltungsgericht gerichtlich angegriffen werden kann. Dabei ist jedoch Eile geboten, weil der Rechtsbehelf innerhalb von zwei Wochen erhoben sein muss.Den Aktionären der HRE ist zu raten, ihre Enteignung vor dem Bundesverwaltungsgericht schon aus formellen Gründen in Frage zu stellen. Die Zuständigkeit des Bundesfinanzministeriums für die Durchführung des Enteignungsverfahrens ist durchaus zweifelhaft, weil Verwaltungshandeln nach dem Grundgesetz grundsätzlich Ländersache ist. Soll dieser Grundsatz im Einzelfall nicht gelten, muss der Gesetzgeber eine gesonderte Bundesbehörde schaffen, so geschehen im Fall des SoFFin, der von der Finanzmarktstabilisierungsanstalt verwaltet wird. Eine Verwaltung des SoFFin durch das Bundesfinanzministerium oder die Bundesregierung als Kollegialorgan wäre hingegen vom Grundgesetz nicht gedeckt. Inhaltlich stellt sich vor allem die Frage, ob der Enteignungsakt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, den das Bundesverfassungsgericht aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes herleitet. Unverhältnismäßig sind Maßnahmen des Staates, die er trifft, obwohl auch ein milderes Mittel zur Verfügung steht. Als mildere Mittel im Vergleich zur Enteignung ist im Fall der HRE an die Stellung von Bürgschaften, eine Kapitalerhöhung oder auch die gesetzliche Einführung eines neuen Insolvenzverfahrens, angelehnt an Chapter 11 in den USA, zu denken. Auch wenn betroffene Aktionäre gegen einen Enteignungsakt vor dem Bundesverwaltungsgericht um Rechtsschutz nachsuchen, hält dies den Lauf des Enteignungsverfahrens nicht auf. Es wird vielmehr weitergeführt und muss, wenn der Rechtsbehelf der betroffenen Aktionäre Erfolg hat, rückabgewickelt werden. Dass das Bundesverwaltungsgericht im Wege einer einstweiligen Anordnung das Enteignungsverfahren stoppt, ist wohl nur theoretischer Natur. Im Fehlen der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs kommt eine weitere Rigidität des Gesetzes zum Ausdruck, weil Vorgänge dieser Art tatsächlich nicht mehr rückgängig gemacht werden können.Im Rettungsübernahmegesetz bleibt offen, ob betroffene Aktionäre die Möglichkeit haben, den Enteignungsakt hinzunehmen und sich vor Gericht nur über die angemessene Höhe der Entschädigung zu streiten. Das zuständige Gericht für Streitigkeiten wegen der Höhe der Entschädigung ist der Bundesgerichtshof. Nach der überkommenden Rechtsprechung des Verfassungsgerichts besteht die Möglichkeit eines “dulde und liquidiere” gerade nicht, so dass betroffene Aktionäre, die mit der Höhe der ihnen zugesprochenen Entschädigung nicht einverstanden sind, zunächst vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen den Enteignungsakt selbst zu Felde ziehen und im Unterlegensfall dann vor dem Bundesgerichtshof über die Höhe ihrer Entschädigung streiten müssten. Es hätte nahe gelegen, dass der Gesetzgeber im Rettungsübernahmegesetz dies Frage im Interesse der Rechtssicherheit regelt. Nach dem VerkehrswertZur Höhe der Entschädigung heißt es im Gesetz lapidar, dass sie sich nach dem Verkehrswert bemisst. Für börsennotierte Aktiengesellschaften ist als Wertermittlungsverfahren vorgesehen, dass in der Regel der gewichtete durchschnittliche inländische Börsenpreis während der letzten zwei Wochen vor dem Tag, an dem das Bundesfinanzministerium das Enteignungsverfahren eröffnet hat, maßgeblich sein soll.Alternativ lässt der Gesetzgeber dem Bundesfinanzministerium den Weg offen, den Verkehrswert der Aktien auf der Grundlage einer Unternehmensbewertung festzusetzen. Es gehört wenig Phantasie zu der Annahme, dass diese Bewertung auch negativ sein kann, so dass im Ergebnis eine Entschädigung nicht gezahlt würde. Betroffene Aktionäre können daher, nach dem Durchlaufen des Rechtsweges, Anlass sehen, das Gesetz insgesamt im Wege einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht anzugreifen. —– *) Dr. Hermann Müller ist Partner bei CMS Hasche Sigle.