Recht und Kapitalmarkt

Das Rettungspaket für Banken ist eine Überraschungsbox

Ernste beihilferechtliche Probleme - Streit um stille Beteiligung - Wann greift die 10-Prozent-Mindestverzinsung?

Das Rettungspaket für Banken ist eine Überraschungsbox

Von Christoph Arhold *) Die globale Finanzkrise hat staatliche Hilfsmaßnahmen in bislang unbekannter Dimension notwendig gemacht. Viele nationale Rettungspakete sind von der Kommission in den vergangenen Wochen im Eilverfahren auf Grundlage der von ihr Mitte Oktober veröffentlichten Leitlinien über die Anwendung der Vorschriften für staatliche Beihilfen auf Maßnahmen zur Stützung von Finanzinstituten (sogenannte “Bankenleitlinien”) genehmigt worden, darunter das deutsche Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG). Der Teufel steckt im DetailDie beihilferechtlichen Probleme der nach dem FMStG gewährten Stützungsmaßnahmen sind dadurch aber nicht vom Tisch. Sie fangen erst an. Der Teufel steckt nicht nur im Detail, wie der jüngst ausgebrochene Streit bezüglich der Mindestverzinsung der stillen Beteiligung an der Commerzbank offenlegt, ein Streit über erhebliche kurz- und mittelfristige Mehrbelastungen. Vielmehr ist trotz der Genehmigung des FMStG als allgemeine Beihilferegelung die spätere individuelle Prüfung geradezu systemimmanent samt unabsehbaren Konsequenzen für die betroffenen Unternehmen. Wer jetzt eine Rekapitalisierungsmaßnahme in Anspruch nimmt, kann weder darauf vertrauen, dass es bei dem auf Grundlage des FMStG und der Finanzmarktstabilisierungsfonds-Verordnung (FMStFV) mit dem Finanzmarktstabilisierungsfonds ausgehandelten unmittelbaren Entgelt für die Beteiligung verbleibt (siehe Commerzbank), noch dass die Kommission nicht nach individueller Prüfung des späteren Umstrukturierungsplans weitere einschneidende Kompensationsmaßnahmen einfordert. Insoweit ist das Rettungspaket auch eine Überraschungsbox. Die ersten Rettungsmaßnahmen zu Beginn der Finanzkrise hatte die Kommission noch anhand ihrer Leitlinien für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen (“R & U-Leitlinien”) geprüft, so zum Beispiel in den Fällen der Sachsen LB und der IKB. Die R & U-Leitlinien machen strenge Vorgaben. So sind Ausgleichsmaßnahmen zu treffen, die die Wettbewerbsverzerrung so weit wie möglich kompensieren, beispielsweise die Veräußerung von Vermögenswerten oder eine Beschränkung der Marktpräsenz. Zudem sind die Beihilfenempfänger verpflichtet, bis zu 50 % der Kosten der Umstrukturierung selbst zu tragen. Nachdem sich die Finanzkrise weiter verschärfte und sich die Mitgliedstaaten im Europäischen Rat Mitte Oktober auf ein gemeinsames Aktionsprogramm verständigt hatten, veröffentlichte die Kommission ihre Bankenleitlinien. Grundgedanke hinter den Bankenleitlinien ist, dass die nationalen Rettungspakete ohne Weiteres zugunsten des Finanzsektors im Ganzen, aber nicht ohne weitergehende Auflagen zugunsten einzelner Finanzinstitute greifen sollen. Schützenswert ist nur das System, nicht die einzelnen am Kollabieren des Systems schuldigen Marktteilnehmer. Praktisch wird das sichergestellt, indem Garantien sofort gewährt werden dürfen, bei Eintreten des Garantiefalls aber die individuelle Prüfung von Umstrukturierungsplänen erfolgen soll. Gleiches gilt in Fällen langfristiger Rekapitalisierungen. Hier geht es um schnelles Geld unter Verschiebung der Prüfung der notwendigen Kompensation. Partytime – mögliche Katerstimmung inklusive. Carte blanche Bei der Prüfung des Umstrukturierungsplans will die Kommission die R & U-Leitlinien entsprechend anwenden, jedoch gleichzeitig den Besonderheiten der Systemkrise der Finanzmärkte Rechnung tragen. Dieser Ansatz gibt der Kommission eine Carte blanche. Das Prüfungsergebnis wird im Einzelfall von den zum Zeitpunkt der Prüfung bestehenden wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen abhängen. Immerhin ergibt sich aus den Bankenleitlinien, dass die Kommission zwischen “guten” und “schlechten” Banken unterscheiden will. “Gute” Banken sind aus Sicht der Kommission grundsätzlich gesunde Finanzinstitute, die nur durch die derzeit außergewöhnlichen Umstände in Schwierigkeiten geraten sind. Diese werden in der Regel keine oder nur