Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Frank Regelin

Aufsichtsräte in der Entscheidung über die variable Vergütung gefordert

Bloßes Hinausschieben der Bonuszahlung wäre nicht gesetzeskonform

Aufsichtsräte in der Entscheidung über die variable Vergütung gefordert

– Herr Dr. Regelin, nach dem Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) müssen die Entlohnungssysteme für Vorstände aller Aktiengesellschaften angepasst werden. Wie schnell müssen die Aufsichtsräte reagieren?Es besteht kein Grund zu übertriebener Eile. Der Grundsatz pacta sund servanda gilt auch für Vorstandsanstellungsverträge. Altverträge von Vorstandsmitgliedern, die vor Inkrafttreten des VorstAG am 5. August 2009 abgeschlossen wurden, müssen nicht geändert werden. Zu berücksichtigen sind die Vorgaben des Gesetzes aber bei jedem neuen Anstellungsvertrag sowie bei jeder Verlängerung von Altverträgen und deren Änderung, wenn die Änderungen die Vergütung betreffen. Weiter muss der Aufsichtsrat, sollte sich die Unternehmenslage verschlechtern, bereits seit Inkrafttreten des VorstAG an die mögliche Pflicht zur Herabsetzung der Vergütung denken.- Welchen Punkten muss besonderes Augenmerk geschenkt werden, um Haftungsrisiken zu vermeiden?Grundsätzlich gilt, dass auch der Aufsichtsrat bei unternehmerischen Entscheidungen ein Ermessen im Rahmen der sogenannten Business Judgement Rule hat. Danach liegt keine Pflichtverletzung des Aufsichtsrats vor, wenn er bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Bei der Ausübung des Ermessens im Rahmen der Vergütungsentscheidung sollte der Aufsichtsrat daher der angemessenen Informationsbeschaffung besondere Aufmerksamkeit schenken. Weiter ist zu beachten, dass im Falle eines Schadens der Aufsichtsrat beweisen muss, dass er keine Pflichtverletzung begangen hat.- In welcher Form kann der Aufsichtsrat dies beweisen?Es ist äußerst wichtig, die Informationsgrundlage, die Ermessensausübung sowie die konkrete Festsetzung der Vergütung schriftlich zu dokumentieren.- Wie ist die Vorgabe des Gesetzes umzusetzen, dass die Vergütung grundsätzlich nicht unüblich hoch sein darf?Mit dem Begriff “übliche Vergütung” ist die Branchen-, Größen-, und Landesüblichkeit – sogenannte vertikale Vergleichbarkeit – gemeint, wobei auch das Lohn- und Gehaltsgefüge im Unternehmen heranzuziehen ist. Die dafür erforderliche Informationsbeschaffung kann je nach Unternehmen sehr aufwendig sein. So müssten gegebenenfalls die Daten aus den veröffentlichten Berichten anderer Unternehmen derselben Peer Group ausgewertet werden. Regelmäßig wird es sich daher empfehlen, auf etablierte Dienstleister zurückzugreifen. Abweichungen von der üblichen Vergütung sind möglich, wenn sich diese durch besondere Gründe rechtfertigen lassen, zum Beispiel besonders hoher Marktwert des Vorstands oder Sanierungssituation.- Die variable Vergütung soll sich an einer mehrjährigen Bemessungsgrundlage orientieren, was bietet sich hier an?Konkrete Vorgaben hinsichtlich des variablen Vergütungsmodells geben das Gesetz und seine Begründung nicht. Mit dem VorstAG konform sind jedoch performancebasierte Vergütungsmodelle wie sogenannte Bonus-Malus-Systeme oder eine Bonusbank. Aber auch aktienbasierte Systeme wie Aktienoptionsprogramme mit mindestens vierjähriger Wartefrist, Mitarbeiteraktien mit Haltepflicht oder Phantom Stocks sind nach wie vor zulässig. “Mehrjährig” ist in Anlehnung an die Mindesthaltefrist für Aktienoptionen tendenziell ein Zeitraum von drei bis vier Jahren. In der Praxis bietet es sich an, eine Fristenkongruenz zum Anstellungsvertrag herzustellen. Zu beachten ist, dass das bloße Hinausschieben der Zahlung, genauso wie die Vereinbarung eines jährlich wiederkehrenden Bonus als alleinige variable Vergütung, nicht gesetzeskonform wäre.- Es soll eine Begrenzungsmöglichkeit der variablen Teile für außerordentliche Entwicklungen eingezogen werden, was ist hier praktikabel?Zwei Varianten sind hier denkbar. Zum einen die Vereinbarung einer festen Obergrenze (Cap) für den variablen Teil der Vergütung, zum anderen die Eliminierung bestimmter Vergütungsspitzen im Falle von anhaltenden außerordentlichen Entwicklungen – wie Unternehmenserwerb, Hebung von stillen Reserven, bilanzpolitische Maßnahmen – durch eine entsprechende Formulierung der Bonusregelung. In der Praxis sollte dann eine weiche Regelung mit Ermessungsspielraum für den Aufsichtsrat gewählt werden, da nicht alle denkbaren Fälle anhaltender außerordentlicher Entwicklungen vorhersehbar sind.—-Dr. Frank Regelin ist Corporate Finance Partner bei Norton Rose in Frankfurt. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.