RECHT UND KAPITALMARKT

Die Online-Hauptversammlung als Antwort auf Corona

Rein virtuelle Aktionärstreffen im Ausland schon möglich

Die Online-Hauptversammlung als Antwort auf Corona

Von Sebastian Beyer *)In der aktuellen Corona-Diskussion gelten Hauptversammlungen börsennotierter Unternehmen zunehmend als möglicher Verbreitungsherd. Vorstände sollten sich daher mit den Möglichkeiten einer Online-Hauptversammlung auseinandersetzen. Welche Möglichkeiten gibt es und was ist zu berücksichtigen?Die rasante Ausbreitung des Coronavirus stellt Unternehmen vor zahlreiche Herausforderungen. Im Vordergrund standen bislang meist operative und arbeitsrechtliche Themen. Doch nun nähert sich die Hauptversammlungssaison und mit ihr die Frage nach dem Umgang mit entsprechenden Risiken. Aktiengesellschaften sind gesetzlich verpflichtet, in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahres das Aktionärstreffen durchzuführen. Die Vorgabe der Behörden in vielen Bundesländern, Veranstaltungen ab 1 000 Teilnehmern abzusagen, könnten Gesellschaften zu einer Verlegung der Hauptversammlung zwingen – unter den Dax-Werten könnte dies zunächst die Deutsche Telekom und Daimler treffen. Dies würde unweigerlich zu einer Verzögerung der Dividendenzahlung und weiterer Maßnahmen führen, für die ein Beschluss der Aktionäre erforderlich ist. Auch eine Verringerung der Gewinnauszahlung wäre dann denkbar, denn Vorstand und Aufsichtsrat könnten wegen krisenbedingter Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens eine geringere Dividende als zuvor vorschlagen.Sollte eine Absage nicht erforderlich sein, kann sich die Durchführung einer Online-Hauptversammlung anbieten, um den Aktionären das Erscheinen in der Hauptversammlung zu ersparen und damit das Verbreitungsrisiko einzuschränken. Der Gesetzgeber hat bereits vor rund zehn Jahren die Möglichkeit geschaffen, Aktionären die Ausübung ihrer Rechte von einem “dritten Ort” zu ermöglichen. Dazu gehört zunächst die Möglichkeit der Online-Briefwahl, bei der die Stimmabgabe im Vorfeld der Veranstaltung über E-Mail möglich ist. Doch die Gesellschaft kann auch einen Schritt weitergehen und zulassen, dass die Aktionäre an der Hauptversammlung über das Internet teilnehmen. Dies kann nicht nur die Abstimmung, sondern etwa auch das Rede-, Frage- und Antragsrecht erfassen. Die etwa vom heimischen Schreibtisch teilnehmenden Aktionäre gelten als erschienen und werden bei der Präsenz mitgezählt. Jedenfalls bei gleichzeitiger Bild- und Tonübertragung des Geschehens im Versammlungssaal könnte eine Online-Hauptversammlung eine erwägenswerte Alternative zur Anreise darstellen. Dies gilt gerade im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen und Unsicherheiten.Die genannten Möglichkeiten bestehen indes nur, wenn die Satzung dies vorsieht oder den Vorstand hierzu ermächtigt. Letzteres ist bei den meisten börsennotierten Gesellschaften der Fall. Andernfalls müsste eine entsprechende Regelung erst durch ein Votum der Aktionäre geschaffen werden.Eine rein virtuelle Hauptversammlung, an der die Aktionäre ausschließlich online teilnehmen und ihre Fragen über die Webcam oder das Smartphone stellen, ist in Deutschland hingegen (noch) nicht zulässig. Es muss immer eine Präsenzveranstaltung geben und das Recht zur persönlichen Teilnahme kann den Aktionären nicht verweigert werden. Andere Rechtsordnungen etwa im Vereinigten Königreich sowie in Luxemburg und Kanada sehen entsprechende Möglichkeiten bereits vor. Gleiches gilt für rund die Hälfte der US-Bundesstaaten. So konnte etwa Microsoft Ende 2019 eine virtuelle Hauptversammlung abhalten.Während sich Live-Streams und die Möglichkeit der Online-Briefwahl jedenfalls bei größeren deutschen Unternehmen etabliert haben, gestatten bislang nur wenige Gesellschaften ihren Aktionären die Online-Teilnahme. Die Anfälligkeit für technische Störungen und Hackerangriffe und damit einhergehende Anfechtungsrisiken wirken oftmals abschreckend. Dass etwa die Aktionäre von SAP und Munich Re diverse Rechte wie das Stimmrecht über das Internet ausüben dürfen, zeigt jedoch, dass Unternehmen auch die Chancen sehen. Die vereinfachte Teilnahme der Aktionäre – gerade bei einem internationalen Aktionärskreis – liegt auf der Hand. Auch erfordern Stimmauszählung und Aktualisierung des Teilnehmerverzeichnisses weniger Aufwand. In Zeiten des Coronavirus wird deutlich, dass auch gesundheitspolitische Aspekte relevant sein können, wenn sich der Vorstand mit Für und Wider einer Online-Hauptversammlung auseinandersetzt.Es wird spannend sein zu beobachten, ob der deutsche Gesetzgeber unter dem Eindruck der Pandemie den Weg zu einer virtuellen Hauptversammlung ebnet. Möglicherweise braucht er hierzu auch einen Impuls aus Brüssel. Der Blick über die Grenzen beweist die technische Machbarkeit – der rechtliche Rahmen sollte jedoch mit Augenmaß gesetzt werden und die Interessen von Unternehmen und Aktionären im Blick behalten. Entscheidend dürfte auch die Offenheit deutscher Unternehmen gegenüber den bereits bestehenden Optionen sein. Corona sollte nicht der Grund, sondern der Anlass sein, über die Möglichkeiten einer Online-Hauptversammlung nachzudenken. Sie kann – gerade in dieser Zeit – die Antwort auf viele Fragen sein. *) Dr. Sebastian Beyer ist Salary Partner von Taylor Wessing im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht.