Immobilien - Gastbeitrag

Besser ungefähr richtig als genau falsch

Börsen-Zeitung, 30.12.2010 Prognosen in der Immobilienwirtschaft haben traditionell mit Vorurteilen zu kämpfen. Sie lauten: Es sei besser, zumindest ungefähr richtig zu liegen als genau falsch. Oder: Vorhersagen sind immer schwierig, besonders über...

Besser ungefähr richtig als genau falsch

Prognosen in der Immobilienwirtschaft haben traditionell mit Vorurteilen zu kämpfen. Sie lauten: Es sei besser, zumindest ungefähr richtig zu liegen als genau falsch. Oder: Vorhersagen sind immer schwierig, besonders über die Zukunft. In den vergangenen Jahren hat die Kritik drastisch zugenommen, denn die großen Wirtschafts- und Immobilienkrisen haben sich offensichtlich nicht vorhersagen lassen. Dennoch wird die Immobilienwirtschaft auch künftig nicht ohne Prognosen auskommen. Denn: Immobilienengagements sind langfristig, kapitalintensiv und finden in einem stark zyklischen Marktumfeld statt. Das richtige Timing von Investition und Desinvestition ist nur möglich, wenn Wendepunkte im Marktzyklus möglichst exakt prognostiziert werden.Um die Güte und das Vertrauen in immobilienbezogene Prognosen langfristig zu verbessern, sind jedoch zwei Schritte erforderlich. Zum einen muss das Bewusstsein für die Frage geschärft werden, was Prognosen tatsächlich leisten können und was nicht. Zum anderen muss aus der Vergangenheit gelernt werden. Schocks integrierenWas können Immobilienmarktprognosen leisten? Zunächst einmal sind sie immer nur im Kontext ihrer Annahmen zu verstehen und zu beurteilen. Prognosemodelle bilden die Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Einflussfaktoren für einzelne Märkte und Sektoren ab – beispielsweise für Flächennachfrage, Leerstand und Neubauzahlen in einem bestimmten regionalen Büroimmobiliensegment. Dabei werden externe Einflussgrößen wie die allgemeine konjunkturelle Entwicklung über den Prognosehorizont gesetzt. Solche makroökonomischen Annahmen werden in der Regel nicht selbst prognostiziert, sondern von externen Quellen übernommen.Dabei versteht es sich von selbst, dass jede Annahme ökonometrischer Modelle bereits in “normalen” Zeiten Fehlern unterworfen ist. Diese erratischen Schwankungen nehmen in Krisenzeiten noch zusätzlich zu. Prognosen sind folglich in konjunkturell turbulenten Zeiten besonders fehleranfällig. Zum Vergleich: Deutschlands Bruttoinlandsprodukt wächst im zu Ende gehenden Jahr um deutlich mehr als 3 % und somit ähnlich stark wie letztmals im Boomjahr 2006. Dagegen war noch Anfang des Jahres für 2010 prognostiziert worden, dass das wirtschaftliche Wachstum bei lediglich 1 % liegt.Ökonometrische Rechenmodelle, aus denen künftige Wendepunkte auf den Immobilienmärkten abgeleitet werden sollen, können bei solchen Änderungen in den fundamentalen Daten per se keine korrekten Ergebnisse erzielen. Jede Prognose, deren Annahmen sich im Prognosezeitraum drastisch verändern, ist falsch.Umgekehrt lässt sich das Prognoseergebnis jedoch entsprechend verbessern, wenn solche Schwankungen oder sogar Schocks als Komponente in die Prognosemodelle integriert werden. Dies kann beispielsweise geschehen, indem verschiedene volkswirtschaftliche (Extrem-)Szenarien betrachtet werden oder konjunkturelle Frühindikatoren verstärkt Berücksichtigung finden. Trotzdem wird es auch künftig äußerst schwierig bleiben, systematische Brüche oder exogene Schocks zu prognostizieren, wie es sie beispielsweise infolge der New-Economy-Blase oder der globalen Finanzkrise gegeben hat. Mehr PraxisbezugZudem müssen ökonometrische Immobilienmarktmodelle immer wieder an neue sektor- und regionsspezifische Entwicklungen angepasst werden. Beispielsweise erfolgte die jüngste Preiskorrektur an den niederländischen Büromietmärkten im zurückliegenden Abschwung weniger über die Nominalmieten als über die Gewährung von Anreizen in Form mietfreier Zeiten oder ähnlichen Incentives. Mietprognosen auf der Basis von Effektivmieten haben daher in diesem Fall höhere Aussagekraft als solche auf der Grundlage von Nominalmieten.Ein weiteres Beispiel: Auf vielen Büromärkten Europas – so auch in Deutschland – ist der Sockelleerstand an nicht mehr marktgängigen, somit für den allgemeinen Miettrend irrelevanten Flächen seit Anfang des Jahrtausends stark angewachsen. Soweit entsprechende Daten vorliegen, kann diese strukturelle Veränderung in ökonometrischen Modellen über eine Differenzierung des Leerstands nach Gebäudequalitäten berücksichtigt werden.Darüber hinaus gilt: Die bestehenden Modelle müssen nicht nur angepasst, sie müssen auch stärker an den Erfahrungen aus der Praxis und lokaler Marktexpertise gespiegelt werden. Lokale Akteure mit direktem Marktbezug wie beispielsweise Niederlassungsleiter überregional agierender Immobilieneigentümer oder regionale Maklerunternehmen sollten systematisch in Prognoseprozesse einbezogen werden, um die jeweiligen Ergebnisse zu überprüfen.