RECHT UND KAPITALMARKT

Banken sollen eigene Abwicklung vorbereiten

EU-Richtlinienvorschlag fordert Krisenpläne und effektive staatliche Eingriffsinstrumente - Frühzeitige Vorbereitung angezeigt

Banken sollen eigene Abwicklung vorbereiten

Von Dirk Bliesener und Sven H. Schneider *)Im Laufe der andauernden Finanzkrise hat insbesondere die Insolvenz von Lehman Brothers gezeigt, dass Banken auf Krisensituationen unzureichend vorbereitet sind. Im Jahr 2008 verfügten weder die ins Wanken geratenen Institute noch Aufsichtsbehörden über geeignete Notfallpläne geschweige denn über effektive Instrumente, um das Unternehmen durch die Krise zu führen oder ohne gravierende Nachteile für das Finanzsystem und die Realwirtschaft abzuwickeln. Daher wurden in erheblichem Umfang Steuergelder (“Bail-out”) eingesetzt, um Bankeninsolvenzen und Dominoeffekte für Gläubiger zu verhindern und Ansteckungsgefahren im Finanzsystem einzudämmen. Vorschlag der EUNach langem Zögern hat die Europäische Kommission am 6. Juni 2012 den Richtlinienvorschlag zur “Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen” vorgelegt. Kernstücke des Vorschlags sind die Verpflichtung der Institute und zuständigen “Abwicklungsbehörden” zur vorsorglichen Aufstellung sowohl institutsbezogener als auch gruppenweiter Sanierungspläne (Recovery Plans) und Abwicklungspläne (Resolution Plans) sowie die Einführung weitreichender Eingriffsinstrumente (Resolution Tools) zur Abwicklung gescheiterter Institute. Erfasst werden alle Institute und Niederlassungen ausländischer Institute unabhängig von ihrer Systemrelevanz, wobei in bestimmten Fällen inhaltliche Erleichterungen vorzusehen sind. Zusätzlich werden auf Gruppenebene Finanzholdings einbezogen.Sanierungs- und Abwicklungspläne, auch Bankentestamente oder “Living Wills” genannt, sollen europaweit harmonisiert werden, sodass eine koordinierte und einheitliche Umsetzung möglich wird. Sie sollen dazu beitragen, dass die für die Kreditwirtschaft systemrelevanten Funktionen in Krisensituationen auch ohne den Einsatz von Steuergeldern aufrechterhalten werden können und die Lasten des Zusammenbruchs eines Instituts durch Eigen-, Hybrid- und Fremdkapitalgeber getragen werden.Krisenpläne sind dem deutschen Recht nicht völlig unbekannt. Sie weisen Ähnlichkeiten mit Sanierungs- und Reorganisationsplänen nach den Kollektivverfahren des Restrukturierungsgesetzes vom Dezember 2010 auf. Bisher fehlt aber die ausdrückliche Pflicht zur präventiven Aufstellung umfassender Notfallpläne. Ob die bestehenden Instrumente der Bankenaufsicht, insbesondere der bisher noch nicht erprobten “Übertragungsanordnung”, ohne langwierige minutiöse Vorbereitung erfolgversprechend sind, wird mit Recht bezweifelt. An FSB-Vorgaben orientiertAndere Länder, etwa die USA und Großbritannien, haben bereits gesetzliche Regelungen für Bankentestamente verabschiedet, und einige Institute haben mit deren Umsetzung begonnen. Für Finanzhäuser mit globaler Systemrelevanz (G-Sifis) schreiben die “Key Attributes of Effective Resolution Regimes” des Financial Stability Board (FSB) die Aufstellung von Sanierungs- und Abwicklungsplänen vor. Der jetzige Richtlinienvorschlag orientiert sich an diesen Vorgaben des FSB und anderer internationaler Gremien.Jedes betroffene Institut muss selbst seinen eigenen Sanierungsplan erstellen. Dabei sollen Maßnahmen zur Liquiditätssicherung, Stärkung der Kapitalbasis sowie Umstrukturierung eruiert und konkret geplant werden. Ferner sind Vorbereitungen für gruppeninterne Finanzhilfen zu treffen. Die Folgen der Umsetzung müssen quantifiziert werden und ihr Einfluss auf die verschiedenen Stakeholder der Bank muss dargelegt werden. ZerschlagungsplanUm eine schnelle, notfalls “übers Wochenende” umzusetzende geordnete Abwicklung zu gewährleisten, soll die Abwicklungsbehörde individuelle Abwicklungspläne erstellen. Hierfür muss jedes Institut umfangreiche Informationen zur Verfügung stellen. Abwicklungspläne