Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Norbert Bröcker

Die Suche nach Aufsichtsräten wird schwieriger

Diversity-Ziele fordern Unternehmen heraus - Themen für die Hauptversammlung

Die Suche nach Aufsichtsräten wird schwieriger

– Herr Dr. Bröcker, Unternehmen müssen künftig in ihren Corporate-Governance-Berichten Ziele für die Vielfalt in der Zusammensetzung der Aufsichtsräte bekannt geben. Wie konkret müssen die Diversity-Ziele formuliert sein?Letztlich muss ein Ziel so klar festgelegt werden, dass der Aufsichtsrat später daran gemessen werden kann, ob es erreicht wurde oder nicht. Ein allgemeines Ziel nach dem Motto “wir wollen mehr Diversity” reicht also nicht. Erforderlich ist vielmehr, gewissermaßen eine Art Ideal-Zusammensetzung des Aufsichtsrats zu beschreiben und dabei mit Prozentsätzen oder absoluten Zahlen festzulegen, welchen Stellenwert die beiden zentralen Diversity-Kriterien Frauenbeteiligung und Internationalität haben sollen. Daneben dürfen übrigens auch die Aspekte Unabhängigkeit/Interessenkonflikte sowie eine etwaige Altersgrenze nicht vergessen werden. Bedenkt man dazu noch, dass in einem Aufsichtsrat möglichst auch bestimmte weitere Kompetenzen vorhanden sein sollen, wird es künftig noch mehr als heute schon eine echte Herausforderung, geeignete Kandidaten zu finden.- Ist es dabei zwingend, eine höhere Frauenquote anzustreben?Nach dem Kodex muss als Ziel eine “angemessene Beteiligung von Frauen” benannt werden. Ein Aufsichtsrat kann sich also auf den Standpunkt stellen, in ihm seien Frauen bereits “angemessen” repräsentiert. Insofern muss nicht unbedingt eine Quote festgelegt werden, die über den gegenwärtigen Frauenanteil in dem jeweiligen Aufsichtsrat hinausgeht. Bei der Festlegung, was aus Sicht des Aufsichtsrats überhaupt angemessen ist, führt aber wohl kein Weg daran vorbei, jedenfalls eine konkrete Quote als Ziel zu benennen.- Geht es dabei um das ganze Gremium oder nur die Anteilseignerbank?Dabei soll nach dem gegenwärtigen Stand der Diskussion offenbar auf den Gesamtaufsichtsrat abgestellt werden. Obwohl also der Aufsichtsrat mit seinen Wahlvorschlägen an die Hauptversammlung lediglich Einfluss auf Person und Geschlecht der Anteilseignervertreter nehmen kann – und auch das nur mittelbar, denn in ihrer Wahlentscheidung bleiben die Aktionäre frei -, muss es keine nach Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern getrennte Quote geben.- Wie detailliert ist dann über den Stand der Umsetzung zu informieren?Im Corporate-Governance-Bericht muss aussagekräftig darüber informiert werden, was der Aufsichtsrat zur Erreichung der von ihm definierten Ziele unternommen hat. Auch in der Hauptversammlung wird das vermutlich ein beliebtes Fragethema. Es wird also mit ziemlicher Sicherheit gefragt werden, mit welchen Kandidaten der Aufsichtsrat gesprochen hat und warum letztlich die Entscheidung zugunsten des der Hauptversammlung vorgeschlagenen Kandidaten gefallen ist. Diese Fragen werden besonders dann bohrend sein, wenn mit den Kandidatenvorschlägen das selbst gesteckte Diversity-Ziel nicht erreicht würde.- Heißt dies, dass Namen von Kandidaten genannt werden müssen?Vermutlich werden wir auch irgendwann einen Rechtsstreit darüber erleben, ob der Aufsichtsrat andere in den Blick genommene Kandidaten namentlich offenlegen muss, weil die Hauptversammlung nur so beurteilen könne, ob der Aufsichtsrat sich ausreichend um die Erreichung seiner Diversity-Ziele bemüht habe. Dass bei Bejahen eines solchen Auskunftsanspruchs regelmäßig Namen von Kandidaten “verbrannt” würden, liegt auf der Hand. Es ist deshalb zu hoffen, dass die Gerichte hier Augenmaß bewahren.- Welche Folgen hat es, wenn ein Diversity-Ziel verfehlt wird?Die Verfehlung bleibt rechtlich folgenlos, solange der Aufsichtsrat sich ausreichend um Zielerreichung bemüht hat. Wäre das jedoch nicht der Fall, könnte die Entsprechenserklärung unrichtig werden. Zudem käme – allen etwaigen Bemühungen zum Trotz – ein Aufsichtsrat vermutlich in große Erklärungsnot, wenn er über längere Zeit insbesondere eine von ihm selbst als Ziel definierte Frauenquote verfehlt. Für einen Aufsichtsrat dürfte es daher das kleinere Übel sein, Kritik für ein weniger ehrgeiziges, aber erreichtes Ziel einzustecken, als eine Zielverfehlung öffentlich rechtfertigen zu müssen.- Muss das Unternehmen in der Entsprechenserklärung auf die Zielverfehlung hinweisen?Streng genommen muss es das meiner Meinung nach nicht, weil die zu befolgende Kodex-Empfehlung ja die Festlegung eines Ziels und nicht dessen Erreichung ist. Wer ein festgelegtes Ziel nicht erreicht, weicht dadurch noch nicht vom Kodex ab. Der richtige Ort, eine eventuelle Zielverfehlung zu erläutern, dürfte deshalb der Corporate-Governance-Bericht sein.- Kann sich aus der Diversity-Empfehlung ein Anfechtungsgrund ergeben?Damit ist angesichts der bisherigen Rechtsprechung zu rechnen. Es ist also zu befürchten, dass Entlastungs- oder gar Wahlbeschlüsse mit der Begründung angegriffen werden, der Aufsichtsrat habe zu wenig zur Erreichung seiner selbst gesetzten Ziele getan und deshalb sei die Entsprechenserklärung unrichtig geworden. Der Charakter des Kodex als freiwillige, außergesetzliche Selbstverpflichtung ginge dann noch mehr verloren.—-Dr. Norbert Bröcker ist Partner der Kanzlei Hoffmann Liebs Fritsch & Partner in Düsseldorf. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.