geringe Kompensationsmaßnahmen zu befürchten haben. “Schlechte” Banken haben ihre Verluste aufgrund von Ineffizienz, mangelhaftem Management oder risikoreichen Strategien selbst verschuldet. Hier sollen weitreichende Ausgleichsmaßnahmen erforderlich sein. Es ist unklar, wie sich diese Schwarz-weiß-Malerei in der Praxis auswirken wird. In “grauen” Fällen drohen langwierige Verhandlungen mit der Kommission. Gleichwohl bieten die Bankenleitlinien Vorteile gegenüber den R & U-Leitlinien. Banken, deren Rettung noch nach den R & U-Leitlinien mit strikten Auflagen teuer erkauft wurde, mögen sich deshalb ungerecht behandelt fühlen. Ob Banken, deren Umstrukturierungsplan gegenwärtig noch geprüft wird (z. B. die WestLB), auf eine Prüfung nach den Grundsätzen der Bankenleitlinien hoffen können, ist fraglich. Grundsätzlich ist die Genehmigungsfähigkeit einer Beihilfe zwar nach den zum Zeitpunkt ihrer Gewährung (und nicht etwa zum Zeitpunkt der Kommissionsentscheidung) geltenden Regeln zu beurteilen, doch könnte die Kommission unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebots gut beraten sein, die Wertungen der Bankenleitlinien einfließen zu lassen.Genehmigt die Kommission auf Grundlage der Bankenleitlinien allgemeine nationale Beihilferegelungen, so sind die unter diesen “Rettungspaketen” gewährten Beihilfen nur noch anhand der nationalen Regelungen und der dazu ergangenen Genehmigungsentscheidung der Kommission zu beurteilen. Vor diesem Hintergrund ist der aktuelle Streit zwischen der Bundesregierung und der Kommission über die Verzinsung der stillen Beteiligung an der Commerzbank zu verstehen. Nach der Presse fordert die Kommission statt der geplanten Verzinsung der beiden Tranchen der stillen Beteiligung mit 8,5 % bzw. 5,5 % eine Mindestverzinsung von 10 %. Von einer zehnprozentigen Mindestverzinsung steht jedoch weder im FMStG noch in der Verordnung (FMStFV) etwas. Auch in der soeben veröffentlichten Entscheidung der Kommission zum deutschen Rettungspaket wird zunächst die maßgebliche Regelung der FMStFV wiedergegeben, nach der lediglich eine “marktgerechte Vergütung” zu verlangen ist. Sodann heißt es zwar, dass von den deutschen Behörden “für Vorzugsaktien eine marktgerechte Vergütung zugesichert wird, die nicht unterhalb von 10 % jährlich liegt”. Den Fall einer stillen Beteiligung behandelt die Kommissionsentscheidung indessen nicht. Der Erwerb von Vorzugsaktien und derjenige einer stillen Beteiligung sind auch nicht a priori gleich zu behandeln. Beispielsweise kann das Verlustrisiko des Kapitalgebers – je nach individueller Ausgestaltung etwa der Laufzeit und des Haftungsrangs – bei einer stillen Beteiligung geringer sein. Obwohl nach Basel II ebenfalls als Tier-I-Kapital anzusehen, wird die stille Beteiligung vom Markt nicht stets auch als sogenanntes Core-Tier-I-Kapital anerkannt. Bei stillen Beteiligungen ist daher im Einklang mit den Grundsätzen der Bankenleitlinien eine individuelle Untersuchung angezeigt, was im Sinne einer marktorientierten Bewertung als angemessene Gegenleistung anzusehen ist. Bei dieser marktorientierten Bewertung ist nicht nur die Risikoklasse des Beihilfeninstruments, sondern auch die Situation des individuellen Unternehmens zu berücksichtigen. Außerdem ist nach den Bankenleitlinien nicht nur die unmittelbare Verzinsung, sondern “auch die Einführung von Rückforderungsmechanismen oder Besserungsklauseln in Betracht zu ziehen” (Leitlinien, Rd. 39). PrüfungshoheitDer aktuelle, lautstark über die Medien ausgetragene Streit verdeutlicht, dass die Kommission die Prüfungshoheit auch im Einzelfall behalten möchte. Sie kann jedoch nur prüfen, ob die konkrete Stützungsmaßnahme von einer genehmigten nationalen Beihilferegelung gedeckt ist, unter Berücksichtigung etwaiger in der Genehmigungsentscheidung genannter Zusagen und Bedingungen, die im Lichte der Bankenleitlinien ausgelegt werden können. Der “10 %-Disput” in Sachen Commerzbank ist nur ein Vorgeschmack der zu erwartenden Auseinandersetzungen. Heftige Streitigkeiten sind insbesondere bei der individuellen Prüfung der im nächsten Jahr anstehenden Umstrukturierungspläne programmiert. *) Christoph Arhold ist Counsel bei White & Case LLP in Berlin/Brüssel.