Chinas Sozialkreditsystem trifft auch deutsche Unternehmen
Herr Lichtenstein, China will Unternehmen, ähnlich wie seine Bevölkerung, nach einem Punktesystem bewerten. Das System soll bis 2020 landesweit eingeführt werden. Was ist genau geplant?Die gesetzlichen Grundlagen für die Bewertung von Unternehmen gibt es bereits. Seit einigen Jahren findet die Bewertung auch statt, allerdings über verschiedene Register verstreut. Diese werden zum Beispiel von der Administration for Market Regulation sowie den Steuer-, Zoll- und Umweltbehörden geführt. Vereinfacht ausgedrückt, werden diese Systeme 2020 zusammengeführt und um weitere Angaben ergänzt. Das Volumen an Big Data, das die chinesischen Behörden inzwischen gewonnen haben und weiter erheben werden, sowie die Zusammenarbeit mit chinesischen Technologieführern, wie Huawei, Alibaba und Tencent, machen eine umfassende Integration und weitere Verfeinerung möglich. Das Unternehmensbewertungssystem arbeitet überwiegend mit rechtlichen und wirtschaftsrelevanten Parametern und liegt damit auf einer anderen Ebene als das berüchtigte Scoring der Bevölkerung nach deren privaten Verhalten. Letzteres gibt es bislang nur als Pilotprojekt in einigen Städten. Welche Folgen hat das für Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen in China?Jedes Unternehmen mit Sitz in der China bekommt ein Rating nach Punkten. Ein schlechtes Rating kann einschneidende Konsequenzen nach sich ziehen, wie Geldbußen, Einschränkungen beim Erwerb von Lizenzen, Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen, den Eintrag in schwarze Listen, sogenanntes Blacklisting sowie Einschränkungen für den gesetzlichen Vertreter. Die Mehrzahl dieser Sanktionen kann schon jetzt im Falle von Gesetzesverstößen verhängt werden. Neu ist, dass künftig auch unklare Faktoren das Rating und damit die Wahrscheinlichkeit von Sanktionen beeinflussen sollen. Dazu zählt etwa negative Publicity über das Unternehmen in chinesischen Medien, einschließlich Social Media. Auch, dass die Bewertung von Geschäftspartnern von Unternehmen auf dessen eigenes Rating Einfluss haben soll, gab es bislang so nicht. Hat das System auch Vorteile?Eine Vielzahl der ratingrelevanten Kriterien verfolgt legitime Zwecke und ist durchaus zu begrüßen. Dass Verstöße gegen Umweltschutz, Arbeitsschutz, Produktsicherheit sowie die Steuer- und Zollbestimmungen geahndet werden und dies nicht im Verborgenen bleibt, stößt bei vielen deutschen Unternehmen auf Zustimmung, da diese häufig selbst sehr korrekt arbeiten. Auch die Bewertung eines Unternehmens anhand seiner Geschäftspartner sehe ich nicht als völlig verfehlt – schließlich ist sie ein Teil westlicher Compliance-Systeme. Im Idealfall verbessert das neue System auch die Rechtstreue der chinesischen Wettbewerber. Doch ist Skepsis angebracht. Warum?Bislang fehlt es, infolge von Günstlingswirtschaft im Beamtenapparat, oft an Gleichbehandlung im rechtsstaatlichen Sinne. Diese lässt sich durch einen reinen Automatismus nicht gleichwertig ersetzen. Sowohl beim Input ins System, der Ausgestaltung des Algorithmus als auch der Korrektur von Bewertungen kommen weiter menschliche, also beeinflussbare Faktoren zum Einsatz. Was raten Sie Unternehmen; wie können sie sich vorbereiten?Unternehmen sollten sich in den kommenden Wochen Klarheit über ihr aktuelles Rating verschaffen. Bevor das einheitliche Portal dafür freigeschaltet wird, kann dies nur durch die bislang vorhandenen fragmentierten Register erfolgen. Je nach Ergebnis der Recherche sollten sie Schwachstellen identifizieren, die zu einem schlechten Rating geführt haben oder führen könnten. Die häufig bereits aus dem Mutterhaus bekannten Compliance-Mechanismen sollten auf Vereinbarkeit mit den chinesischen Standards überprüft, gegebenenfalls angepasst und ihre Einhaltung sichergestellt werden. Ein falsches Rating kann durch einen Antrag bei der zuständigen Behörde korrigiert werden. Dr. Falk Lichtenstein ist Partner von CMS Peking. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.