Recht und Kapitalmarkt

"Bail-in" - ein neuer Lösungsansatz zur Bankenrettung

Modell der Kreditinstitute nimmt Gläubiger in die Pflicht - Sanierung ohne Steuergelder - Vermeidung staatlicher Eingriffsrechte

"Bail-in" - ein neuer Lösungsansatz zur Bankenrettung

Von Marc Benzler *) Die internationalen Diskussionen über ein Sonderinsolvenzrecht für systemrelevante Banken werden in jüngerer Zeit durch einen weiteren Lösungsansatz bereichert: “Bail-ins”. Diesem Lösungsansatz liegt das Verständnis zugrunde, dass nicht nur Aktionäre, sondern auch Fremdkapitalgläubiger wie Anleiheinhaber und Darlehensgeber einen Beitrag zur Bankenrettung durch Umwandlung ihrer Forderungen in Aktienkapital leisten sollten.Steuergelder müssten nicht zur Rettung bzw. Stabilisierung von Banken eingesetzt werden, insbesondere bei Instituten, bei denen aufgrund ihrer Bedeutung und damit einhergehender systemischer Relevanz eine Liquidation ausscheidet (“too big to fail”). Gerade kleinere und mittlere Staaten, deren Sozialprodukt nicht viel höher als die Bilanzsumme der dort ansässigen Institute ist, würden nicht vollständig sämtlicher finanzieller Möglichkeiten beraubt. Zerschlagung vermeidenDie weiteren Vorteile liegen auf der Hand: Zum einen können staatliche Mitsprache- und Eingriffsrechte vermieden werden, die einer Übernahme von Anteilen folgen; zum anderen würde keine Zerschlagung von solchen Banken drohen, die eine kritische Größe erreicht haben und damit nicht mehr gestützt werden könnten. Vielleicht ließe sich dadurch sogar eine Bankenabgabe vermeiden. Daher wundert es nicht, dass die Idee eines Bail-in im Wesentlichen von Institutsseite entwickelt wurde. Zudem hat die Krise gezeigt, dass der Beitrag von Fremdkapitalgebern bei der Bankenrettung in den meisten Fällen zu vernachlässigen war.Die zwangsweise Umwandlung von Forderungen in Anteile (Debt Equity Swap) soll allein durch die zuständige Aufsichtsbehörde angeordnet werden können. Das soll ohne weitere Anhörung oder Abstimmung der einzelnen betroffenen Gläubiger geschehen; in der Regel über das sprichwörtliche Wochenende. Faszinierend an der Idee, Banken ohne Staatsgelder zu retten, ist, dass als zuständige Aufsichtsbehörden auch supranationale Organisationen in Frage kommen, die regelmäßig über keinen besonderen Rettungsfonds oder direkte Steuerkompetenz verfügen. Damit ließen sich auch grenzüberschreitende Insolvenzen besser koordinieren. Going-Concern-BetrachtungDem Bail-in liegt grundsätzlich eine Going-Concern-Betrachtung zugrunde. Kunden, die bei dem betreffenden Institut Einlagen unterhalten, sowie andere Vertragspartner wie zum Beispiel Kontrahenten von Derivateverträgen sollen daher nicht betroffen sein. Durch den Beitrag der Aktionäre, aber vor allem den der Fremdkapitalgläubiger soll das Institut mit ausreichendem Eigenkapital ausgestattet werden. Der damit einhergehende Verlust dürfte immer noch geringer sein als bei einer Liquidation des Instituts.Sollte die Restrukturierung glücken, käme ein Anstieg des Aktienkurses einem Besserungsschein gleich. Aktionäre werden in einer Liquidation zuletzt befriedigt. Dieser Nachrang muss grundsätzlich auch bei der Bestimmung des Rettungsbeitrags der Fremdkapitalgläubiger beachtet werden. Wo es an staatlichen Eingriffsbefugnissen fehlt, muss die Verlusttragfähigkeit auf vertraglichem Weg hergestellt werden. Ein Beispiel hierfür sind die ansonsten allerdings vom Bail-in abzugrenzenden Zwangswandelanleihen bzw. CoCo-Anleihen (Contingent Convertible Capital Instruments).Der Zeitpunkt für die Zwangswandlung ist teilweise noch umstritten, jedoch muss dies vor dem Bail-in geschehen, da Letzterer bereits der Insolvenzvermeidung dient. Schlimmstenfalls werden die nun zu Aktionären gewordenen vormaligen CoCo-Anleihegläubiger ein zweites Mal zur Kasse gebeten, wenn sich die Situation des Instituts nicht nachhaltig bessert und der Zwangswandlung eine Bail-in-Verfügung folgt.Das gerade vom Bundestag verabschiedete deutsche Restrukturierungsgesetz sowie Bankeninsolvenzgesetze anderer Staaten regeln Restrukturierungsverfahren einschließlich Debt Equity Swaps sowie die Übertragung von Geschäftsbereichen und Vermögenswerten auf