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Aussichten für Europas Schwellenländer intakt

Börsen-Zeitung, 5.10.2013 In letzter Zeit haben sich über manchen europäischen Entwicklungsländern Wolken zusammengezogen. Die meisten dieser Länder wurden durch die Rezession in der Eurozone gebeutelt, die zwar nicht so tief war, aber bis 2011...

Aussichten für Europas Schwellenländer intakt

In letzter Zeit haben sich über manchen europäischen Entwicklungsländern Wolken zusammengezogen. Die meisten dieser Länder wurden durch die Rezession in der Eurozone gebeutelt, die zwar nicht so tief war, aber bis 2011 zurückreichte. Zwei der größten Länder, Polen und Ungarn, mussten ihre Leitzinsen auf historische Tiefs senken, um ihre stockende Wirtschaft anzukurbeln. Die Anlegerstimmung in Bezug auf europäische Entwicklungsländer wird derzeit erneut strapaziert durch die Angst vor einer möglichen langfristigen Abkühlung auf Schwellenmärkten – nicht nur in Europa, sondern weltweit – nach Jahren mit erhöhten Wachstumsraten. Negative Stimmen behaupten auch, dass die üppige Liquidität durch die quantitativen Lockerungen in den USA und anderswo die Zuflüsse in die Schwellenmärkte künstlich verstärkt hat. Seit die US-Notenbank eine Drosselung ihrer Anleihenkäufe für den Fall angedeutet hat, dass die US-Konjunktur weiter anzieht, sind die meisten Schwellenländeranlagen eingebrochen. Es hieß sogar, die Marktvolatilität könnte eine weitere Schuldenkrise in den Schwellenländern wie in den neunziger Jahren auslösen. Zyklische AbschwüngeUnserer Ansicht nach bergen solche Bedenken die Gefahr, dass die europäischen Schwellenländer zu schnell abgeschrieben werden und vor allem nicht differenziert wird zwischen ihren ungleichen Volkswirtschaften. Verschiedene dieser Länder erleben zweifellos zyklische Abschwünge, doch bei genauerer Untersuchung ihrer spezifischen fundamentalen Kreditsituation weisen manche im europäischen Ländervergleich nach wie vor überdurchschnittliches Wachstum und bessere Kennzahlen auf.Trotz der Effekte der langwierigen Rezession in der Eurozone ist die Konjunktur nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) in manchen dieser Länder bislang deutlich kräftiger als in anderen Teilen Europas, und das soll noch mindestens bis 2018 so bleiben. Wie in vielen anderen Schwellenländern auch steigern wachsende verfügbare Einkommen einer zunehmenden Mittelschicht die Inlandsnachfrage. Auch hinsichtlich der erfolgreichen Verhinderung oder Vermeidung dämpfender Effekte einer hohen Verschuldung liegen mehrere europäische Entwicklungsländer vor den meisten westlichen Industriestaaten.Für Polen sieht der Haushaltsrahmen eine in der Verfassung verankerte Regelung der öffentlichen Kreditaufnahme vor, die die Bruttoverschuldung auf 60 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) deckelt – als höchste von drei Schwellen. Durch ihre kräftige Wachstumsdynamik konnte sich die Wirtschaft als eine von wenigen Volkswirtschaften während der Finanzkrise 2008/2009 einer Rezession entziehen, doch eine Abkühlung seit Ende 2012 infolge der Stagnation in der Eurozone ließ die Steuereinnahmen klar unter die Prognosen fallen. Die polnische Regierung reagierte darauf mit der Aussetzung der niedrigsten 50 %-Schwelle für die Verschuldungsquote.Ein Verstoß dagegen hätte potenziell abträgliche Sparmaßnahmen ausgelöst. Der Rückzieher der Regierung galt aber nicht als Vorbote einer breiten Lockerung der polnischen Fiskalpolitik, die (im Vergleich zu vielen Mitgliedern der EU) wegen ihrer strikten Disziplin und der verhältnismäßig geringen Kreditaufnahme positiv bewertet wird. Seit der Umstellung des Landes auf die Marktwirtschaft im Jahr 1990 wurden in Polen kontinuierlich Strukturreformen