RECHT UND KAPITALMARKT

Bankenaufsicht durch die EZB - geht das?

Grotesk wirkt fehlende zwangsweise Einbeziehung der Institute aus Staaten der Nichteurozone - Viele rechtliche Ungereimtheiten

Bankenaufsicht durch die EZB - geht das?

Von Mathias Hanten *)Der kürzlich von Binnenmarktkommissar Barnier vorgestellte Vorschlag einer Verordnung über die Verleihung von Bankaufsichtsbefugnissen an die EZB begegnet, gerade in Deutschland, vielfältigen politischen Bedenken. Die – sehr berechtigte – politische Diskussion, gerade wieder bereichert um das “Steinbrück-Papier”, erschwert aber die Sicht auf die rechtlichen Hindernisse, denen eine Beaufsichtigung inländischer Institute durch die EZB gegenübersteht.Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verordnung anstrebt, zunächst alle Kreditinstitute des Euroraums und, in weiterer Zukunft, alle Institute des Europäischen Wirtschaftsraums, also etwa unter Einbeziehung von Großbritannien, einer einheitlichen Aufsicht, durch die EZB, zu unterwerfen. Fast unmöglichDieses Ziel begegnet sowohl einer Reihe von materiellrechtlichen Schwierigkeiten als auch rechtlich – praktischen Hindernissen, die das Projekt, zusätzlich zu den politischen Unklarheiten, erschweren und – zu Ende gedacht – auf Basis der heutigen Rechtslage fast unmöglich machen.Zunächst fehlt es materiell-rechtlich an einheitlichen aufsichtsrechtlichen Gesetzen, die es der EZB erlauben würden, eine wirksame Aufsicht – also echte Eingriffsverwaltung – auszuüben. Das geplante bankaufsichtsrechtliche Single Rule Book, das auch eine Kompetenznorm für die EZB schaffen soll, ist gegenwärtig nicht in einem Zustand, der es zu einer Ermächtigungsgrundlage, die rechtsstaatlichen Anforderungen genügt, machen könnte. Die meisten Bestandteile des Single Rule Book sind aufgrund ihres Rechtscharakters kein unmittelbar anwendbares Recht. Das gilt zunächst für die Richtlinien, etwa CRD IV, die ohne Umsetzung in nationale Rechte nur sehr beschränkte Wirkung entfalten können. Dies gilt aber umso mehr für die neuen Europäischen Aufsichtsstandards, der European Banking Authority (EBA), denen der Gesetzescharakter völlig abgeht und die damit, zumindest nach deutschem Recht, keine Ermächtigungsgrundlage für Verwaltungsakte einer Behörde begründen können.Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob das europäische Recht und die jeweiligen nationalen Verfassungsrechte eine Eingriffsverwaltung durch eine europäische Behörde zulassen und ob sich die geplante Aufsicht durch die EZB eine rechtmäßige Kompetenznorm stützten kann. Jedenfalls lässt der Verordnungsvorschlag in Artt. 4 und 8 offen, ob Handlungsmaßstab europäisches Recht oder nationales Recht sein soll.Auf der Grundlage des 2009 verabschiedeten europäischen Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und der ESZB-Satzung ist eine Übertragung aufsichtsrechtlicher Befugnisse an die EZB bislang nur begrenzt möglich. In Artikel 127 Absatz 6 AEUV, sowie 25.2 der ESZB-Satzung ist verankert, dass nur die Übertragung “besonderer Aufgaben”, die “im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute” stehen, erfolgen darf. Das Europäisches System der Zentralbanken (ESZB) umfasst die EZB und die nationalen Zentralbanken aller EU-Mitgliedstaaten unabhängig davon, ob sie den Euro eingeführt haben oder nicht. Eine generelle und umfassende Übertragung aufsichtsrechtlicher Befugnisse an die EZB verstieße damit gegen den AEUV und wäre nach gegenwärtiger Vertragslage europarechtswidrig. Das bedeutet zwar kein Aus für eine umfassende Übertragung der Aufsichtsbefugnisse auf die EZB. Der Aufwand ist jedoch ungleich höher als bislang geplant, weil es einer Änderung des AEUV bedarf. RechtsweggarantieSchwierig ist darüber hinaus, dass den möglichen Eingriffen der EZB nur in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof begegnet werden könnte, denn Artikel 12 des Vorschlages verweist auf die notwendige Erhebung der Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV, so dass das Europäische Gericht Erster Instanz (EUG) für alle Rechtsstreitigkeiten mit der EZB als Aufsichtsbehörde zuständig wäre. Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob dies für Deutschland mit der Rechtsweggarantie des Art. 19 des Grundgesetzes vereinbar ist. Unzureichende NormenZusammenfassend ergibt eine rechtliche Analyse des Verordnungsvorschlags, dass für eine Aufsicht durch die EZB bislang keine tragfähige Ermächtigungsgrundlage vorgestellt wurde und dass bislang ein sachfremdes Gericht aufgerufen sein würde, auf Grundlage unzureichender Normen zu entscheiden.Vielleicht noch ein Detail: Der umstrittene Ausschluss der Staatshaftung für fehlerhafte Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin, geregelt in § 4 Abs. 4 des Gesetzes über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, würde bei Umsetzung des Vorschlages nicht mehr gelten. Die EZB hätte nach § 340 Abs. 3 AEUV zu haften. Zweifel an der Zahlungsfähigkeit bestehen bislang nicht.Bei systematischer Betrachtung des Vorschlags ergibt sich eine Reihe weiterer rechtlicher Ungereimtheiten. So bedeutet der Vorschlag in Bezug auf die bisherige Systematik des sogenannten Europäischen Passes einen echten Rückschritt. Bislang war aus guten Gründen die Heimatlandaufsicht jedes Kreditinstituts für dessen europaweite Beaufsichtigung zuständig. Nunmehr würde eine “ungeübte” Behörde, die nicht im Heimatland des Instituts ansässig ist, nämlich die EZB, Aufsicht übernehmen, ohne institutionell auf die Ressourcen der Heimatlandaufsicht zurückgreifen zu können.Fast grotesk wirkt die fehlende zwangsweise Einbeziehung der Institute aus Staaten der Nichteurozone, also insbesondere der durchaus systemrelevanten britischen, dänischen, norwegischen, und schwedischen Institute. Bedeutende Marktteilnehmer werden damit in eine aufsichtsrechtliche Parallelwelt durch ihre jeweiligen nationalen Aufsichtsregime gestellt. Das entspricht dem Aufsichtsstatus vor Umsetzung der Zweiten Bankrechtskoordinierungsrichtlinie aus dem Jahre 1989. Hier schafft die Opt-in-Möglichkeit der Nichteurostaaten nach Art. 6 Abs. 2 des Vorschlages keine Abhilfe. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Stabilität des Finanzsystems an der Landeswährung gemessen wird. Gerade wenn die Gefahr von Wettbewerbsverzerrung und Aufsichtsarbitrage vermieden werden soll, muss der gesamte EWR und nicht nur die Eurozone einbezogen werden.Der Vorschlag befasst sich schließlich überhaupt nicht mit der Behandlung von Instituten aus Drittstaaten. Gerade die Erfahrung der Insolvenz von Lehman hätte Anlass gegeben, zumindest diese Frage zu harmonisieren. Es wird zum Beispiel sehr schwierig, die Bankenaufsicht durch die EZB auf die Eurozone zu beschränken und andererseits gesetzgeberisch über grenzüberschreitende, auch Drittlandsbanken betreffende Abwicklungsmechanismen auf Grundlage des etwa des Vorschlages der Recovery-and-Resolution-Richtlinie aus dem Juni nachzudenken.Der Umstand, dass der Verordnungsvorschlag in Deutschland besonders kritisch gesehen wird, hat auch einen besonderen Grund: Nach Einschätzung vieler inländischer Marktteilnehmer hat sich die Qualität der deutschen Aufsicht, gerade durch Schaffung der BaFin im Jahr 2002 und der in den vergangenen Jahren verstärkten Zusammenarbeit der BaFin mit der Bundesbank, qualitativ erheblich verbessert. Viele sehen diese großen Fortschritte durch eine europäische Aufsicht durch die EZB gefährdet, nicht zuletzt deshalb, weil gerade erst gehobene Synergien wieder verloren gehen. Der Aufwand der für die effiziente Zusammenarbeit von BaFin und Deutscher Bundesbank erforderlich war, kann einen Maßstab dafür geben, welchen Aufwand die Zusammenarbeit von EZB und 17 + Aufsichtsbehörden mit sich bringen würde. Nicht universell einsetzbarAuf der rechtlich-praktischen Seite spricht gegen die Übertragung der Eingriffsrechte auf die EZB die Erfahrung, dass sich die jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden in ihrer Struktur nach den jeweiligen Marktgegebenheiten richten. Die jeweiligen Organisationsmodelle sind den nationalen Marktgegebenheiten angepasst. Selbst wenn man eine Art vorübergehende Umsetzung der nationalen Aufseher zur EZB zu Grunde legt, dürfte der Organisationsrahmen geändert werden. Der Ansatz “One size fits all” ist eben nicht universell einsetzbar.Ein Bild zum Schluss: Dem Verfasser erscheint die Zentralisierung der europäischen Finanzaufsicht bei der Europäischen Zentralbank einem europäischen Mega-Merger, etwa dem Zusammenschluss von Lufthansa, Ryanair und Air France, vergleichbar. Allerdings sind die Passagiere, das Personal und die Flugzeuge bei der Transaktion vergessen worden.—-Dr. Mathias Hanten ist Partner bei DLA Piper in Frankfurt.