Börsennotierter Mittelstand in der Existenz bedroht
Herr Wegerich, Herr Feiler, der Interessenverband für kapitalmarktorientierte Mittelständler wehrt sich gegen die geplanten Änderungen des Grunderwerbsteuergesetzes. Worum geht es?Wegerich: Eigentliches Ziel der Änderungen ist die Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen. Gegenwärtig sind Veräußerungen von Anteilen an Personengesellschaften mit inländischem Immobilienbesitz steuerfrei, solange nicht mindestens 95 % der Anteile innerhalb von fünf Jahren übertragen werden. Nunmehr soll die Schwelle auf 90 % abgesenkt und die Frist auf zehn Jahre verlängert werden. Darüber hinaus sollen auch Anteilseignerwechsel an Kapitalgesellschaften mit inländischem Grundbesitz erfasst werden. Die Gesetzesbegründung sieht vor, dass die Gesellschaft besteuert wird, die wegen des Anteilseignerwechsels grunderwerbsteuerrechtlich nicht mehr als dieselbe Kapitalgesellschaft anzusehen ist. Feiler: Aktiengesellschaften im Streubesitz befürchten nun, künftig regelmäßig Grunderwerbsteuer zahlen zu müssen, nur weil ihre Aktien an der Börse umgeschlagen werden. Aufgrund allein der Börsenumsätze in 2018 müssten eine Vielzahl von Dax-Unternehmen Grunderwerbsteuer auf den gesamten inländischen Immobilienbesitz zahlen, teilweise sogar mehrfach. Das Gesetz geht in der Form so durch?Feiler: Auf Antrag des Landes Hessen schlägt der Bundesrat nun vor, Kapitalgesellschaften, die an einem organisierten Markt zugelassen sind, auszunehmen. Ist das sachgerecht?Wegerich: Absolut nicht. Danach würde die Regelung allein die im Freiverkehr börsennotierten Mittelständler treffen und benachteiligen. Gerade der Freiverkehr dient aber kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) als erleichterter Zugang an die Börse und würde nun durch das Gesetz benachteiligt. Während überall in Europa zu Recht die Initiative der Kapitalmarktunion gepredigt wird und die Kapitalmarktfinanzierung von Mittelständlern erleichtert werden soll, wird dieser in Deutschland durch nicht nachvollziehbare Steuergesetze zusätzlich zur Kasse gebeten. Dies führt zu einer starken Benachteiligung gegenüber Großunternehmen und dem Mittelstand im Ausland wie etwa Frankreich.Feiler: Zudem unterliegen Freiverkehrsemittenten wie Emittenten eines organisierten Marktes den Regelungen der Marktmissbrauchsverordnung. Insidergeschäfte und Marktmanipulation werden dadurch verhindert. Eine Differenzierung nach Marktsegmenten ist insoweit nicht sachgerecht und benachteiligt den börsennotierten Mittelstand.Wegerich: Darüber hinaus hat der Erwerb von Aktien börsennotierter Kapitalgesellschaften keinen missbräuchlichen Gestaltungszweck – die Mittelständler nutzen die Börse, um Innovationen und Wachstum zu finanzieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Es handelt sich um einen klassischen Gesetzesfehler – wohl eher unbeabsichtigt, als tatsächlich gewollt. Ist denn eine Identifikation der Personen im Aktienbesitz überhaupt möglich?Feiler: Aufgrund der Besonderheiten des Börsenhandels ist das nicht möglich. Es bleibt damit allein ein Abstellen auf den Handelsumsatz und das ist nicht sachgerecht – durch stetes An- und Verkaufen der Aktien. Der Börsenumsatz liefert keine Erkenntnisse, ob es sich bei den Erwerbern der Aktien um neue Aktionäre handelt oder ob bereits bestehende Aktionäre untereinander gehandelt haben. Daher gibt es Stimmen, die hier ein verfassungswidriges strukturelles Vollzugsdefizit ableiten. Die Einführung der geplanten Regelungen würde dem börsennotierten Mittelstand in Deutschland jedenfalls großen Schaden zufügen und könnte KMUs von einem Börsengang abschrecken. Ingo Wegerich ist Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft und Präsident des Interessenverbandes kapitalmarktorientierter KMU e.V.; Dr. Marc Feiler ist Geschäftsführer der Börse München und Vorstandsmitglied des Interessenverbandes.Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.