Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Manuel R. Theisen, Professor für BWL, Corporate Governance und Corporate Law

"Ein Aufsichtsrat muss seinen Mund halten können"

Unternehmenskontrolleure haben für Vertraulichkeit im eigenen Kreis zu sorgen - Für Rederecht in der Hauptversammlung

"Ein Aufsichtsrat muss seinen Mund halten können"

– Herr Prof. Theisen, die Telekom-Bespitzelungsaffäre schlägt Wellen. Was darf die Verwaltung eines Unternehmens veranlassen, um undichte Stellen in den eigenen Reihen ausfindig zu machen?Betrachten wir zunächst den Vorstand. Ein Vorstand muss alles unternehmen, damit Unternehmensgeheimnisse nicht an unbefugte Dritte gelangen. Das gehört zu seinen Vorstandsaufgaben und insbesondere zu seiner haftungsbewehrten Sorgfaltspflicht. Dazu sind alle organisatorischen Mittel nicht nur möglich, sondern auch nötig – natürlich im Rahmen des geltenden Rechts. Es ist nicht ein einziger Rechtsbruch gerechtfertigt. – Der Vorstand ist also zum Handeln gezwungen?Dass der Telekom-Vorstand gehandelt hat, war völlig richtig. Es ist sogar notwendig. Wenn die Führungsriege Kenntnis von undichten Stellen hat – und das war bei der Telekom nach den Medienberichten der Fall – muss er handeln. Aber er darf sich dabei nur legaler Mittel bedienen. Er muss zudem alles tun, um dies nachhaltig abzusichern, also nicht nur undichten Stellen nachgehen, sondern permanent dafür sorgen, dass Informationen auf den Kreis beschränkt bleiben, für den sie bestimmt sind. – Wie sieht es auf der Ebene des Aufsichtsrats aus?Der Aufsichtsrat selber ist nicht für die Vertraulichkeitswahrung im Unternehmen zuständig. Aber er muss die Vertraulichkeit im eigenen Gremium sicherstellen. Dies gilt uneingeschränkt. Es gibt also keine Grenze nach dem Motto: Störung der Persönlichkeit der Aufsichtsräte. Die Vertraulichkeit ist gerade in Überwachungsgremien ein hohes Gut. Es wird immer argumentiert, dass der Aufsichtsrat alles wissen darf. Das ist richtig, er darf alle Informationen bekommen. Dann muss er jedoch auch seinen Mund halten können. Für mich ist unerklärlich, warum Zeitungen fast täglich fröhlich schreiben: “Aus Aufsichtsratskreisen war zu hören.” Damit hat in jedem Einzelfall jemand aus dem Kontrollgremium Rechtsbruch begangen, ganz einfach! – Es scheint aber doch allgemeine Praxis zu sein . . . Ich will ja keine Disteln an die Medien verteilen, aber man muss doch feststellen, dass diese Art von Bruch von Vertraulichkeit einen großen Akzeptanzkreis gefunden hat. Dies aber ist dennoch jedesmal ein Fall zu viel. Aus dem Aufsichtsrat darf keiner nach außen gehen, allenfalls, und dies in wenigen gesetzlich geregelten Fällen, der Vorsitzende. Ein normales Aufsichtsratsmitglied hat niemandem Vertrauliches zu sagen – weder seinen Wählern noch der Zeitung. – Das Gesetz verhängt Aufsichtsräten also den Maulkorb?Ja, das einzelne Aufsichtsratsmitglied darf sich in dieser Funktion überhaupt nicht mit der Presse austauschen. – Auch nicht wenn es um allgemein bekannte Unternehmensstrategien geht?Nicht in der Funktion als Aufsichtsrat. Das Gremium ist ein ganz klares Gruppenorgan. In diesem trägt jeder zwar eine persönliche Haftung für seine ordnungsmäßige Amtsführung, aber er darf sich nicht inhaltlich Dritten gegenüber äußern. Der Einzelne ist nur in diesem Organ handlungsfähig, und für dieses Gremium handelt ausnahmslos der Vorsitzende. – Darf sich der Aufsichtsratsvorsitzende in der Öffentlichkeit äußern?Auch der Chef des Gremiums darf nicht generell an die Presse gehen. Er hat nur wenige Befugnisse, zum Beispiel die Ernennung des Vorstands. Hierzu darf er sich äußern. Das erkennen Sie auch daran, dass der Aufsichtsrat in der Hauptversammlung in der Regel kein Rederecht wahrnimmt. Er ist ein weitgehend stummes Organ. Auch die Arbeitnehmervertreter können in den Betriebsversammlungen nicht damit glänzen, was sie im Aufsichtsrat alles durchgesetzt haben. Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit ist Sache des Vorstands. – Herr Cromme ist bei Siemens aber mit auf Roadshow gegangen . . . Das ist die erste und lehrbuchreife Ausnahme. Er dürfte auch als erstes ordentliches Aufsichtsratsmitglied auf der Hauptversammlung das Wort ergriffen und eine Stellungnahme abgegeben haben. Ich finde es persönlich sogar richtig, dass die Gremienmitglieder reden. Aber in den Aktienrechtskommentaren lesen Sie das so nicht. Dies wird derzeit allerdings heftig unter Juristen diskutiert. Manche meinen, Aufsichtsräte dürften sich nach Abstimmung mit dem Vorstand äußern. Andere argumentieren, dass in den Fällen, in denen ein Aufsichtsrat Stellung nimmt, automatisch der Anschein bestehe, dass diese Äußerung zuvor der Vorstand gebilligt habe. Persönlich aber halte ich ein Rederecht und in einzelnen Fällen in eigener Sache sogar eine Redepflicht einzelner Aufsichtsratsmitglieder vor der Hauptversammlung für geboten. – Welche Maßnahmen muss der Aufsichtsrat nun ergreifen, wenn er geheime Informationen in der Öffentlichkeit wiederfindet?Bei jeder kritischen Information muss die Geheimhaltungsstufe festgelegt werden. Hier sind klare Vorgaben notwendig. Die technischen Möglichkeiten sind begrenzt. Früher hat man versucht, die Papiere nach der Sitzung wieder einzusammeln und einzuschließen, das ist im Computerzeitalter kein taugliches Mittel mehr. – Wie sieht es mit gezielt lancierten Fehlinformationen aus, um schwarze Schafe zu enttarnen?Das wäre sicher kein professionelles Vorgehen. Man darf aus Aufsichtsratsmitgliedern keine Versuchskaninchen machen. – Ist ein Mehr an Vertraulichkeit mit einem geringeren Grad an Information verbunden?Das ist die große Gefahr. Der Aufsichtsratsvorsitzende darf nicht korrespondierend zum Maß der möglichen Gefährdung von Vertraulichkeit die Information in Menge und Breite zurückfahren. Das ist eindeutig kein zulässiges Mittel. – Man hört aber doch oft, dass die Arbeitnehmerbank bei wichtigen Entscheidungen, etwa Übernahmen, erst in letzter Minute eingeweiht wird?Dies ist sicher ein in der Praxis verbreitetes Vorgehen, doch ich halte es für rechtlich wie auch unternehmenspolitisch problematisch. Hier wird ein möglicher Gesetzesverstoß durch einen anderen ersetzt. Dabei rede ich nicht von Themen, die in Ausschüsse delegiert werden dürfen, zum Beispiel Gehaltsverhandlungen mit Vorständen oder die Vorbereitung von Bilanzprüfungen. Bei Aufgaben, die der gesamte Aufsichtsrat hat, ist es nicht erlaubt, wegen eines möglichen Vertraulichkeitsverstoßes im vorauseilenden Gehorsam zum Beispiel nur drei Leute einzuweihen und die anderen im Dunkeln zu halten. Damit könnte u. a. der Aufsichtsratsvorsitzende ein Haftungsproblem bekommen. – Welche rechtlichen Konsequenzen hat ein Aufsichtsrat oder Vorstand bei einem Verstoß gegen die Vertraulichkeit zu tragen?Es gibt für beide Gremien eine Verschwiegenheitspflicht. Ein Verstoß gegen die Vertraulichkeit ist damit ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht. Wenn es ein schwerer Verstoß ist, muss die Abberufung des Gremienmitglieds betrieben werden. Möglicherweise muss ein Aufsichtsratsvorsitzender auf die Niederlegung des Mandats dringen. Auch die Hauptversammlung kann das Vertrauen entziehen oder das Aufsichtsratsmitglied abwählen. Es ist klar geregelt. Jeder, der ein Aufsichtsratsamt antritt, muss für sich entscheiden, ob er Interessenkonflikten aus dem Weg gehen kann. – Ein Aufsichtsrat muss sich also seiner verschiedenen Funktionen bewusst sein?Vor der Annahme des Amtes muss der potenzielle Aufsichtsrat abwägen, ob er bei Interessenkollisionen zu bewusstseinsgespaltenem Handeln in der Lage sein wird. Er muss die Information aus dem Unternehmen trennen können von der Nutzung in einem anderen Umfeld. Prof. Dr. Dr. Manuel R. Theisen ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine BWL an der Ludwig-Maximilians-Universität, München, und Professor für Corporate Governance und Corporate Law an der Privaten Universität Witten/Herdecke. Er ist Herausgeber der Fachinformation “Der Aufsichtsrat” und Fachbuchautor. Das Interview führte Sabine Wadewitz.