RECHT UND KAPITALMARKT

Das Verbandssanktionengesetz und die Privatisierung der Strafverfolgung

Vabanquespiel für Unternehmen: Kooperieren oder verteidigen?

Das Verbandssanktionengesetz und die Privatisierung der Strafverfolgung

Von Sophia Habbe und Christian Pelz *)Interne Untersuchungen zur Aufklärung vermeintlichen Fehlverhaltens von Mitarbeitern oder der Geschäftsleitung sind in Unternehmen mittlerweile beinahe alltäglich. Dies belegt eine Studie der Kanzlei Noerr in Kooperation mit der EBS Law School zu internen Untersuchungen aus September 2019. Nach Aussage der Entscheider in 300 befragten Unternehmen gilt der Verdacht von Straftaten in über 80 % der Fälle als Auslöser für unternehmenseigene Ermittlungen.Umso erstaunlicher ist, dass diese bislang rechtlich nicht geregelt sind. Dem will das Verbandssanktionengesetz Abhilfe schaffen. Mehr noch: Das Gesetz zielt darauf ab, Anreize zu schaffen, vermehrt interne Untersuchungen durchzuführen und alle Erkenntnisse den Strafverfolgungsbehörden offenzulegen – goldene Zeiten für Staatsanwälte. Trägt nämlich der Verband wesentlich zur Aufklärung der Verbandsstraftat bei, arbeitet er ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden zusammen und legt dabei sämtliche Erkenntnisse und Dokumente den Ermittlungsbehörden offen, soll dies dazu führen, dass das Gericht die Höchstgrenze der Verbandsgeldsanktion auf die Hälfte mindern kann. Das Zuckerbrot, die Absenkung der Höchstgrenze der Verbandsgeldsanktion, ist dem kooperierenden Unternehmen aber nicht gewiss, denn dies liegt bis zum Schluss im Ermessen des Gerichts.Ist das revolutionär? Auch bislang schon ist die Geschäftsführung gehalten, dem Verdacht auf Straftaten von Mitarbeitern nachzugehen und diese zu untersuchen. Gleiches gilt für den Aufsichtsrat, sofern etwaiges Fehlverhalten von Mitgliedern der Geschäftsleitung oder organisatorische Mängel im Raum stehen. Allerdings sind Beschäftigte gehalten, an solchen Untersuchungen mitzuwirken. Zudem steht Unternehmen die Entscheidung frei, wie solche internen Untersuchungen durchgeführt werden und ob die Erkenntnisse mit den Strafverfolgungsbehörden geteilt werden.Künftig wird sich die Geschäftsleitung einer weiteren Herausforderung gegenübersehen. Sie muss bereits bei Beginn eines Ermittlungsverfahrens festlegen, ob sich das Unternehmen gegen die Vorwürfe verteidigen oder uneingeschränkt mit den Ermittlungsbehörden kooperieren will. Hierfür bedarf es eines unternehmerischen Abwägungsprozesses, der auf einer ausreichenden Informationsgrundlage beruht, die jeweiligen Vor- und Nachteile erkennt, bewertet und in ein angemessenes Verhältnis zueinander setzt sowie die jeweiligen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Für die Geschäftsleitung stellt sich dies als Vabanquespiel dar. Eine ununterbrochene und uneingeschränkte Kooperation erfordert eine rasche Entscheidung nach Bekanntwerden der Vorwürfe. Dabei kann das Unternehmen nur hoffen, dass das Gericht den Bußgeldrahmen absenken wird. Eine Gewissheit hat es indes nicht. Dagegen verzichtet das Unternehmen auf die Chance der Verteidigung und auf Sanktionsfreiheit, wenn die Behörden Verstöße nicht hinreichend sicher nachweisen können.Geschäftsleiter werden sehr gründlich prüfen müssen, ob die Verteidigung gegen Vorwürfe größere Erfolgsaussichten als eine vollumfängliche Kooperation besitzt. Denn bei einer Kooperation dürfte eine höhere Wahrscheinlichkeit bestehen, dass es überhaupt zur Verhängung einer Sanktion kommt. Unternehmen werden nämlich auch bei einer nicht vollständig ausgeräumten Verdachtslage eher bereit sein, eine Sanktion und auch vermögensabschöpfende Maßnahmen zu akzeptieren als zu riskieren, dass die Strafverfolger die Voraussetzung der umfassenden und uneingeschränkten Kooperation für eine Sanktionsrahmenverschiebung verneinen. In vielen Konstellationen, insbesondere im Bereich grenzüberschreitender Straftaten, dürften jedoch Verteidigungschancen hoch sein und eine realistische Aussicht bestehen, das Ermittlungsverfahren ohne Verbandsgeldsanktion und Einziehung zu beenden. Selbst wenn sich solche Erwartungen später zerschlagen sollten, kann das Verteidigungsverhalten immer noch im Rahmen der Sanktionszumessung mildernd gewertet werden. Hinzu kommt, dass Verteidigungsunterlagen den rechtlichen Beschlagnahmeschutz genießen. Abwarten ist keine OptionDen Verlauf der Ermittlungen abzuwarten, ist keine Option. Um die Interessen ihres Unternehmens bestmöglich zu wahren, werden Geschäftsleiter gehalten sein, einerseits die Verteidigungsaussichten zu evaluieren und andererseits die Vorteile einer Kooperation gegenüberzustellen und konkret die materiellen und immateriellen Folgen für das Unternehmen zu bewerten. Gegebenenfalls bedarf es für die Informationsgewinnung vor dieser Entscheidungsfindung einer eigenständigen “Mini-Untersuchung”. Vorschnell wird der Geschäftsleiter nämlich eine umfassende Kooperationsvereinbarung mit den Behörden nicht eingehen dürfen. Daher: Es ist nicht alles Gold, was glänzt – der Privatisierung der Strafverfolgung wird dieser Gesetzesentwurf dennoch Vorschub leisten. *) Dr. Sophia Habbe und Dr. Christian Pelz sind Partner von Noerr.