Asset Management - Gastbeitrag

Die rosarote Brille der Anleger

Börsen-Zeitung, 23.3.2010 Wir Menschen sind keine Maschinen. Vieles beurteilen wir nicht (vollständig) rational, sondern lassen uns von Gefühlen leiten. Schätzen wir beispielsweise einen anderen Menschen sehr, so sehen wir seine guten Seiten...

Die rosarote Brille der Anleger

Wir Menschen sind keine Maschinen. Vieles beurteilen wir nicht (vollständig) rational, sondern lassen uns von Gefühlen leiten. Schätzen wir beispielsweise einen anderen Menschen sehr, so sehen wir seine guten Seiten überdeutlich, sind aber oft blind für seine Schwächen. Wir betrachten ihn durch die berühmte rosarote Brille. Uns weniger sympathische Menschen können dagegen tun, was sie wollen – sie machen es uns einfach nicht recht.Vermutlich werden viele Menschen sich ein solches Verhalten insgeheim eingestehen – zumindest im privaten Bereich. Doch wie sieht es im finanziellen Bereich aus? Können wir hier unsere Gefühle ausblenden? Verhalten wir uns bei Geldanlagen rational? Zweifel angebrachtZweifel sind angebracht angesichts vieler Verhaltensmuster von Anlegern, die nicht rational erscheinen: So halten beispielsweise Anleger schlecht laufende Aktien zu lange, um den entstandenen Verlust nicht realisieren zu müssen. Ebenso investieren sie zu viel Geld in einzelne Wertpapiere, da sie irrtümlich glauben, zukünftige Entwicklungen gut vorhersagen zu können.Vor diesem Hintergrund haben wir uns am Centre for Financial Research (CFR) in Köln die Frage gestellt, ob sich Menschen bei der Beurteilung von Anlagemöglichkeiten auf ihr Gefühl verlassen. Betrachten sie manche Aktien durch eine rosarote Brille, andere dagegen durch eine graue? Wenn dies so ist, dann steht zu erwarten, dass sie die rosarot eingefärbten Aktien verstärkt nachfragen, die grau eingefärbten Aktien meiden und so schließlich ein schlecht diversifiziertes Aktienportfolio halten. Experimentelle StudieUm diese Frage zu beantworten, haben wir an der Universität zu Köln eine experimentelle Studie mit 248 Studierenden durchgeführt. Diese nahmen freiwillig an der Studie teil und wurden dafür erfolgsabhängig entlohnt. Die Studierenden unterschieden sich beträchtlich bezüglich ihrer persönlichen Charakteristika und ihrer Kenntnisse in Finanzfragen. Wir haben zunächst die emotionalen Einstellungen der Versuchspersonen zu jedem Unternehmen des Dax 30 ermittelt. Hierzu haben wir auf eine in der Psychologie seit langem etablierte Methode zurückgegriffen, bei der die Versuchspersonen die Unternehmen bezüglich deren Eigenschaften auf Skalen charakterisieren. Dadurch haben wir von jeder Versuchsperson für jedes Unternehmen die emotionale Einstellung erhalten, insgesamt also 7 440 Einstellungen. Dabei fällt auf, dass die Versuchsteilnehmer den Unternehmen gegenüber im Mittel leicht positiv eingestellt sind, es aber eine starke Differenzierung zwischen den verschiedenen Unternehmen gibt.Im zweiten Schritt haben wir dann die Versuchspersonen gebeten, uns eine Einschätzung zu geben über die zukünftige Rendite jeder einzelnen Aktie und deren Risiko auf Jahresfrist. Laut klassischer Finanzmarkttheorie sollten Aktien mit hoher erwarteter Rendite ein hohes Risiko aufweisen. In den Einschätzungen der Versuchsteilnehmer finden wir jedoch ein völlig anderes Muster: Aktien mit hoher erwarteter Rendite werden als besonders risikoarm eingeschätzt.Insgesamt haben wir von jedem Anleger