RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH IHRIG, ALLEN & OVERY

Der Aufsichtsrat steht erneut im Fokus

Persönlichkeiten mit der Fähigkeit zu kontroversen Diskussionen gesucht

Der Aufsichtsrat steht erneut im Fokus

– Herr Dr. Ihrig, die Diskussion über Corporate Governance ist mit dem Grünbuch neu entflammt, im Mittelpunkt steht erneut der Aufsichtsrat. Sind neue Anforderungen an die Qualifikation des Kontrollgremiums notwendig?Neben der Stärkung der Kontrolle durch die Aktionäre und Verbesserung der Corporate-Governance-Erklärung steht der Aufsichtsrat tatsächlich erneut im Fokus. Dabei geht es der Kommission in erster Linie darum, dass die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Geschäftstätigkeit des Unternehmens Rechnung tragen muss und die Mitglieder des Aufsichtsrats auf der Grundlage eines breiten Spektrums an Kriterien ausgewählt werden. Die von der Kommission genannten Kriterien reichen von Berufsqualifikation und -erfahrung bis zur Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder. Außerdem geht es um die Vielfalt von Aufsichtsratsmitgliedern, wobei hier nicht allein die geschlechterspezifische, sondern auch die berufliche und internationale Diversität genannt wird. Neben diesen sicherlich wichtigen Faktoren kommt es für eine gute Aufsichtsratsarbeit nach meiner Meinung aber entscheidend darauf an, dass die Kandidaten fachlich qualifiziert und aufgrund ihrer Persönlichkeit in der Lage sind, mit der Geschäftsführung kontroverse Standpunkte zu diskutieren.- Der Aufsichtsrat soll nach den Vorstellungen in Brüssel stärker in der Risikosteuerung von Unternehmen in die Pflicht genommen werden, er soll womöglich die Risikoneigung der Gesellschaft festlegen – halten Sie das für zielführend?Ich verstehe die Kommission nicht dahingehend, dass der Aufsichtsrat die Risikoneigung der Gesellschaft festlegen soll. Vielmehr geht es ihr darum, dass der Aufsichtsrat das Risikoprofil mit dem Vorstand diskutiert und selbstverständlich auch dessen Einhaltung überwacht. Das ist richtig, aber nicht neu – dem Aufsichtsrat obliegt es seit jeher, sich im Rahmen seiner Beratungs- und Kontrollfunktion mit dem Risikoprofil der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Der Aufsichtsrat wird also auch hier nicht allein retrospektiv, sondern auch präventiv tätig. Daraus eine originäre Zuständigkeit des Aufsichtsrat für das Risikomanagement ableiten zu wollen, wäre in der Sache falsch und würde darüber hinaus nicht in das aktienrechtliche Kompetenzgefüge passen.- In einer Umfrage Ihrer Kanzlei plädieren britische Manager gegen einheitliche europäische Corporate-Governance-Normen, während ihre Kollegen auf dem Kontinent eine Vereinheitlichung befürworten. Wie erklären Sie diese Diskrepanz?Ich kann mir dieses in der Tat auffallende Ergebnis nur dadurch erklären, dass sich Großbritannien innerhalb der EU auch sonst seit jeher eine gewisse Eigenständigkeit – gerade bei wirtschaftlichen Fragen – bewahrt hat. Diese Tendenz scheint sich bei der Frage nach einer Vereinheitlichung europäischer Corporate-Governance-Regeln fortzusetzen. Eventuell vertritt man auf der Insel auch die Ansicht, nach Einführung des UK Stewardship Code im Jahr 2010 zunächst einmal alle Hausaufgaben im Bereich der Corporate Governance gemacht zu haben, sodass man abwarten möchte, wie sich das bestehende Corporate-Governance-System bewährt. Allgemein ist zu konstatieren, dass die Einführung neuer Regeln zu einem weiteren hohen Umsetzungsaufwand bei den Unternehmen führen wird. Die allgemein kritische Sichtweise von Unternehmensleitern im Hinblick auf eine weitere Regulierung ist also verständlich. Dies gilt insbesondere für solche Neuerungen, bei denen Aufwand und Nutzen nicht im angemessenen Verhältnis zueinander stehen.- Die Analyse von Allen & Overy hat ergeben, dass sich Investoren aktiver als je zuvor zu Fragen der Unternehmensführung zu Wort melden. Braucht es deshalb einen Verhaltenskodex für institutionelle Adressen?Unsere Studie hat in der Tat bestätigt, dass institutionelle Investoren inzwischen deutlich aktiver sind als früher. Das bestätigt meine Wahrnehmung aus der Unternehmenspraxis, wobei es weniger um die Ausübung des Frage- und Rederechts in der Hauptversammlung als vielmehr nur um informelle Ansprachen an den Vorstand geht. Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach einem Verhaltenskodex nach dem Vorbild des UK Stewardship Code nicht unberechtigt.—-Dr. Hans-Christoph Ihrig ist Partner von Allen & Overy im Mannheimer Büro der Kanzlei. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.