"Die Karten werden neu gemischt"
In Großbritannien steht das Fondsgeschäft vor tiefgreifenden Veränderungen. Zum Jahreswechsel tritt der Retail Distribution Review in Kraft, und direkte Provisionszahlungen von Fondsgesellschaften an den Vertrieb gehören dann der Vergangenheit an. Hinzu kommen höhere Ausbildungsanforderungen an Berater. Im Interview der Börsen-Zeitung spricht Peter Grimmett, Regulierungsexperte des britischen Fondshauses M & G, von bürokratischen Herausforderungen und einer zunehmend komplexen Fondswelt.- Herr Grimmett, der Vertrieb von Investmentfonds in Großbritannien steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Was passiert zum Jahreswechsel?In der Tat wird sich der Fondsvertrieb durch den sogenannten Retail Distribution Review (RDR) zum 1. Januar 2013 stark verändern. Die wohl größte Auswirkung wird das Verbot von Provisionszahlungen von den Fondsgesellschaften an den Vertrieb haben. Hinzu kommen aber auch höhere Ausbildungsanforderungen an die Berater und eine Verbesserung ihrer Kapitalausstattung.- Was ist die Idee dahinter?Grundsätzlich will man den inhärenten Interessenkonflikt zwischen Vermittlern und Anlegern auf diese Weise auflösen. Ganz unabhängig davon, ob es sich um unabhängige Finanzberater oder gebundene Berater handelt, den Asset Managern wird es nicht mehr erlaubt sein, Provisionen an die Berater zu zahlen. Das muss der Kunde künftig direkt übernehmen. Mit der Prüfung will man zudem erreichen, dass Finanzberater ähnlich wie Anwälte in ihrem Beruf als solche anerkannt werden. Das wird sicherlich noch eine Zeit dauern. Aber wenn in zwei, drei Jahren der Standard weiter angehoben wird, dann wird sich so etwas entwickeln.- Wie reagieren die Vermittler in Ihrem Land?Bisher bereitete den meisten Berater Kopfzerbrechen, dass sie vielleicht ihre Prüfungen nicht bestehen. Dabei ist die wirklich große Sache, dass die Provisionszahlungen künftig ganz anders werden laufen müssen. Die Frage, die sie sich stellen müssen, ist doch: Wie komme ich künftig an meine Provisionen? Wie sieht mein Geschäftsmodell aus?- Welche Auswirkungen erwarten Sie?In Großbritannien ist es nicht anders als in Deutschland. Die Menschen denken, Beratung gibt es umsonst. Viele werden nicht bereit sein, die Provisionen an den Vermittler zu zahlen. Ich gehe daher von einer starken Auswirkung auf den Markt aus. Wir haben in Großbritannien etwa ein steuerbefreites Produkt. Dort können Sie bis zu 10 000 Pfund pro Jahr investieren. Sollten die Kosten für die Beratung dafür vielleicht 1 000 Pfund betragen, würde das niemand bezahlen. Die Frage lautet also: Werden die Berater ein solches Produkt dann überhaupt noch anbieten? Oder treffen die Berater nicht eher die Entscheidung, sich auf Anleger zu konzentrieren, die, sagen wir mal, 100 000 Pfund zur Verfügung haben? Damit hätte ein Großteil der Bevölkerung plötzlich keinen Zugang mehr zu Beratung.- Sie erwarten also, dass viele Vermittler ihren Job an den Nagel hängen?Sicher wird es eine Vielzahl von Beratern geben, deren Kunden keine Gebühren zahlen wollen. Nach Schätzungen werden bei uns in den nächsten Jahren 25 % der unabhängigen Finanzberater verschwinden- Wer profitiert davon, die Banken?In Großbritannien hat die unabhängige Beratung anders als in Kontinentaleuropa einen großen Stellenwert. Der Marktanteil liegt bei etwa 70 %. Wenn sich nun viele Berater zurückziehen werden, werden sicherlich die Banken Gewinner dieser Entwicklung sein. Sie werden weiter in der Lage sein, eine ich würde es “eingeschränkte Beratung” nennen zu bieten. Kunden, die sich eine unabhängige Beratung nicht mehr werden leisten können, müssen zur Bank gehen.