ANLAGEPRODUKTE - GASTBEITRAG

Ein neues Kapitel im Wettbewerb um den besten Service

Börsen-Zeitung, 30.6.2011 Bei vielen Emittenten von strukturierten Produkten sind am heutigen Donnerstag nochmals Sonderschichten gefragt. Die letzten Vorbereitungen werden getroffen, damit ab morgen, Freitag, 1. Juli, die Produktinformationsblätter...

Ein neues Kapitel im Wettbewerb um den besten Service

Bei vielen Emittenten von strukturierten Produkten sind am heutigen Donnerstag nochmals Sonderschichten gefragt. Die letzten Vorbereitungen werden getroffen, damit ab morgen, Freitag, 1. Juli, die Produktinformationsblätter (PIB) auf dem Internet zur Verfügung stehen. Seit der Verabschiedung des Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetzes (AnsFuG) im Februar sind knapp fünf Monate vergangen. In dieser Zeit haben die Emittenten einmal mehr ihre Leistungsfähigkeit bewiesen. Insbesondere die Abteilungen für Dokumentation und IT sahen sich zahlreichen neuartigen Fragestellungen gegenüber.Schon Ende 2009 in ähnlicher Form als “Beipackzettel für Finanzprodukte” vorgeschlagen, hat das Kürzel PIB mittlerweile alle Chancen, zum Geldanlage-Wort des Jahres zu werden und eben auch ein neues Kapitel im Wettbewerb der Emittenten von strukturierten Produkten um den besten Anleger-Service zu eröffnen. Letztlich standen die Fülle und die Unterschiede bei den mittlerweile mehr als 700 000 strukturierten Produkten in Deutschland einer zentralen, einheitlichen PIB-Lösung im Wege. Der Deutsche Derivate Verband (DDV) hatte sich unter Berücksichtigung der Intentionen des Zentralen Kreditausschusses (ZKA) frühzeitig auf Mustertexte für die insgesamt elf grundlegenden Produkte der “Derivate-Liga” geeinigt. Dieser gemeinsame Ausgangspunkt stellt sicher, dass die PIB das Ziel des Gesetzgebers – die einfache Vergleichbarkeit von Finanzprodukten – erreichen.Darüber hinaus ergab sich fast zwangsläufig eine Differenzierung im Detail, denn die höhere Komplexität bei strukturierten Produkten im Vergleich zu PIB für Aktien und festverzinsliche Anleihen oder zu Key Investor Information Documents (KIID) für Investmentfonds behinderte eine denkbare, weitergehende Zentralisierung. Selbst kleinere Emittenten bieten mittlerweile mehr als 50 verschiedene Auszahlungsprofile an, und so entwickelten die Dokumentationsabteilungen auf der Grundlage der DDV-Texte eine hauseigene “PIB-Palette” mit einer Vielzahl von Anpassungen an die jeweiligen Spezifika. Da sich eine Rechtspraxis noch entwickeln muss, ist es verständlich, dass die meisten Häuser die Aufträge nicht unabhängigen Dritten übergaben. Der Weg zum eigenen PIB war jedoch auch dadurch vorgezeichnet, dass kaum eine unabhängige Stelle in Deutschland die Produktdaten so komplett sammelt und erfasst, wie sie bei den Emittenten von Natur aus verfügbar sind. Für die Emittenten bedeutete dies zudem, die eigenen IT-Kapazitäten aufzurüsten. Dazu zählt die Schaffung einer Link-Syntax für den vollautomatischen Abruf von PIB durch die Vertriebsstellen, die Vergabe einer Identifikationsnummer für jedes einzelne Dokument und die gesetzlich geforderte Archivierung für zehn Jahre. Statisch versus dynamischUnabhängig davon kristallisieren sich zwei Typen von Produktinformationsblättern heraus: zum einen die dynamischen PIB, die aktuell im Internet als PDF-Datei zu dem Zeitpunkt erstellt werden, zu dem ein Berater oder ein Anleger das Dokument abrufen, und zum anderen die statischen PIB, die zum Zeitpunkt der Emission erstellt werden und anschließend unverändert bleiben. Ein statisches PIB reicht für eine Anlageberatung während einer Zeichnungsphase aus. Für die große Zahl der Kunden, für die die Berater eine Auswahl aus den bereits an der Börse gehandelten Papieren treffen, eignen sich statische Informationen kaum.Der Markt hat sich deshalb bereits in Richtung dynamische PIB entwickelt. Diese PIB enthalten aktuelle Verkaufspreise, darauf basierende Szenarioberechnungen für potenzielle Gewinne und Verluste, eventuell angepasste Basispreise und Bezugsverhältnisse, die sich aufgrund von Kapitalerhöhungen oder dem Rollen in neue Terminkontrakte seit Emission ergeben. Im ungünstigen Fall dokumentieren solche PIB natürlich auch, dass bereits eine Barriere gerissen ist. Dynamische Dokumente bieten den Anlageberatern den Vorteil, allein auf der Basis eines solchen PIB das Kundengespräch führen zu können. Ein zusätzlicher Blick in den Wertpapierprospekt ist dann nur noch für Details zur Funktionsweise, zur Berechnung und zu Risiken notwendig. Die Vertriebsstellen sind allerdings aufgrund der gesetzlich geforderten Haftung für die PIB mit einem neuartigen Umfeld konfrontiert. Zum einen kombinieren die PIB neutrale Informationen mit einer individuellen Rechtsbeziehung zu einem Kunden, zum anderen gibt es derzeit weder Rechtssprechung noch Aufsichtspraxis zur Gesetzeskonformität der PIB.Die Einführung der PIB in Deutschland ist der logische Schritt, dass Anleger Kaufentscheidungen nicht bloß auf der Grundlage von Marketingmaterialien, sondern auch von rechtlich verbindlichen Dokumenten treffen sollten. Die Einführung ist faktisch das Eingeständnis, dass Wertpapierprospekte in ihrer heutigen Form kein Informationsmedium sind, obwohl die EU-Prospektdirektive das Ziel postuliert, alle Inhalte seien “in leicht zu analysierender und verständlicher Form darzulegen”. Schon die European Securities Markets Expert Group (ESME) beklagte im Jahr 2007, dass Investoren Wertpapierprospekte aufgrund ihres großen Umfangs und ihrer hohen Komplexität nicht vor einer Anlageentscheidung zu Rate ziehen.Der Eintritt in die PIB-Welt ist so eine Chance für eine einfache, leicht verständliche, gleichzeitig rechtlich gesicherte Anlegerinformation. Ebenso sollte der Finanzplatz Deutschland die Erfahrungen aus den PIB konsequent bei der Gestaltung der künftigen Schlüsselinformationen nutzen, die die EU ab 2013 europaweit für strukturierte Produkte einführen möchte.