RECHT UND KAPITALMARKT

Das Vergaberecht wird vollelektronisch

Jüngst in Kraft getretene Reform vollzieht Paradigmenwechsel

Das Vergaberecht wird vollelektronisch

Von Steffen Amelung *) Der Markt für das EU-weite Beschaffungswesen ist milliardenschwer: Pro Jahr werden allein in Deutschland Aufträge im Wert von 350 Mrd. Euro vergeben – dies entspricht etwa 11 % des Bruttoinlandsprodukts. Daran beteiligt sind 35 000 öffentliche Auftraggeber auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene.Mit der Zielsetzung, Ausschreibungen effizienter zu machen und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen bei Ausschreibungen nicht zu benachteiligen, verabschiedete das Europäische Parlament die Richtlinie 2014/24/EU, welche am 18. April 2016 in deutsches Recht umgesetzt wurde. Seither müssen öffentliche Auftraggeber alle Vergaben ab Erreichen der EU-Schwellenwerte online im Amtsblatt der EU (TED) bekanntmachen und haben Vergabeunterlagen grundsätzlich elektronisch und unentgeltlich bereitzustellen. Der Übergang von einer papierbasierten zu einer durchgängig auf elektronischen Mitteln basierenden öffentlichen Auftragsvergabe war damit allerdings noch nicht beendet: Für die Kernerneuerung der Vergaberechtsreform, die Einführung rein elektronischer Kommunikation zwischen Auftraggebern und Unternehmen, galt die spezielle Umsetzungsfrist bis zum 18. Oktober 2018. Seitdem gilt für alle öffentlichen Auftraggeber in Deutschland die verpflichtende sogenannte “e-Vergabe”.Auftraggeber müssen seitdem die vollelektronische Kommunikation in allen Verfahrensstufen garantieren. Mit anderen Worten: Schriftliche Kommunikation ist grundsätzlich nicht mehr zulässig. Lediglich in besonderen Fällen ist der Auftraggeber nicht verpflichtet, die Verwendung elektronischer Mittel zu verlangen. Hierzu gehören etwa Fälle, in denen spezielle Bürogeräte verwendet werden müssten, die Auftraggebern nicht generell zur Verfügung stehen. Damit ist der Paradigmenwechsel von der analogen hin zur digitalen “e-Vergabe” abgeschlossen.Diese Modernisierung ist zu begrüßen, verbessert sie doch die Möglichkeiten der Wirtschaftsteilnehmer zur Teilnahme an Vergabeverfahren im gesamten Binnenmarkt und führt zu einer weiteren Steigerung von Effizienz und Transparenz der Vergabeverfahren. Allerdings muss der Auftraggeber zur Gewährleistung der e-Vergabe vielfältige Anforderungen beachten, um die gewünschte Interoperabilität zwischen unterschiedlichen technischen Formaten, Verfahrens- und Nachrichtenstandards sicherzustellen. Erschwerend kommt hinzu, dass das neue “e-Vergabe-Recht” viele Bereiche nur rudimentär regelt und damit etliche Fragen bis auf Weiteres unbeantwortet lässt. Auftraggeber gefordertEine neue Aufgabe des Auftraggebers ist es von nun an, das erforderliche Sicherheitsniveau für die in den verschiedenen Phasen des Vergabeverfahrens genutzten elektronischen Mittel festzulegen. Das reicht je nach Einschätzung der Sicherheitsanforderungen von der einfachen Textform gemäß § 126b BGB bis zu fortgeschrittenen Sicherheitsmechanismen wie einer elektronischen Signatur oder einem elektronischen Siegel nach der eIDAS-Verordnung. Dabei ist zu beachten, dass jede Abweichung vom Textformgrundsatz besonders zu begründen ist und Ausnahmecharakter hat. Hier muss der Auftraggeber Fingerspitzengefühl beweisen: Wird ungerechtfertigt ein zu hohes Sicherheitsniveau verlangt, liegt wegen der damit verbundenen Wettbewerbsbeschränkung bereits der erste rügefähige Verfahrensfehler vor.Für den Erfolg der “e-Vergabe” ist es zudem von zentraler Bedeutung, dass der Zugang der Wirtschaftsteilnehmer zum Vergabeverfahren durch die Verwendung elektronischer Informations- und Kommunikationsmittel nicht eingeschränkt wird. Dementsprechend ist gesetzlich verankert, dass die von den Auftraggebern gewählten elektronischen Mittel allgemein verfügbar, allgemein kompatibel und diskriminierungsfrei sein müssen.Zusätzlich muss der Auftraggeber unter anderem Sorge dafür tragen, dass kein vorfristiger Zugriff auf die eingehenden Angebote möglich ist und nur der Kreis der Berechtigten Zugriff erhält. Die gute Nachricht: Die gängigen Vergabeplattformen (z. B. Cosinex oder Deutsche eVergabe) verfügen über die entsprechenden Benutzeroberflächen und Instrumente, mit deren Hilfe die Umsetzung dieser Vorgaben vergaberechtskonform gewährleistet wird. Ihre Nutzung ist für den öffentlichen Auftraggeber jedoch kostenpflichtig. Hohe AkzeptanzFür die Unternehmer ändert sich indes wenig. Die elektronische Kommunikation kann, außer in den Fällen erhöhter Sicherheitsbedenken, in Textform erfolgen. Eine einfache E-Mail genügt diesem Formerfordernis bereits. Um die Unternehmensakzeptanz weiter zu steigern, soll mit dem im Aufbau befindlichen XVergabe-Standard ein plattformübergreifender Daten- und Austauschprozessstandard definiert werden. Dieser XVergabe-Standard ist nach Fertigstellung wiederum nur für die Auftraggeber verbindlich und ermöglicht es interessierten Unternehmen, unterschiedliche Vergabeplattformen der öffentlichen Hand mit nur einem Bieterzugang zu besuchen. Aufgrund zahlreicher technischer Hürden, die es auf Entwicklerseite noch zu überwinden gilt, ist mit einer Implementierung dieses Standards jedoch erst mittelfristig zu rechnen.—-*) Steffen Amelung ist Rechtsanwalt und Counsel von Clifford Chance.