Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Christoph Gruss

Börse Hongkong gewinnt als Einfallstor für China an Bedeutung

Aufsicht räumt Hürden für IPO-Kandidaten mit deutschen Muttergesellschaften

Börse Hongkong gewinnt als Einfallstor für China an Bedeutung

– Herr Gruss, der Markt für Börsengänge in Asien floriert, in Deutschland steht ein Unternehmen aus China für das erste IPO des Jahres im Prime Standard. Werden sich deutsche Unternehmen auch Hongkong oder Shanghai anschauen?Für die Zukunft sehe ich einen verstärkten Austausch zwischen Europa und Asien, insbesondere zwischen den Börsenplätzen in Deutschland und China. Dies gilt für beide Richtungen. Die Börse Hongkong wird hier als Einfallstor in den chinesischen Markt von besonderer Bedeutung für deutsche Unternehmen sein.- Wie können hiesige Unternehmen dort an die Börse gehen und sich vom schwachen heimischen IPO-Markt abkoppeln?Die Aufnahme eines Primary Listing an der Börse Hongkong ist von den Dokumentations- und Publikationspflichten her anders als ein Börsengang in Deutschland, eher vergleichbar mit einem IPO am Main Market in London. Aber hier wie dort stehen die Erstellung des Börsenprospekts und die übrige Vorbereitung des Unternehmens auf die Börsennotierung – also die Herstellung der Börsenreife – im Vordergrund.- Was hat sich bislang auf regulatorischer Ebene getan, um den Zugang in Hongkong zu erleichtern?Die Börse Hongkong hat Anfang September einige wesentliche Hürden für IPO-Kandidaten mit deutschen Muttergesellschaften aus dem Weg geräumt. So hat sie erklärt, dass die Regelungen zum Schutz von Aktionären in Deutschland mit denen in Hongkong in fast allen Punkten gleichwertig sind. Dies ist eine wesentliche Vereinfachung.- Die Regelungen zum Aktionärsschutz sind in Deutschland und Hongkong demnach identisch?Nicht ganz. Das Niveau ist vergleichbar. Im Detail gibt es aber juristische Unterschiede. Wo möglich, sind deutsche Unternehmen im Zuge eines IPO in Hongkong verpflichtet, diese Unterschiede durch entsprechende Anpassungen ihrer Unternehmensregularien, zum Beispiel der Satzung, auszugleichen. Zugleich hat die Börse Hongkong in ihrer September-Entscheidung drei Punkte mit Bezug zum Aktionärsschutz identifiziert, in denen das deutsche und das Recht in Hongkong sich grundsätzlich unterscheiden. Es handelt sich dabei um unterschiedliche Regelungen zur Anfechtbarkeit von Beschlüssen, zur Zustimmung der Aktionäre beziehungsweise des Aufsichtsrats zu Management-Entscheidungen und zu der Frage des Vorgehens bei einer Herabsetzung des Grundkapitals der Gesellschaft.- Ist absehbar, dass diese drei Punkte noch angepasst werden, oder ist dies gar nicht erforderlich?Änderungen in diesen Bereichen sind meines Wissens nicht beabsichtigt. Eine Anpassung der Regelungen ist aber auch gar nicht erforderlich. Denn die Börse Hongkong hat nur die Verschiedenartigkeit der Regelungen festgestellt, nicht aber ein unterschiedliches Maß des davon ausgehenden Aktionärsschutzes. Im Ergebnis bedeutet dies, dass diese rechtlichen Unterschiede dem Börsengang eines deutschen Unternehmens in Hongkong nicht im Wege stehen.- Was macht Hongkong eventuell attraktiv – die Bewertungen dort, niedrigere Gebühren, eine neue Investorenbasis?Ob Hongkong ein attraktiver Ort für ein IPO ist, muss in jedem Einzelfall individuell beurteilt werden. Der Zugang zu einer neuen und starken Investorenbasis ist sicherlich eines der stärksten Pro-Argumente. Die Möglichkeit, mit Hongkong eine zusätzliche IPO-Option in einem prosperierenden Kapitalmarkt zu haben, ist in meinen Augen ein weiteres. Umgekehrt darf man aber auch nicht die Komplikationen und zusätzlichen Komplexitäten aus den Augen verlieren, die ein IPO an einem ausländischen Börsenplatz mit sich bringen kann.- Wann rechnen Sie mit ersten Kandidaten, die sich mit ihrem Listing nach Fernost wagen?Spätestens 2010 dürften wir das erste deutsche IPO in Hongkong sehen. Ich wäre auch nicht überrascht, wenn Unternehmen die aktuell recht optimistische Stimmung in China ausnutzen und den Börsengang dort noch im vierten Quartal dieses Jahres wagen.—-Christoph Gruss ist Partner in der Capital Markets Group der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers. Die Fragen stellte Walther Becker.