Recht und Kapitalmarkt

Eigenkapital auf Abruf

Tranchenweise Ausgabe neuer Aktien unter Emissionsprogrammen - Aber deutsches Recht für tröpfchenweise Ausgabe nicht geschaffen

Eigenkapital auf Abruf

Von Christof von Dryander *) Braucht ein börsennotiertes deutsches Unternehmen Eigenkapital, führt es zumeist eine Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital durch. Eine solche Transaktion bedarf langfristiger Vorbereitung, es sei denn, die Platzierung der neuen Aktien ist prospektfrei möglich. Das ist aber nur dann der Fall, wenn der Emittent bereit ist, hinsichtlich des Umfangs – unter 10 % des Grundkapitals – und des Kreises der Anleger – nur institutionelle Investoren – Einschränkungen zu akzeptieren.Ähnlich gingen Emittenten bis in die neunziger Jahre auch bei der Begebung von Anleihen vor. Seitdem haben sich jedoch Bond-Emissionsprogramme fest am Kapitalmarkt etabliert. Emittenten können darunter kurzfristig durch einzelne Ziehungen Fremdkapital aufnehmen. Sie können einen Basisprospekt verwenden, der alljährlich aktualisiert und bei jeder Emission durch einen Nachtrag ergänzt wird. In den USA verbreitetDiesen Weg nutzen inzwischen auch große börsennotierte Unternehmen in den USA, darunter Ford und Delta Air Lines, zur Ausgabe von Aktien. Derartige Programme erlauben eine flexible Kapitalerhöhung unter Ausnutzung günstiger Marktverhältnisse. Während großvolumige Transaktionen zumeist nur mit hohen Kursabschlägen möglich sind, kann der Emittent unter einem “Equity Distribution Program” Aktien tröpfchenweise zu marktnahen Konditionen ausgeben.Das US-Recht macht dieses Vorgehen einfach. Anders als in Deutschland sehen das Aktienrecht und die Unternehmenssatzungen in den USA grundsätzlich vor, dass die Geschäftsleitung Aktien ohne gesellschaftsrechtliche Zustimmungserfordernisse ausgeben kann. Auch eine Registereintragung ist nicht erforderlich. Die Börsenaufsicht, die SEC, gestattet größeren Emittenten die jederzeitige Ausgabe ohne Vorankündigung auf der Grundlage einer Shelf Registration, die auf den periodischen Kapitalmarktveröffentlichungen aufbaut. Das im US-Wertpapierrecht verankerte “Integrated Disclosure System” hat zu einer weitgehenden Harmonisierung der Offenlegungspflichten im Primär- und Sekundärmarkt geführt. “Seda” kommtÄhnliche Programme haben inzwischen ihren Weg auch nach Deutschland gefunden. Einige börsennotierte Biotech-Unternehmen haben mit ausländischen Fonds “Standby Equity Distribution Agreements” (Seda) abgeschlossen, unter denen sie innerhalb von drei Jahren eine festgelegte Höchstzahl von Aktien ausgeben können. Zu den im Seda vereinbarten Bedingungen gehören Mindest- und Höchstbeträge für einzelne Tranchen, das Verfahren zur Festlegung des Ausgabebetrags der Aktien auf der Grundlage des Börsenkurses während eines Referenzzeitraums (zumeist fünf Handelstage) sowie sonstige bei Kapitalerhöhungen übliche Vereinbarungen (Gewährleistungen, Erfüllungsbedingungen und außerordentliche Kündigungsrechte).Die Fonds sind keine langfristigen Anleger. Es kommt ihnen vielmehr auf die Erzielung von Einnahmen, insbesondere mittels Strukturierungsgebühren und Bereitstellungsgebühren, sowie kurzfristige Veräußerungsgewinne an. Die neuen Aktien werden mit einem Abschlag von bis zu 5 % vom Referenzkurs – z. B. dem volumengewichteten Durchschnittskurs während des Referenzzeitraums – ausgegeben. Die Lieferung erfolgt allerdings erst nach Eintragung der Kapitalerhöhung. Um sein Kursrisiko gering zu halten, möchte der Fonds aber in der Lage sein, die neuen Aktien vorab im Zusammenhang mit der Preisfestlegung im Markt, d. h. über die Börse, zu verkaufen. Zu diesem Zweck kann er einen Grundbestand an Aktien halten oder sich Aktien von einem Großaktionär leihen. Die später gelieferten neuen Aktien dienen der Wiederaufstockung des Bestands oder der Rückführung der Leihe.Das deutsche Aktienrecht ist für die tröpfchenweise Ausgabe von Aktien nicht geschaffen. Der Emittent muss den Ablauf straff organisieren, um die kurzfristige