Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Michael Arnold

Der Aufsichtsrat hat großen Spielraum bei Vorstandsgehältern

Unternehmerische Entscheidung - Angemessenheit der Entlohnung gesetzlich nicht fassbar - Abfindungscap juristisch bedenklich

Der Aufsichtsrat hat großen Spielraum bei Vorstandsgehältern

– Herr Dr. Arnold, in der aktuellen Debatte über die Managergehälter wird die Angemessenheit von Entlohnungen und Abfindungen in Frage gestellt. Wie ist die Angemessenheit der Gehälter im Aktienrecht geregelt?Regeln über die Angemessenheit der Vergütung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft sind sowohl im Aktiengesetz als auch im Deutschen Corporate Governance Kodex enthalten. Das Aktiengesetz bleibt aber abstrakt und gibt in § 87 Abs. 1 AktG lediglich vor, dass der Aufsichtsrat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge dafür zu sorgen hat, dass sie in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen. Das Angemessenheitsgebot gilt dabei nicht nur für das Gehalt, sondern etwa auch für Gewinnbeteiligungen, Pensionen und Nebenleistungen jeder Art. Durch diese Regelung soll eine Aktiengesellschaft vor überzogenen Gehältern geschützt werden. – Und wie hält es der Kodex?Danach sind Kriterien für die Angemessenheit der Vergütung insbesondere die Aufgaben des jeweiligen Vorstandsmitglieds, seine persönliche Leistung, die Leistung des Vorstands insgesamt sowie die wirtschaftliche Lage, der Erfolg und die Zukunftsaussichten des Unternehmens unter Berücksichtigung seines Vergleichsumfelds. Auch der Kodex verzichtet auf eine konkretere Festlegung der angemessenen Gehaltshöhe. Diese Bestimmung muss vom Aufsichtsrat im Einzelfall – unter Beachtung der genannten Kriterien – getroffen werden. – Wie ist das Thema zuletzt in der Rechtsprechung behandelt worden? Hat der Mannesmann-Prozess diesbezüglich Aufschluss gegeben?Das Thema wird in der Rechtsprechung kaum behandelt. Für die Rechtsprechung steht im Vordergrund, ob das Unternehmensinteresse bei der jeweiligen Vereinbarung beachtet wurde. Im Mannesmann-Urteil hielt es der BGH sogar ausdrücklich für nicht erforderlich, die Frage der Angemessenheit zu prüfen. Der BGH hat sich vielmehr darauf beschränkt, die generelle Unzulässigkeit eines einzelnen Bestandteils der Gesamtvergütung festzustellen. Nach der Mannesmann-Entscheidung ist die im Dienstvertrag nicht vereinbarte nachträgliche Sonderzahlung für eine geschuldete Leistung, die ausschließlich belohnenden Charakter hat und der Gesellschaft keinen zukunftsbezogenen Nutzen bringen kann (kompensationslose Anerkennungsprämie), generell unzulässig. Eine solche kompensationslose Anerkennungsprämie darf vom Aufsichtsrat nicht gewährt werden; gewährt er sie, verletzt der Aufsichtsrat seine Pflichten gegenüber der Gesellschaft. – Wie kann sich ein Aufsichtsratsmitglied versichern, dass die von ihm gewährte Vorstandsvergütung im rechtlichen Rahmen liegt?Bei der Vereinbarung der Vergütung trifft der Aufsichtsrat eine unternehmerische Entscheidung. Er hat dabei in der Regel einen weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraum. Die Grenzen dieses Spielraums werden durch die allgemeinen Anforderungen an unternehmerische Entscheidungen festgelegt. Dies verlangt zunächst eine gründliche Aufklärung des Sachverhalts, gerade im Hinblick auf die Kriterien, nach denen die Vergütung bestimmt werden soll. Hierbei empfiehlt sich z. B. eine vergleichende Vergütungsstudie. Außerdem muss der Aufsichtsrat darauf achten, dass er zum Wohle der Gesellschaft handelt und keinen Sonderinteressen oder sachfremden Einflüssen unterliegt. Verstößt der Aufsichtsrat gegen diese Vorgaben, kann er