- Was ändert sich für die Asset Manager?Eine ganze Menge. Bleiben wir erst einmal bei den Anlegern. Viele werden künftig ganz ohne Beratung auskommen wollen. Sie informieren sich über das Internet und kaufen dann direkt bei der Fondsgesellschaft. Wenn man davon ausgeht, dass sich der Marktanteil der unabhängigen Beratung vielleicht auf 50 % reduziert, dann könnte der Direktvertrieb sich vielleicht von jetzt 3 bis 4 % auf 10 % steigern.- Sehen Sie auch Probleme für die Fondsgesellschaften?Ja, das Ganze ist eine große bürokratische Herausforderung für unsere Branche. Wie es aussieht, müssen wir künftig statt einer Anteilsklasse für jeden Fonds drei verschiedene Anteilsklassen vorhalten, bei denen die Kosten jeweils anders aufgeteilt werden. Allein für uns bei M & G sind das 150 bis 170 neue Anteilsklassen. Alles wird komplexer und schwieriger. Grundsätzlich kann man aber sagen: Da wir mit der Vergütung des Vertriebs nichts mehr zu tun haben werden, werden wir auf den Ausgabeaufschlag verzichten und auch die Managementgebühr, von der im jetzigen Modell auch ein Teil an den Vertrieb fließt, reduzieren.- Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?Ucits ist eine einfache Welt, die damit sehr viel komplexer wird. Die Frage ist, ob das gut oder schlecht für den Endverbraucher ist. Unsere Finanzaufsicht FSA steht auf dem Standpunkt, dass Transparenz wichtiger ist als Einfachheit. Auch dass die Anleger im Endeffekt mehr für Beratung zahlen werden, wird in Kauf genommen. Im Prinzip stimmen wir mit der Aufsicht überein. Wir stellen uns aber die Frage, ob Großbritannien wirklich schon so weit ist, diesen Schritt zu gehen. Zudem bezweifeln wir, dass es gut ist, wenn es künftig mehr Anleger gibt, die auf Beratung verzichten, weil sie es sich nicht leisten können oder wollen. In gewisser Weise werden die Karten jetzt ganz neu gemischt. Wie es ausgehen wird, das weiß keiner so genau.- Gibt es auch Vorteile des neuen Modells?Na klar. Insbesondere im Wettbewerb mit anderen Finanzprodukten kann die Fondsbranche sich deutlich besser stellen. Bisher war das Gebührenmodell etwa von Versicherungsprodukten unglaublich schwer zu verstehen. Mit der neuen Regelung haben wir gleiche Spielregeln.- Es gibt Pläne, dass das britische Vorhaben ein Modell für die ganze EU sein könnte.Ja, da sprechen wir über Mifid II. In einem ersten Entwurf der Kommission hieß es, man will Retrozessionszahlungen verbieten, aber nur für unabhängige Beratung. Das fanden wir schlecht. Entweder man verbietet es für alle oder für keinen. Inzwischen liegen allerdings die Vorschläge des EU-Parlaments vor. Das zentrale Gremium für Finanzdienstleistungen – der Ausschuss für Wirtschaft und Währung (Econ) – ist jetzt der Auffassung, dass Provisionen nicht verboten, sondern transparenter werden sollten. Die meisten Mitglieder unserer Branche, einschließlich M & G, würden diesem Ansatz zustimmen. Allerdings wollen einige Parlamentarier ein weiter gehendes Verbot durchsetzen, sodass diese Debatte noch nicht abgeschlossen ist. Der Europäische Rat favorisiert den Vorschlag der Kommission, und irgendwann müssen alle drei EU-Organe zusammenkommen und einen Kompromiss vereinbaren.—-Das Interview führte Julia Roebke.