müssen unterschiedliche Optionen vorsehen, wie die Behörde die ihr zur Verfügung stehenden Eingriffsinstrumente in Krisenszenarien anwenden kann.Bei Erstellung des Abwicklungsplans sollen auch systemrelevante Funktionen und Kerngeschäftsbereiche des Instituts identifiziert werden. Hierzu dürften zumindest der Zahlungsverkehr und das Einlagengeschäft für Privatkunden gehören. Auf Basis einer umfangreichen Analyse der Struktur des Instituts muss der Abwicklungsplan eine Trennung dieser Bereiche von der Restbank vorbereiten.Insbesondere bei drohender Aufzehrung der Eigenmittel oder drohender Insolvenz kann die zuständige Behörde die Abwicklung des Instituts anordnen. Die Voraussetzungen, unter denen der Staat Abwicklungsmaßnahmen gegen ein Institut verhängen kann, sind im Richtlinienvorschlag noch weiter gefasst und für den Markt weniger vorhersehbar als für die Übertragungsanordnung nach geltendem deutschen Recht. Der Abwicklungsbehörde werden verschiedene Instrumente an die Hand gegeben, die teilweise aus dem Restrukturierungsgesetz bekannt sind.Vorgesehen ist unter anderem ein durch die Behörde angeordneter Verkauf von Geschäftsbereichen, Tochtergesellschaften oder Portfolien oder an eine temporäre öffentliche Auffanggesellschaft (Brückeninstitut), von der aus das Vermögen an Dritte veräußert werden kann.Außerdem kann die Abwicklungsbehörde die Abschreibung von Fremdkapital oder die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital anordnen. Dieser Bail-in soll das “Too-big-to-fail”-Problem adressieren, Fehlanreize (Moral Hazard) vermeiden und eine risikoadäquate Preisbildung bei der Refinanzierung fördern. Einzelne Fremdkapitalkategorien, z. B. Spareinlagen, kurzfristige Geldmarkttitel und besicherte Forderungen, sind von der Umwandlung ausgenommen. Hohe KostenDie Erarbeitung der Sanierungs- und Abwicklungspläne wird aufwendig und mit hohen Kosten verbunden sein. Neben zivil- und arbeitsrechtlichen sowie regulatorischen Fragen sind auch kommerzielle, steuerliche und operationelle Aspekte zu berücksichtigen. Institute müssen ausreichende Ressourcen und Personal sowohl für die Erstellung als auch für die Umsetzung der Pläne bereithalten. Hinzu kommen jährliche Aktualisierungen. Selbst bei Übernahmeentscheidungen wird man die Auswirkungen auf den Abwicklungsplan der Gruppe nicht ganz außer Acht lassen können.Bei der Vorbereitung der Pläne können sich Hindernisse zeigen, die einer Sanierung bzw. Abwicklung entgegenstehen. Zum Beispiel können rechtliche oder operative Transferhindernisse festgestellt werden oder infolge einer Übertragung Sonderkündigungsrechte von Gläubigern, Übertragungssteuern oder andere negative Transferfolgen drohen. Der Richtlinienvorschlag sieht daher vorbeugende Eingriffe in die Struktur und Geschäftstätigkeit der Institute vor, etwa die Reduzierung der Komplexität der Gruppe, die strategische Umorientierung einschließlich Aufgabe von riskanten Geschäftszweigen oder die Abschottung systemkritischer Aktivitäten in einer separaten Einheit. Eigenes Grab schaufeln?Ob Universalbanken sich somit durch ihre behördlich bestellten Testamente ihr eigenes Grab schaufeln, bleibt ebenso abzuwarten wie die Effektivität der internationalen Koordination zwischen nationalen Behörden, die in die Abwicklung einer global oder europaweit aktiven Bankengruppe eingebunden werden. Die europäische Bankaufsichtsbehörde EBA soll bei der Koordinierung der Standards eine führende Rolle spielen und die Zentralisierung der Bankenaufsicht auch im Bereich des Krisenmanagements voranbringen.Nach dem Willen der Kommission soll die Richtlinie, abgesehen von den Vorschriften zum Bail-in, bis zum 31. Dezember 2014 in nationales Recht umgesetzt werden. Es ist aber damit zu rechnen, dass Living Wills in relativ kurzer Zeit zu erstellen sein werden, sodass eine frühzeitige Vorbereitung angezeigt ist.—-*) Dr. Dirk Bliesener und Dr. Sven H. Schneider sind Partner im Frankfurter Büro von Hengeler Mueller.