RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: SVEN SCHELO

"Das Grundgesetz ist durchaus europafreundlich"

Zur Tragweite der anstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über ESM und Fiskalpakt

"Das Grundgesetz ist durchaus europafreundlich"

Am Dienstag entscheidet Karlsruhe, ob die Gesetze zum Euro-Rettungsfonds ESM und dem Fiskalpakt in Kraft gesetzt werden dürfen. Eine Vorentscheidung über die Integration Europas? – Herr Dr. Schelo, rechnen Sie damit, dass das Bundesverfassungsgericht den ESM-Vertrag und den Fiskalpakt am Dienstag zu Fall bringen wird?Das Bundesverfassungsgericht hat in der sogenannten Rettungsschirmentscheidung vom September letzten Jahres, bei dem es um den Vorläufer des ESM, nämlich den EFSF und EFSM ging, wichtige Maßstäbe herausgearbeitet. Darin hat es gesagt, dass der Bundestag seine Budgetverantwortung nicht durch unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere Akteure übertragen darf. Für die Vorläufer des ESM hat das Verfassungsgericht eine Zustimmung des Haushaltsausschusses vor der Zusage von Leistungen gefordert, aber auch für ausreichend erachtet. Es bleibt zu sehen, wie das Verfassungsgericht diese Maßstäbe auf den ESM anwendet.- Machen die jüngsten Gipfelentscheidungen zum Direktkauf von Staatsanleihen durch den ESM und zur Direkthilfe von Banken nicht eine erneute parlamentarische Abstimmung über die modifizierten Gesetze notwendig?Der genaue Inhalt der Gipfelbeschlüsse ist zumindest zur Frage des Direktkaufs von Staatsanleihen durch den ESM nicht unumstritten. Hier wird man zunächst einmal abwarten müssen. Wenn die Gipfelentscheidungen zu Änderungen am ESM-Vertrag führen, könnte eine deutsche Zustimmung zu dieser Vertragsänderung in der Tat von der Zustimmung des Parlaments abhängen.- Ein Veto des Bundesverfassungsgerichts würde an den Finanzmärkten für Tumult sorgen. Aber was wären die langfristigen Auswirkungen im Hinblick auf die weitere Integration Europas?Sollte das Verfassungsgericht beispielsweise mehr parlamentarische Einbindung bei Einzelmaßnahmen befürworten, stellt sich immer die Frage der Praktikabilität. Denn die Finanzmärkte verlangen mitunter sehr schnelle Entscheidungen. Dies steht in gewissem Widerspruch zu einem Mehr an parlamentarischer Beteiligung, die ja Prozesse in einer Sanierungssituation verlangsamen könnte. Das kann zu einer Bürde bei der Bekämpfung des Staatsschuldenkrise werden.- Kann ein negatives Votum des Bundesverfassungsgerichts eigentlich durch den EuGH wieder kassiert werden?Unmittelbar ist das nicht möglich, denn rechtlich betrachtet ist die Bundesrepublik Deutschland nicht zum Abschluss des ESM-Vertrages oder des Fiskalpaktes verpflichtet.- Wie könnten die Verfassungsrichter ein mögliches ESM-/Fiskalpakt-Veto begründen?Ein wichtiger Punkt wird sein, ob die notwendige Beteiligung des Bundestages bei der konkreten Entscheidung über Hilfsmaßnahmen gewahrt ist. Das Umsetzungsgesetz enthält in seinen Paragraphen 4 und 5 Parlamentsvorbehalte bezüglich wichtiger Entscheidungen im Rahmen des ESM und sieht für andere Entscheidungen auch die Zustimmung des Haushaltsauschusses vor. Es wird zu prüfen sein, ob dies ausreicht und ob diese Parlamentsvorbehalte auch effektiv auf die Abstimmungen in den ESM-Gremien durchschlagen.- Und welche Argumente gibt es, die gegen ein solches Veto sprechen?Man könnte argumentieren, dass es sich bei den ESM Regelungen gerade nicht um Generalklauseln handelt, sondern Umfang, Volumen und die konkreten Maßnahmen bestimmt genug bezeichnet sind. In diesem Fall wäre eine Beteiligung des Parlaments bei weiteren Einzelentscheidungen entbehrlich und mit der grundsätzlichen Zustimmung des Bundestages ausreichend erfüllt. Zudem gibt es ja für wesentliche Maßnahmen umfangreiche Parlamentsvorbehalte oder Zustimmungserfordernisse des Haushaltsausschusses, die aufgrund der grundsätzlichen Sperrminorität der Bundesrepublik bei den ESM Abstimmungen auch effektiv sind. Zudem ist der Umfang des Risikos beschrieben und in der Regel auf ein Höchstmaß begrenzt.- Hat die Zwei-Drittel-Zustimmung zu den Gesetzen am vorvergangenen Freitag die Hürde für die Verfassungsrichter erhöht, den ESM- und Fiskalvertrag zu stoppen?Das kann ich mir nicht vorstellen. Das Verfassungsgericht entscheidet grundsätzlich nicht nach Mehrheitslage im Deutschen Bundestag. Ein Verfassungsverstoß bliebe auch dann ein Verfassungsverstoß, wenn er von zwei Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages unterstützt wird.- Als kritische Punkte hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt die mangelnde parlamentarische Mitwirkung und die unauflösliche fiskalische Bindung künftiger Parlamente kritisiert. Wo befindet sich für den Gesetzgeber die rote Linie, die er bei einem weiteren Souveränitätstransfer nicht überschreiten darf?Grenzen bestehen grundsätzlich dort, wo es ein Dritter – z. B. ein anderer Staat – in der Hand hätte, Verbindlichkeiten zu schaffen, für die Deutschland haftet und die im Umfang zuvor nicht vom Parlament genehmigt worden sind.- Ist eine Volksabstimmung über ein europafreundlicheres Grundgesetz bzw. über neu hinzuzufügende Artikel zur Integration Europas notwendig?Zum einen ist das Grundgesetz in seiner heutigen Form bereits durchaus “europafreundlich”. Zum anderen könnte die demokratische Gestaltungsmacht des Parlaments auch durch eine Volksabstimmung nicht in ihrem Kernbereich beschnitten werden. Insofern wäre eine solche Volksabstimmung, jedenfalls rechtlich betrachtet, nicht notwendig.—-Dr. Sven Schelo ist Partner im Frankfurter Büro von Linklaters. Die Fragen stellte Stephan Lorz.