Die meisten Schiedsverfahren laufen regulär weiter
Herr Schrader, Herr Schmidt, viele Gerichte haben ihren Betrieb aufgrund der Corona-Pandemie eingeschränkt. Gilt das auch für internationale Schiedsverfahren?Schrader: Schiedsgerichte sind deutlich weniger von den aktuellen Beschränkungen betroffen als die staatlichen Gerichte. Die allermeisten Schiedsverfahren laufen derzeit regulär weiter. Das liegt daran, dass die Verfahrensregeln in Schiedsverfahren flexibel und zügig auf die neue Situation angepasst werden können. In Schiedsverfahren wird zudem seit jeher mit allen Beteiligten vorwiegend per E-Mail oder Telefon kommuniziert. Man ist auch nicht auf Gerichtsgebäude angewiesen, zu denen die breite Öffentlichkeit Zutritt hat. Können neue Verfahren angestrengt werden?Schrader: Ja. Die Schiedsorganisationen arbeiten wie gewohnt und nehmen neue Klagen entgegen. Haben die Parteien ein Schiedsverfahren ohne Schiedsorganisation vereinbart, ein sogenanntes Ad-hoc-Schiedsverfahren, ist es noch einfacher: Hier wird das Verfahren durch Zustellung der Schiedsklage bei der Gegenseite begonnen. Laufende Schiedsverfahren werden unverändert fortgeführt. Allenfalls werden den Beteiligten längere Fristen gewährt, weil die Arbeitsabläufe in Unternehmen und Kanzleien derzeit verlangsamt sind und Schiedsverfahren viel Abstimmung erfordern. Besteht ein Anspruch auf Fristverlängerung, weil derzeit Geschäftsabläufe gestört sind?Schmidt: Nein, einen solchen Anspruch gibt es grundsätzlich nicht. Fristen stehen nahezu immer im Ermessen des Schiedsgerichts. Allerdings sind die Schiedsrichter sich natürlich der derzeitigen Schwierigkeiten bewusst. Unserer Erfahrung nach werden maßvolle Fristverlängerungsanträge derzeit positiv beschieden, wenn nachvollziehbar erläutert wird, warum die Verlängerung krisenbedingt benötigt wird. Schiedsgerichte sind jedoch weiterhin angehalten, die Verfahren möglichst schnell und effizient zu führen. Dazu gehört, Verzögerungstaktiken der Parteien zu unterbinden. Wie wirken sich die Reisebeschränkungen bei mündlichen Verhandlungen aus?Schmidt: Die mündliche Verhandlung ist das Kernstück eines Schiedsverfahrens. Nur wenn alle Parteien zustimmen, kann auf sie verzichtet werden. Auch während der Corona-Pandemie gibt es hiervon keine Ausnahme. Momentan werden mündliche Verhandlungen daher vermehrt virtuell durchgeführt. Es gibt heute gute technische Lösungen für solche virtuellen Zusammenkünfte. Die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen per Video mag ungewohnt erscheinen, ist aber schon seit Jahren gängige Praxis in Schiedsverfahren. Ich habe vor einigen Jahren beispielsweise in einer Schiedsverhandlung in Paris per Whatsapp-Videocall mehrere Zeugen im Nordirak vernommen, bei denen die persönliche Anreise unverhältnismäßig schwierig gewesen wäre. Schiedsgerichte sind in dieser Hinsicht deutlich flexibler als staatliche Gerichte. Wer trägt die Kosten für verschobene Termine?Schrader: Das Schiedsgericht entscheidet am Ende des Verfahrens, in welchem Verhältnis die Parteien die Kosten tragen müssen. Es hat dabei ein weites Ermessen. Es ist nicht unüblich, dass beide Parteien zur hälftigen Tragung solcher Kosten verurteilt werden, die keine Partei mutwillig verursacht hat. Das gilt selbst dann, wenn eine Partei in der Sache voll obsiegt. Ist die Durchsetzung von Schiedssprüchen erschwert?Schrader: Wenn der Verlierer des Schiedsverfahrens nicht freiwillig zahlt, ist der Obsiegende auf die Hilfe staatlicher Gerichte angewiesen. Er muss den Schiedsspruch erst für vollstreckbar erklären lassen, damit zum Beispiel Konten gepfändet werden können. In Deutschland und den meisten anderen Ländern arbeiten die Gerichte gerade mit deutlich reduzierter Schlagzahl, daher dauert die Vollstreckung länger. Insbesondere außerhalb der EU führt ein Schiedsspruch aber immer noch meist schneller zum Ziel als ein Gerichtsurteil, weil die Anerkennung durch ein internationales Übereinkommen geregelt ist, dem die meisten Länder beigetreten sind. Matthias Schrader ist Counsel und Dr. Johannes Schmidt Associate bei Willkie Farr & Gallagher in Frankfurt. Die Fragen stellte Helmut Kipp.