umgesetzt. Entscheidend war dabei, dass die wenigsten der aufeinanderfolgenden staatlich verordneten Modernisierungswellen – die alle Teile der Wirtschaft und des öffentlichen Sektors betrafen – zurückgenommen wurden, wenn die Opposition an die Macht kam. Das unterstreicht den Konsens, der in der polnischen Politik bezüglich des allgemein nötigen Reformkurses herrscht.In Litauen haben mehrere Regierungen in Folge die Schulden auf im historischen Vergleich niedrigem Niveau gehalten. Das Land legte erst nach einer schweren Rezession 2009 im großen Stil Anleihen auf. Statt sich an die EU oder den IWF zu wenden (wie das benachbarte Lettland), beschloss Litauen, sein Haushaltsdefizit auf den internationalen Kapitalmärkten zu finanzieren, und gab auf Dollar lautende Anleihen über insgesamt mehr als 7 Mrd. Dollar aus. Seither ist es der Regierung durch nötige Strukturanpassungen gelungen, das Defizit auf rund 3 % des BIP zu drücken, so dass sich die Verschuldungsquote Litauens 2011 bei knapp 40 % stabilisiert hatte. In den meisten Euro-Ländern und Großbritannien blieben die Verschuldungsquoten dagegen hartnäckig hoch. Sie steuerten vielfach auf 100 % zu, mitunter sogar auf noch höhere Werte.Bulgarien erlebte unlängst politische Unruhen, doch die erklärte Finanzdisziplin des Landes in den vergangenen zehn Jahren war beachtlich und sorgte von 2007 bis 2012 für eine Verschuldungsquote, die unter 20 % lag. 2012 emittierte Bulgarien die ersten Eurobonds seit zehn Jahren, doch nur zur Umschuldung in Kürze fälliger bestehender Verbindlichkeiten. Die bulgarische Regierung hat verschiedene ermutigende Strukturreformen angestoßen. Die Aussichten für die bulgarische Wirtschaft könnten unseres Erachtens mittelfristig durchaus besser sein, wenn das Land mehr EU-Mittel erhielte.Natürlich wäre Bulgarien ebenso wie Litauen und Polen anfällig für ein Wiederaufflackern der Staatsschuldenkrise in der Eurozone, doch die derzeit gebotene vergleichsweise hohe Verzinsung der Staatsanleihen entschädigt unserer Überzeugung nach für die jeweils bestehenden Risiken. Für diese osteuropäischen Länder ist Haushaltsdisziplin eine entscheidende Voraussetzung für die Euro-Einführung. Ganz weit vorn liegt Litauen, das 2015 wie seine baltische Nachbarn Estland und Lettland der Eurozone beitreten will. Fortschritte abwartenPolen und Bulgarien möchten beide erst weitere Fortschritte auf dem Weg zu einer dauerhaften Lösung der Schuldenkrise in der Eurozone sehen, bevor sie sich dem Währungsblock anschließen. Ihre jeweiligen Beitrittsverträge zur EU verpflichten beide Länder aber letztlich dazu.Solche Ziele können Anlegern durch entsprechende Währungsallokationen zusätzliche Chancen auf Wertsteigerung eröffnen. Engagements in Polen, Litauen und Bulgarien mit jeweils kleinen Rentenmärkten können Allokationen in anderen, größeren Ländern der Region ergänzen, die unseres Erachtens Wertpotenzial bieten. Fiskalpolitisch glaubwürdiger wirken sie durch den gemeinsamen Wunsch, der Eurozone beizutreten. Das könnte auch das Tempo ihrer Strukturreformen im Verhältnis zu den verhaltenen Fortschritten beschleunigen, die in der Eurozone erzielt werden, in der politischer Konsens oft schwerer erreichbar ist. Gleichermaßen überlegen wirkt ihre Wachstumsbilanz, was weiterhin hohe Wirtschaftsleistung verheißt.Die potenziell ansprechenden Chancen, die Polen, Litauen und Bulgarien bieten, erscheinen uns interessant, wenn man die wirtschaftlichen, fiskalischen und politischen Merkmale analysiert, die ihre fundamentale Kreditsituation mittelfristig beeinflussen dürften. Sie machen deutlich, wie wichtig es für Anleger ist, verschiedene Länderallokationen zu berücksichtigen.—-David Zahn, Portfolio Manager Franklin Templeton Fixed Income Group