Informationen über seine emotionale Einstellung zu jedem Unternehmen ermittelt und seine Einschätzungen über Chancen und Risiken der Aktie jedes Unternehmens abgefragt. Auf Basis dieser Daten untersuchen wir, ob die emotionale Einstellung zu einem Unternehmen die Einschätzungen über Chancen und Risiken der Aktien des Unternehmens determiniert. Nach der “Rosarote-Brille-Theorie” sollten positive Emotionen einem Unternehmen gegenüber zu einer Überschätzung der Chancen und einer Unterschätzung der Risiken der zugehörigen Aktie führen. Und genau einen solchen Zusammenhang finden wir in den Daten. Er erweist sich sogar als äußerst robust. Selbst wenn man den möglichen Einfluss diverser Unternehmens- und Teilnehmercharakteristika auf die Rendite- und Risikoeinschätzungen der Teilnehmer berücksichtigt, geht er nicht verloren: Je stärker ein Anleger ein Unternehmen durch die rosarote Brille betrachtet, desto mehr überschätzt er die Chancen und unterschätzt die Risiken einer Anlage in dem Unternehmen.Wie wichtig Emotionen für die Rendite-Risiko-Einschätzungen sind, hängt dabei sowohl von Eigenschaften des Anlegers als auch den Eigenschaften des Unternehmens ab. Auf die Frage, bei welchen Anlegern sich die Emotionen besonders stark auf ihre Rendite-Risiko-Einschätzungen durchschlagen, lässt sich eine einfache Antwort geben: Je geringer die Bildung in Finanzfragen, desto stärker verlassen sich die Anleger auf ihre Gefühle.Wir beobachten zwar bei allen Teilnehmern der Studie gleichermaßen eine emotionale Aktivierung bezüglich einzelner Aktien, doch schlägt sich diese Aktivierung weniger stark in die Rendite-Risiko-Schätzungen durch, wenn die Person eine gute Bildung in Finanzfragen besitzt. Offensichtlich kann Ausbildung zwar das Entstehen von Emotionen nicht verhindern, sehr wohl aber die ungebremste Umsetzung dieser Emotionen in die Einschätzung von Chancen und Risiken.Doch gibt es auch Aktien, bei denen Anleger – unabhängig von ihrer Bildung – besonders häufig eine rosarote Brille aufsetzen. Dies sind Unternehmen, deren Aktien sich in der Vergangenheit besonders gut entwickelt haben und mit denen der Anleger vertraut ist – sei es, weil er die Produkte kennt oder weil er glaubt, das Unternehmen insgesamt gut zu kennen. Dies bedeutet, dass Unternehmen mit einer Marketingkampagne nicht nur den Absatz ihrer Produkte steigern können, sondern auch von einem zweiten Effekt profitieren: Investoren lernen dadurch das Unternehmen besser kennen und schätzen es emotional positiver ein – mit entsprechenden Konsequenzen für die Nachfrage nach den Aktien des Unternehmens. Positive EmotionenInsgesamt liefert die Studie klare Hinweise darauf, dass Anleger ihre Gefühle nicht ausschalten. Sie betrachten ihre Anlagemöglichkeiten durch eine getönte Brille. Ist die Brille rosarot, haben die Anleger also positive Emotionen zu einem Unternehmen, dann überschätzen sie dessen Chancen und unterschätzen dessen Risiko auf dem Aktienmarkt. Entsprechend werden sie diese Aktien in ihrem Portfolio übergewichten und nicht die optimale Risikostreuung erreichen. Es gilt also auch hier: Sich nur auf Gefühle zu verlassen, kann richtig teuer werden.Wer sich aufgrund dieser Warnung motiviert fühlt, Details der Studie nachzulesen, findet das zugehörige Working Paper “Low Risk and High Return” von Alexander Kempf, Christoph Merkle und Alexandra Niessen auf der Homepage des CFR (www.cfr-cologne.de).