RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: DIRK BESSE

"Diffuse Angst" der Unternehmen vor der virtuellen Hauptversammlung

Risiken bei Online-Abstimmung in Echtzeit "sind beherrschbar"

"Diffuse Angst" der Unternehmen vor der virtuellen Hauptversammlung

– Herr Dr. Besse, nur wenige Konzerne nutzen bislang die Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung in voller Länge, woher kommt die Zurückhaltung?Corporate Germany ist in dieser Hinsicht konservativ und innovationsscheu. Die Übertragung im Internet von mehr als der Rede des Vorstands ist bislang die Ausnahme. Alle wollen zwar innovativ sein, aber jeder scheut sich davor, der Erste zu sein. Bei den Unternehmen herrscht eine diffuse Angst vor rechtlichen und technischen Risiken. Dabei bietet das Internet eine sehr gute Möglichkeit, mit den einflussreichen Aktionären zu kommunizieren und sie von dem Investment in die Gesellschaft zu überzeugen. Dagegen finden sich in den Präsenzsälen deutscher Hauptversammlungen doch zum großen Teil nur unterhaltungssuchende Rentner und geschäftsmäßige Stimmvertreter.- Wie weit gehen die Möglichkeiten, per Internet direkt abzustimmen?Man kann die Abstimmungen im Saal einer Präsenzhauptversammlung eins zu eins im Internet abbilden. Der Online-Teilnehmer einer Hauptversammlung kann also genauso differenziert, zeitnah und flexibel sein Stimmrecht ausüben wie der Teilnehmer im Saal einer Präsenzhauptversammlung. Entwicklungen und Diskussionen auf der Hauptversammlung können damit in die Entscheidung über die Stimmabgabe mit einbezogen werden. Dienstleister für Hauptversammlungen haben dafür spezielle Softwarelösungen entwickelt.- Welche rechtlichen Probleme können sich dabei für das Unternehmen ergeben?Die rechtlichen Risiken sind beherrschbar und gehen nicht über das hinaus, was den Gesellschaften auch auf einer Präsenzversammlung drohen kann. Der Gesetzgeber hat den Gesellschaften weitestgehend Freiheit bei der Ausgestaltung ihrer Online-Hauptversammlung überlassen. Die Gesellschaft kann sich also entscheiden, ob sie nur die Rede des Vorstands und/oder die Debatte im Internet überträgt, ob sie auch die Online-Stimmabgabe zulässt oder ob sie zusätzlich auch Rede- und Fragerechte der Online-Teilnehmer ermöglicht.- Birgt das Rederecht nicht Risiken ausschweifender Beiträge?Insbesondere die Gewährung eines Rede- und Fragerechts scheint mir ein besonders wichtiger Schritt zu sein, um den Online-Teilnehmern die tatsächliche Partizipation zu ermöglichen. Erst das schafft den Anreiz, sich auch wirklich live dazuzuschalten, und bewirkt ein Gefühl der Teilnahme. In rechtlicher Hinsicht ist die Herausforderung, die Online-Rechteausübung rechtssicher zu gestalten und einem Missbrauch vorzubeugen.- Gibt es Anfechtungsrisiken?Nicht mehr als bei herkömmlichen Präsenzversammlungen. Anfechtungsklagen aufgrund eines Ausfalls der Technik sind bereits per Gesetz ausgeschlossen. Darüber hinaus kann die Gesellschaft für die Online-Teilnehmer das Recht zur Einlegung eines Widerspruchs ausschließen. Es empfiehlt sich auch, dies so vorzusehen. Ansonsten würde die Online-Teilnahme es kritischen Aktionären erleichtern, ohne Aufwand für die Anwesenheit vor Ort, Anfechtungsklagen auf den Weg zu bringen. Anfechtungsklagen durch kritische Aktionäre sind aber seit den Gesetzesänderungen der letzten Jahre, insbesondere dem ARUG (Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie), ohnehin für die Unternehmen nicht mehr das große Problem. Meines Wissens gab es bislang noch keine Klage, in der kritisch auf das Online-Angebot einer Gesellschaft für seine Aktionäre eingegangen wurde.- Gibt es Unternehmen, die ein Online-Rederecht einräumen?Ja, das wird die EquityStory AG als erste deutsche Gesellschaft dieses Jahr zulassen. Als Online-Teilnehmer kann dann jeder Aktionär eine begrenzte Anzahl Fragen oder Redebeiträge in Textform einreichen, und der Vorstand wird die Fragen vor deren Beantwortung in der Hauptversammlung verlesen. Technisch wäre es für die Zukunft sogar denkbar, Aktionäre über eine Videoverbindung live in die Hauptversammlung zu schalten. Da gibt es für das iPad und für Smartphones schon ganz pfiffige Lösungen. Derzeit ist aber die Möglichkeit, Redebeiträge oder Fragen in Textform einzureichen, schon die Spitze der Innovation.—-Dr. Dirk Besse ist Partner im Berliner Büro von Hogan Lovells. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.