"Der Mensch wird das Geschehen nicht vollständig Maschinen überlassen"
Von Peter Gomber *)Vor 15 Jahren gab es noch kein iPhone und keine Blockchain. Der Inbegriff des Smartphones kam 2007 auf den Markt, und Satoshi Nakamoto veröffentlichte die technische Grundlage für Bitcoin 2008. Wie anmaßend, 15 Jahre nach vorne zu schauen. Einerseits.Andererseits müssen wir bedenken, dass Technologien wie die künstliche Intelligenz (KI) vor zehn Jahren vielfach für tot erklärt wurden und jetzt hochaktuell sind. Und selbst heute sehen wir noch menschliche Broker und Händler etwa auf dem Parkett der Nyse, obwohl die Rolle des Menschen im Wertpapierhandel mit dem Aufkommen von Algo Trading und Hochfrequenzhandel vor gut einem Jahrzehnt bereits komplett infrage gestellt wurde. Demokratisierung der Märkte Eine Vision für die Zukunft von Technologien in den Finanzmärkten leitet sich aus zentralen Einsichten der Vergangenheit ab, die auch nach 2030 noch gelten werden:1. Technologie wird die Demokratisierung der Finanzmärkte weiter voranschreiten lassen;2. der Mensch wird das Geschehen nicht vollständig den Maschinen überlassen. Technologie wird uns bei vordefinierten und wiederkehrenden Aufgaben – zum Beispiel einer Depotanalyse oder -optimierung – fast alles abnehmen, doch bei komplexen Aufgaben in den Finanzmärkten – etwa bei der Ausführung großer institutioneller Wertpapierorders – in der Assistentenrolle verbleiben;3. bestimmte Aufgaben der Intermediäre werden durch Technologie weitgehend ersetzt, aber nicht die Notwendigkeit zur Intermediation auf Finanzmärkten an sich.Technologien, die künftig einschneidende Veränderungen für die Finanzmärkte bringen werden, sind die KI, speziell maschinelles Lernen in Verbindung mit Big Data, sowie Blockchain-Technologien und deren weitere Industrialisierung. Die Intelligenz des Internets wird für jeden Konsumenten überall nutzbar. Sensoren, Kameras und Sprache werden die Standardein- und -ausgabemedien für die Mensch-Maschine-Kommunikation und viele existierende Barrieren überwinden. Das gilt selbstverständlich auch für die Nutzung von Finanzmärkten und -produkten. Diese wesentlich vereinfachte Form der Informationsaggregation und Kommunikation wird die Erzeugung und Verteilung von Finanzprodukten grundlegend verändern und dadurch demokratisieren. Jeder Investor, jeder Kreditnehmer, jeder Marktteilnehmer wird seine gewünschten Zahlungsströme, sei es eine Anlage oder eine Finanzierung, potenziell allen anderen Marktteilnehmern anbieten können. Wie das geht? Über crowdbasierte Plattformen in Form von Token! Nach der Identifikation des Vertragspartners stellen die Wertsicherungs- und Vertragsdurchsetzungsmechanismen von Blockchains und Smart Contracts die automatisierte Abwicklung sicher. Während so die traditionellen Aufgaben von Intermediären in der Fristen- und Losgrößentransformation ersetzt werden können, wird die Absicherung von Ausfallrisiken hier weiterhin eine wichtige Aufgabe für Intermediäre wie Banken sein. Wie kann der Retailinvestor oder Kreditnehmer überhaupt seine gewünschten zukünftigen Zahlungsströme erkennen und formulieren? KI und Sprachassistenten werden den Endkunden im Retailgeschäft dabei unterstützen, sich nicht mehr mit der Suche nach und der Auswahl von vordefinierten Finanzprodukten, deren Anbietern und deren Gebührenstrukturen zu beschäftigen. Sondern sie helfen ihm, sich auf seine persönlichen Lebensziele und Finanzierungs- sowie Investitionswünsche zu konzentrieren. “High Automation Finance”Dieses Konzept einer “High (nicht Full!) Automation Finance” generiert Lösungsvorschläge für individualisierte Zahlungsströme. Diese werden entweder automatisiert über Machine-Learning-Konzepte aus dem aggregierten Wissen über die aktuelle Kundensituation und dem bisherigen finanziellen und (digitalen) finanzunabhängigen Verhalten abgeleitet werden. Oder sie werden automatisch bei Veränderung persönlicher Umstände oder Marktgegebenheiten angepasst werden. Genauso können sie auch explizit durch den Kunden mittels Sprachassistenten oder über hybride Beratung getriggert werden. “Alexa, ich brauche eine Finanzierung für eine dreimonatige Weltreise im nächsten Januar; vergiss dabei aber das Studium meiner Tochter nicht!” Probieren Sie es mal aus: heute und dann im Jahr 2033.—-*) Der Autor ist BWL-Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt und Co-Chair des E-Finance Lab.