sich schadenersatzpflichtig machen. – Es gibt Forderungen aus der Politik, den Begriff der Angemessenheit gesetzlich genauer zu definieren. Was könnte man sich hier vorstellen? Der Begriff “Angemessenheit” ist nur sehr schwer zu definieren. Die meisten Stimmen in der juristischen Literatur halten eine konkretere Umschreibung nicht für möglich. Auch einer Höchstgrenze für Vorstandsgehälter, wie sie vereinzelt vorgeschlagen wird – sie reicht vom 20-Fachen des niedrigsten bis zum 150-Fachen des durchschnittlichen Lohns -, stehen die meisten Autoren ablehnend gegenüber. – Wie wird diese Ablehnung begründet? Zu beachten ist, dass dem Aufsichtsrat ein weiter unternehmerischer Spielraum belassen sein muss, um die Handlungsfähigkeit des Unternehmens zu sichern. Durch die Festsetzung eines Höchstgehalts kann es einem international aufgestellten Unternehmen unmöglich gemacht werden, den Wunschkandidaten für den Vorstand zu gewinnen. Es gelten dann internationale Maßstäbe. Das Problem reicht aber noch tiefer: Es gibt sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, was – generell oder im Einzelfall – angemessen ist. Die Bestimmung hängt von vielen wirtschaftlichen Daten, aber auch von individuellen Wertvorstellungen ab. Was angemessen ist, sollte der Aufsichtsrat daher im Einzelfall entscheiden anhand von vorgegebenen Vergleichsmaßstäben. In diese Richtung zielt auch der Corporate Governance Kodex, der noch mehr Vergleichsmaßstäbe aufzeigt als das Aktiengesetz. – Abfindungen sollen nach dem Corporate Governance Kodex auf maximal zwei Jahre begrenzt werden, auch wenn die Restlaufzeit eines Vertrages darüber hinausgeht. Lässt sich dies rechtlich durchsetzen?Der Kodex sieht seit der letzten Änderung im Juni 2007 vor, dass Anstellungsverträge mit Vorstandsmitgliedern in Zukunft eine Obergrenze dahingehend enthalten sollten, dass die Abfindung bei vorzeitiger Beendigung der Vorstandstätigkeit ohne wichtigen Grund einschließlich Nebenleistungen die Höhe von zwei Jahresgehältern nicht überschreitet (Abfindungscap). Diese letzte Änderung hat deutliche Kritik aus den juristischen Fachkreisen erfahren. Es ist höchst zweifelhaft, ob diese Anregung des Kodex rechtlich in den Vorstandsverträgen umgesetzt werden kann. – Was ist der Knackpunkt?Nach § 84 Abs. 3 AktG darf ein Vorstandsmitglied nur dann vorzeitig abberufen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Der Abfindungscap im Kodex stellt hingegen darauf ab, dass für die Beendigung der Vorstandstätigkeit gerade kein wichtiger Grund vorliegt. Es ist anerkannt, dass die Vereinbarung eines Rechts zur ordentlichen Kündigung (ohne wichtigen Grund) gegen § 84 Abs. 3 AktG verstößt und unwirksam wäre, weil ein solches Recht die Leitungsautonomie des Vorstands innerhalb der Gesellschaft gefährdet. Eine Begrenzung der Abfindung auf zwei Jahresgehälter hat nun aber dieselbe wirtschaftliche Wirkung wie ein – unzulässiges – ordentliches Kündigungsrecht des Aufsichtsrats mit zweijähriger Frist. Der Corporate Governance Kodex setzt damit eine Rechtslage voraus, die so nicht besteht. Daher ist denkbar, dass ein solcher Abfindungscap als (unzulässige) Umgehung des § 84 Abs. 3 AktG gewertet würde und als Klausel im Anstellungsvertrag unwirksam wäre. – Muss ein Unternehmen dies in der jährlichen Erklärung zum Kodex berücksichtigen?Für die Entsprechenserklärung der Gesellschaft ist diese rechtliche Unsicherheit ohne Bedeutung, weil es sich beim Abfindungscap nur um eine Anregung handelt, die von der Entsprechenserklärung nicht erfasst werden muss. Dr. Michael Arnold ist Rechtsanwalt und Partner von Gleiss Lutz in Stuttgart. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.