Brückenbanken mit anschließender Restrukturierungsmöglichkeit. Um einen Bail-in handelt es sich hierbei aber nicht. So sieht ein Bail-in keine Abstimmung einzelner Gläubigergruppen über die Höhe des jeweiligen Beitrags vor. Anders als bei der Übertragung von Geschäftsbereichen auf eine Brückenbank bleibt das Institut als Unternehmen und Organisationseinheit – vorbehaltlich weiterer Restrukturierungsmaßnahmen – unberührt. Reaktion der InvestorenDie Möglichkeit eines Bail-in wird auch das Investorenverhalten nachhaltig beeinflussen. So wäre aus Investorensicht vor allem die Frage nach der Transparenz zu stellen, insbesondere ab welchem Zeitpunkt und in welcher Höhe Anlagen betroffen sein können. Sind die gesetzlich geregelten Eingriffsschwellen dafür zu unbestimmt, müssten die Banken selbst tätig werden. So könnten die unter dem Stichwort “living wills” diskutierten Notfall- und Rettungspläne, die nach einem Vorschlag der Europäischen Kommission für bestimmte Banken verpflichtend werden sollen, auch der Transparenz dienen. Darin sollen die für das jeweilige Institut erforderlichen Sofortmaßnahmen im Falle einer Krise dargelegt werden. Auch wurde bisher die dritte Säule von Basel II, d. h. die Marktdisziplin durch Publizität und Transparenz, nicht ausreichend genutzt.Darüber hinaus sind die Anlagemöglichkeiten zahlreicher institutioneller Investoren begrenzt, sodass eine drohende Umwandlung in Aktien nicht unproblematisch erscheint. Je nach Wahrscheinlichkeit einer Umwandlung müssten die einzelnen Instrumente auch unterschiedliche Risikoprämien ausweisen. Manche behaupten sogar, dass bei entsprechender Transparenz der Zustand des jeweiligen Instituts am Kurs der jeweils ausstehenden Anleihen abzulesen sei.Problematisch bleibt jedoch weiterhin die Ausstattung der betroffenen Institute mit Liquidität, da allein eine verbesserte Kapitalausstattung nicht zwangsläufig oder sofort den Zugang zu den benötigten Mitteln eröffnet. Bei der Umsetzung eines Bail-in stellen sich zahlreiche rechtliche Fragen, die teilweise auch bereits in Zusammenhang mit dem Restrukturierungsgesetz diskutiert werden.Wie bei allen staatlichen Eingriffen stellt sich zunächst die Frage, inwieweit die Rechtspositionen von Fremdkapitalgläubigern zu schützen sind. Aktionären gegenüber müsste zumindest die durch die Umwandlung von Forderungen in Anteile bewirkte Verwässerung gerechtfertigt werden. Bei Bankengruppen, die als Holding organisiert sind, müssten sowohl die Gläubiger der Holding als auch der operativen Unternehmenseinheiten einen Beitrag leisten, wobei die Ansprüche regelmäßig nur in Anteile an der Holding umgewandelt werden dürfen. Kündigungsrechte müssten begrenzt werden und dürften jedenfalls nicht allein durch den Bail-in ausgelöst werden. Der Bail-in darf zudem nicht daran scheitern, dass die betroffenen Forderungen einer anderen Rechtsordnung unterliegen. Die selbst innerhalb der Europäischen Union nur eingeschränkte Anerkennungsfähigkeit von Maßnahmen anderer Staaten betrifft aber nicht nur Bail-ins, sondern auch die bereits erwähnten Restrukturierungs- und Brückenbankenansätze. Die EU-Kommission wird daher nicht untätig bleiben können. Eine Abstimmung wäre allerdings auch über die Grenzen des Europäischen Wirtschaftsraums hinaus erforderlich. RefinanzierungswirkungZu den offenen Fragen gehört auch die Auswirkung auf die Refinanzierungsfähigkeit von Instituten, die ohnehin aufgrund der sich im Rahmen von Basel III ändernden Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen einen erhöhten Mittelbedarf haben. So müssten die Institute den Investoren neben den zahlreichen regulatorischen Änderungen und deren Einfluss auf die jeweiligen Geschäftsmodelle auch die Risiken eines Bail-in darlegen.Die Verantwortung von Fremdkapitalgläubigern ist darüber hinaus ein spannendes Thema für die zukünftige Governance von Banken. Die Möglichkeit eines Bail-in war bereits Gegenstand der Abschlusserklärung des G 20-Gipfels von Toronto, und die weiteren Entwicklungen werden zeigen, ob sich hier eine echte Alternative zum Bail-out bietet.—-*) Dr. Marc Benzler ist Partner im Bereich Banking & Capital Markets von Clifford Chance in Frankfurt.