Einholung der Beschlüsse zur Ausnutzung des genehmigten Kapitals (nebst Bezugsrechtsausschluss) sowie der Festsetzung des Ausgabebetrags sicherzustellen. Allein die dafür erforderliche zweimalige Befassung des Aufsichtsrats bzw. zumindest eines Ausschusses des Aufsichtsrats – einmal zur Entscheidung über die Ziehung und zum anderen zur Festlegung des Ausgabebetrags – kann eine hohe Hürde bedeuten. Zudem bedarf die Ausgabe von Tranchen einer engen Abstimmung mit dem Handelsregister, um die zügige Eintragung sicherzustellen. Kein einheitlicher PreisAktienrechtlich ist zudem zu beachten, dass der Ausgabeabschlag gegenüber dem Börsenpreis den zulässigen Umfang nicht überschreitet, dass der Ausgabebetrag nicht zu niedrig ist und dass den vom Emittenten zu zahlenden Gebühren und Kostenerstattungen werthaltige Leistungen des Fonds gegenüberstehen.Auch das Kapitalmarktrecht hat Auswirkungen auf die Strukturierung und Umsetzung von Aktienemissionsprogrammen in Deutschland. Anders als in den USA ist es in Deutschland nicht möglich, einen einheitlichen Prospekt für die kontinuierliche Ausgabe von Aktien über einen längeren Zeitraum zu verwenden.Die europäische Variante der Shelf Registration, ein Basisprospekt mit einjähriger Gültigkeit ergänzt durch Nachträge bei einzelnen Ziehungen, steht für Aktienangebote nicht zur Verfügung. Der Emittent müsste daher für jede Tranche einen neuen Prospekt erstellen und billigen lassen, sofern beabsichtigt wäre, die neuen Aktien ohne Beschränkung öffentlich anzubieten. Es liegt auf der Hand, dass ein derartiges Vorgehen teuer und zeitaufwendig wäre. Das gilt auch dann, wenn der Emittent von der Möglichkeit eines dreiteiligen Prospekts (Registrierungsformular, Wertpapierbeschreibung, Zusammenfassung) Gebrauch machen würde. Ohne öffentliches AngebotAktienemissionsprogramme in Deutschland müssen daher so strukturiert werden, dass kein öffentliches Angebot erfolgt oder eine Ausnahme von der Prospektpflicht eingreift. Der Weiterverkauf der Aktien über die Börse stellt in der Regel kein öffentliches Angebot dar. Auch die Börsenzulassung der neuen Aktien ist prospektfrei möglich, sofern die Ziehungen in einem Jahr 10 % des Grundkapitals nicht erreichen.Daneben stellen sich Fragen zur Markttransparenz. Die Auflegung des Programms dürfte zumeist eine Ad-hoc-Pflicht des Emittenten auslösen. Ob bei einzelnen Ziehungen ebenfalls eine Ad-hoc-Mitteilung erforderlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Ist aufgrund der Struktur des Programms davon auszugehen, dass der Fonds während des Preisfestlegungszeitraums Aktien über die Börse weiterverkauft, so ist dieser Umstand bei der rechtlichen Würdigung zu berücksichtigen. Das Regelwerk und die Praxis zu Aktienrückkaufprogrammen können Hinweise zum Umfang der Transparenzanforderungen geben. Das Leerverkaufsverbot sollte keine Probleme bereiten, sofern der Fonds einen Grundbestand an Aktien hält oder sich Aktien leiht, um sich gegen das Kursrisiko bei Ziehungen abzusichern. Erleichterungen gefragtDer Auftritt von ausländischen Fonds als Partner deutscher Emittenten bei Aktienemissionsprogrammen wirft die Frage auf, ob die von dem Fonds eingegangene Übernahmeverpflichtung als Emissionsgeschäft – “Übernahme von Wertpapieren zur Platzierung” – im Sinne des Kreditwesengesetzes einzustufen ist. Eine vertragliche Platzierungspflicht geht der Fonds jedoch gerade nicht ein. Es steht ihm frei, die Aktien zu halten oder im Markt zu veräußern. Etwaige Kursgewinne stehen ihm zu. Diese Gestaltung spricht gegen die Qualifizierung als Emissionsgeschäft.Aus ihrem Schattendasein würden Aktienemissionsprogramme in Deutschland vermutlich aber nur dann treten, wenn die aktienrechtlichen Anforderungen an kleinvolumige Kapitalerhöhungen weiter erleichtert würden und das Instrument des Basisprospekts auch für die kontinuierliche Ausgabe von Aktien genutzt werden könnte.—-*) Christof von Dryander ist Rechtsanwalt/Attorney-at-Law bei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton.