Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Klaus Riehmer

Die optische Wirkung der Entlastung ist signifikant

Rechtliche Folgen eines negativen Votums der Hauptversammlung gering - Ersatzansprüche nicht tangiert

Die optische Wirkung der Entlastung ist signifikant

Auf der Hauptversammlung von Siemens werden die Aktionäre morgen die Korruptionsaffäre weiter aufarbeiten. Die Verwaltung hat sich der Kritik von Aktionären sowie neuen Erkenntnissen gebeugt und jüngst angekündigt, dass die Entlastung der in der kritischen Zeit aktiven Vorstandsmitglieder vertagt werden soll. Klaus Riehmer, Partner bei Cleary Gottlieb, äußert sich zu den rechtlichen Folgen solcher Beschlüsse. – Herr Dr. Riehmer, was ist nach dem Aktienrecht Ziel und Zweck der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat? Durch die Entlastung “billigt” die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft die Verwaltung durch die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats als im Großen und Ganzen gesetz- und satzungsgemäß. Der Aktionär, der ja direkt nicht über die Besetzung des Vorstands entscheidet, kann über den Entlastungsbeschluss entweder seine Unzufriedenheit äußern oder sein Vertrauen aussprechen. Die Entlastung bezieht sich auf die Vergangenheit, doch ein Verzicht auf Ansprüche ist damit nicht verbunden. – Ein Beschluss also ohne große rechtliche Relevanz?Die rechtliche Bedeutung der Entlastung ist gering, die optische Wirkung aber signifikant. Es wird über die “Performance” von Personen entschieden, und dies ist naturgemäß für alle Beteiligten von hohem Interesse. Bei börsennotierten Gesellschaften findet dies zudem in der Öffentlichkeit statt, denn insbesondere die Vertagung oder Verweigerung der Entlastung findet zumeist starke Beachtung in den Medien. – Welche strategischen Fragen stellen sich damit vor der Hauptversammlung?Schon im Rahmen der Vorbereitung der Hauptversammlung steht die Verwaltung vor wichtigen strategischen Fragestellungen: Soll die Entlastung “en bloc” für Vorstand bzw. Aufsichtsrat erfolgen oder im Rahmen einer Einzelbeschlussfassung? Durch eine Blockentscheidung kann die Beschlussfassung natürlich vereinfacht und beschleunigt werden. Aber es bestehen auch Risiken, falls zu einzelnen Organmitgliedern Kritik zu erwarten ist, die sich auf die Blockentscheidung auswirken kann. Im Rahmen einer Einzelentlastung ist eine konkrete Diskussion und gezielte Beschlussfassung möglich. Aktionärsverbände setzen sich häufig für Einzelbeschlussfassungen ein. Die Hauptversammlung kann selbst über die Frage der Einzelentscheidung im Rahmen eines Geschäftsordnungsantrags oder aufgrund eines Minderheitsverlangens Beschluss fassen. – In welcher Situation ist es für die Verwaltung ratsam, einen Entlastungsbeschluss zu vertagen?Unliebsam sind für die Verwaltung Diskussionen über Leistungen von Mitgliedern des Vorstands oder Aufsichtsrats vor allem dann, wenn Vorgänge oder Untersuchungen noch im Fluss und nicht abgeschlossen sind. Dann können diese Sachverhalte nicht abschließend bewertet werden, und die Diskussion auf der Hauptversammlung läuft praktisch “ins Leere”. Dies ist weder für die betroffenen Personen noch für die Gesellschaft vorteilhaft. Auch bei Siemens ist aufgrund der noch andauernden Untersuchungen die Entlastung für involvierte Mitglieder des Vorstands bzw. Aufsichtsrats vertagt worden. Aber auch eine Vertagungsentscheidung kann zu öffentlicher Aufmerksamkeit und zu Reputationsrisiken für betroffene Organmitglieder und die Gesellschaft führen. Hier muss die Verwaltung jeweils abwägen, welche Vorgehensweise die meisten Vorteile aufweist. – In welchen Fällen ist es aus Sicht der Gesellschaft ratsam, die Verweigerung der Entlastung vorzuschlagen? Eine Verweigerung der Entlastung hat dann zu erfolgen, wenn die Hauptversammlung (gegebenenfalls nach weiterer Aufklärung) zu dem Entschluss kommt, dass sie die Tätigkeit des betreffenden Organs bzw. Organmitglieds nicht billigt. Eine solche Nichtbilligung steht im Ermessen der Hauptversammlung und beruht in der Regel auf einer erwiesenen (oder vermuteten) Pflichtverletzung eines Organmitglieds. Ist aufgrund solcher Umstände von einer Verweigerung der Entlastung auszugehen, sollte dies von der Verwaltung der Hauptversammlung entsprechend vorgeschlagen werden. – Welche Rechtsfolgen hat die Nichtentlastung für die betroffenen Organmitglieder?Die Verweigerung der Entlastung bleibt ohne unmittelbare rechtliche Folgen für die Amtsstellung des Betroffenen. Insbesondere liegt in der Entlastungsverweigerung kein wichtiger Grund zur Abberufung eines Vorstandsmitglieds. Möchte die Hauptversammlung einem Vorstand das Vertrauen förmlich entziehen, muss dies über die Nichtentlastung hinaus konkret beschlossen werden. Der Vertrauensentzug berechtigt den Aufsichtsrat daraufhin zur Abberufung des Vorstandsmitglieds. In der Nichtentlastung für Aufsichtsratsmitglieder liegt ebenso wenig ein Abberufungsbeschluss, auch dieser müsste konkret gefasst werden. – Besteht trotz eines positiven Entlastungsbeschlusses die Möglichkeit, Ersatzansprüche gegen die entlasteten Organmitglieder durchzusetzen? Die Entlastung stellt bei der Aktiengesellschaft keinen Verzicht auf Ersatzansprüche dar. Diese können in vollem Umfang gegen Organmitglieder durchgesetzt werden. Dies ist bei der GmbH anders. Denn dort hat die Entlastung Präklusionswirkung, d. h. die Gesellschaft ist mit solchen Ansprüchen ausgeschlossen, die innerhalb des Entlastungszeitraums entstanden sind, sofern ihre Existenz bekannt oder bei sorgfältiger Prüfung erkennbar war. *) Dr. Klaus Riehmer ist Partner der Kanzlei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton in Frankfurt am Main. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.