Bisher lediglich ein "Pyrrhus-Sieg" gegen das deutsche Zementkartell
– Herr Dr. Weigel, der Bundesgerichtshof (BGH) hat Urteile des Landgerichts (LG) und des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf gegen das Kartell sechs führender deutscher Zementhersteller bestätigt. Die Klage, bei der es um mindestens 144 Mill. Euro für die Geschädigten geht, wurde für zulässig erklärt. Viele sprechen von Erfolg. Sie hingegen bezeichnen das Ganze als Pyrrhus-Sieg. Warum?Die Klage wurde vom BGH lediglich für zulässig erklärt. Aber jetzt geht es um die Begründetheit der eingeklagten Ansprüche. Ob diese vom LG Düsseldorf, das zunächst wieder entscheiden muss, zugesprochen werden, ist jedoch höchst zweifelhaft.- Was nährt Ihren Zweifel daran?Die besondere Konstellation des Falles. Kläger sind nicht die Kartellgeschädigten selbst, sondern eine belgische Gesellschaft, die im Wege der Abtretung Ersatzansprüche von 36 Zementbeziehern erworben hatte, nachdem sie im Juli 2002 speziell zu diesem Zweck in Belgien gegründet worden war.- Und wo liegt nun das Problem?Das Rechtsberatungsgesetz, das am 1. Juli 2008 durch das insoweit allerdings gleichlautende Rechtsdienstleistungsgesetz ersetzt worden ist, stellt für solche Fallgestaltungen eine hohe Hürde dar. In diesem Gesetz ist ausdrücklich geregelt, dass die geschäftsmäßige Einziehung abgetretener Forderungen auf fremde Rechnung eine rechtsberatende Tätigkeit darstellt, die einer besonderen Erlaubnis bedarf, die der Klägerin fehlt. Die Frage, ob man dem durch Ausweichen ins benachbarte Ausland entgehen kann, stellt sich daher noch immer.- Dass diese Frage bejaht wird, sehen Sie als unwahrscheinlich an?In der Tat. Denn es steht mitnichten fest, dass hier nur ausländisches Recht gilt, weil eine ausländische Gesellschaft in der Bundesrepublik klagt. Auch bestimmte Normen des deutschen Rechts finden Anwendung. Entscheidend ist der Inlandsbezug. Da es sich in diesem Fall bei den Geschädigten um 36 deutsche Zementbezieher handelt und auch die Beklagten hierzulande sitzen, dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit auch hiesiges Recht angewendet werden. Somit werden die Kontrahenten wieder mit den Grenzen konfrontiert, die das Rechtsdienstleistungsgesetz einer Forderungsabtretung setzt. Dass hier ein Verstoß vorliegt, dürfte einigermaßen klar sein.- Wieso ist das so klar?Weil die Geschädigten selbst und nicht die Klägerin zu rund 80 % davon profitieren, wenn die Klage erfolgreich ist. Ein Beispiel: Factoringgesellschaften, die keiner Rechtsberatungserlaubnis bedürfen, arbeiten auf eigene Rechnung. Sie erwerben Forderungen von Unternehmen mit Abschlag, tragen sowohl Kosten als auch Risiken und erhalten im Erfolgsfalle den Ertrag. Die belgische Gesellschaft jedoch hat die Forderungen der Geschädigten, unabhängig von ihrer Höhe, für einen Kaufpreis von jeweils 100 Euro erworben. Mit den Geschädigten ist jedoch vereinbart, dass diese im Erfolgsfalle 75 bis 80 % der erzielten Schadenersatzbeträge erhalten. Nur den Rest behält die klagende Gesellschaft.- Passt dies zu der Vorgabe “nicht auf fremde Rechnung”?Ich meine nein. Die Klägerin müsste sich also wohl vollkommen neu aufstellen, um Erfolg zu haben.- Warum haben die Geschädigten bei dieser Komplexität nicht gleich selbst geklagt?Zunächst geht es um ein “Hardcore-Kartell”. Solche Verfahren sind noch immer selten. Denn kartellbedingte Schäden im Einzelfall nachzuweisen, erweist sich immer wieder als schwer. Ein weiterer Grund sind die Kosten. Insbesondere die Bezifferung des Schadens verursacht enormen Aufwand.- Inwiefern?Die Akten des Verfahrens, von dem wir hier sprechen, sind inzwischen auf 4 500 Seiten angewachsen nebst 200 weiteren Aktenordnern sowie diversen elektronischen Datenträgern mit Anlagen. Hier greift das Geschäftsmodell der belgischen Gesellschaft. Ihr Gründer ist übrigens ein früherer Mitarbeiter des Bundeskartellamts, der heute in Deutschland als Rechtsanwalt tätig ist. Seine Geschäftsidee ist einfach und plausibel. Durch Bündelung der Ansprüche verschiedener Geschädigter sollen die “Stückkosten” für deren Geltendmachung gesenkt werden. Zu diesem Zweck hat die Klägerin z. B. eine spezielle Software entwickelt, mit der sie die vom Kartell betroffenen Geschäfte der Geschädigten zusammengestellt und ausgewertet hat.—-Dr. Michael Weigel ist Partner bei Kaye Scholer in Frankfurt. Die Fragen stellte Walther Becker.