RECHT UND KAPITALMARKT

Ein Schritt nach vorn in Sachen Brexit?

Das Abkommen liegt vor, der politische Rahmen steht - Die Tage des reibungslosen Handels sind gezählt

Ein Schritt nach vorn in Sachen Brexit?

Von John Hammond *)Fast zweieinhalb Jahre nachdem das Vereinigte Königreich in einem Referendum über den Austritt aus der EU abgestimmt hat, ist der Entwurf des Austrittsabkommens endlich veröffentlicht worden. Die Komplexität der Rechtsfragen, die verhandelt und vereinbart werden mussten, und die laufenden internen Debatten im Kreise der britischen Regierung hatten die Erstellung erschwert. Doch das Timing der Veröffentlichung ist ein ausgezeichnetes Beispiel für das, was man in Großbritannien als “Parkinson’s law” versteht: sprich die Arbeit auszudehnen, um die verfügbare Zeit auszufüllen. Großbritannien wird am 29. Märze 2019 um Mitternacht die Europäische Union verlassen, und weil der Entwurf noch die Zustimmung des britischen Unterhauses sowie des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rats benötigt, wurde der umfassende Text nicht einen Tag zu früh veröffentlicht.Mit dem Abkommen sollen die Bedingungen für den EU-Austritt festgezurrt und gleichzeitig ein geregelter und rechtlich bindender Abschied sichergestellt werden. Vorerst keine Rolle spielt darin die Frage nach der künftigen Beziehung zwischen der EU und Großbritannien, auch wenn sich die Situation um Irland wahrscheinlich darauf auswirken wird. Im Kern geht es zunächst um die von der EU festgelegten Ziele zu Beginn der Brexit-Verhandlungen: Bürgerrechte, finanzielle Regelungen und die Grenze zu Nordirland. Sofern der Text angenommen wird, setzt er den Rechtsrahmen für einen schrittweisen Rückzug des Vereinigten Königreichs aus EU-Recht und den EU-Institutionen. Ab dem 29. März 2019 wird das Vereinigte Königreich dann kein EU-Mitglied mehr sein.Während der Übergangszeit allerdings gelten im Vereinigten Königreich nicht nur bestehendes EU-Recht, sondern auch Änderungen, die währenddessen in Kraft treten.Ein Diskussionspunkt ist der sogenannte European Communities Act 1972, welcher dem EU-Recht im Vereinigten Königreich seine Wirkung verleiht. Geht es nach der britischen Regierung, soll er aufgehoben werden – doch um das EU-Recht im eigenen Land während der Übergangszeit weiter umsetzen zu können, muss ein neues Gesetz verabschiedet werden.Außerdem muss jeder Mitgliedstaat eigenständig Gesetzesänderungen vornehmen, um zu garantieren, dass das Vereinigte Königreich weiterhin für alle Zwecke so behandelt wird, als wäre es ein EU-Mitglied geblieben. Geordnete BedingungenBetroffen sind außerdem auch von der EU mit anderen Ländern geschlossene Freihandelsabkommen. Das Vereinigte Königreich ist im Gegensatz zu anderen Vertragsparteien weiterhin an diese Verträge gebunden, sofern die Partner nicht ausdrücklich einer Entbindung zustimmen. Britische Wertschöpfungen können so beispielsweise bei der Berechnung von EU-Inhalten für Ursprungsregeln nicht mehr herangezogen werden.Im Entwurf des Abkommens geht es unter anderem um Aufenthalts- und Arbeitsrechte für EU-Bürger im Vereinigten Königreich und umgekehrt, die Anerkennung von Berufsqualifikationen, die Registrierung von Rechten des geistigen Eigentums und den Schutz personenbezogener Daten. Der allgemeine Ansatz besteht darin, dass Rechte, die während der Übergangszeit erforderlich sind oder Bestand haben, am Ende anerkannt werden. So zum Beispiel geistige Eigentumsrechte wie eine in der EU vor Ablauf der Übergangszeit eingetragene europäische Marke. Sie soll automatisch als britische Marke für dasselbe Zeichen, dieselben Waren oder dieselben Dienstleistungen eingetragen werden, ohne dabei zusätzlichen bürokratischen Aufwand zu schaffen.Auch Berufsqualifikationen von EU-Bürgern, die im Vereinigten Königreich leben und arbeiten, sollen zukünftig den gleichen Stellenwert haben. Ebenso betroffen sind Waren, die sich zum Ende der Übergangszeit im Transit befinden. Warenverkehr, der in diesem Zeitraum beginnt, aber erst nach Ablauf der Übergangszeit abgeschlossen wird, soll weiterhin als eine innergemeinschaftliche Bewegung in Bezug auf die Einfuhr- und Ausfuhrlizenzanforderungen des Unionsrechts behandelt werden. Lieferungen von Waren aus dem Vereinigten Königreich in die EU sollen dann ohne Zollformalitäten oder Zölle abgewickelt werden können.Für ein künftiges Assoziierungs- oder Freihandelsabkommen wird der Text des Austrittsabkommens eine zentrale Rolle spielen. Auf den Entwurf der politischen Rahmenerklärung zur Festlegung der künftigen Beziehungen haben sich beide Parteien in dieser Woche geeinigt. Für die britische Seite bedeutet dies das Ende der Freizügigkeit. EU-Bürger müssen daher auch am Ende der Übergangszeit oder zu einem späteren Zeitpunkt mit Einwanderungskontrollen rechnen.Die britische Dienstleistungsbranche und insbesondere Finanzdienstleistungen werden außerhalb des EU-Rechtssystems angesiedelt und von der Durchführung und Aufrechterhaltung gleichwertiger Bewertungen sowie einer engen und strukturierten Zusammenarbeit in Regulierungs- und Aufsichtsfragen abhängig sein. Zwar ist geplant, den Warenhandel zollfrei zu halten, doch das Vereinigte Königreich wird sich mit Auswirkungen auf bestimmte Vorschriften außerhalb des Binnenmarkts befinden und früher oder später auch außerhalb der Zollunion. Damit wird Großbritannien zu einer völlig von der EU getrennten Regulierungs- und Handelseinheit, bei der auch eine Zollgrenze zur Debatte stehen wird. Die Tage des reibungslosen Handels sind also gezählt.Der Entwurf des Austrittsabkommens sieht vor, dass die Übergangs- und Durchführungsfrist am 31. Dezember 2020 endet, aber durch Zustimmung des Gemeinsamen Ausschusses vor dem 1. Juli 2020 für einen Zeitraum bis zum 31. Dezember des in Frage kommenden Jahres verlängert werden kann. Um Kontinuität und Rechtssicherheit zu gewährleisten, sollte die Übergangszeit ohnehin erst dann enden, wenn alle Einzelheiten vollständig ausgehandelt und von beiden Parteien abgesegnet wurden.Das umfassende Wirtschaftshandelsabkommen mit Kanada ist ein Beispiel für die Schwierigkeiten in einem solchen Prozess. Auch die irische Grenzfrage wird sich auf die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU auswirken. Von Anfang an wurde vereinbart, dass die Wiedereinführung einer Grenze oder einer Grenzinfrastruktur zwischen Nordirland und der Republik Irland nicht in Frage kommt. Das Vereinigte Königreich, einschließlich Nordirland, soll daher auch nach der Übergangszeit in einer Zollunion mit der EU verbleiben, und zwar so lange, bis eine andere Lösung für die Grenzfrage gefunden wurde. Glaubt man der britischen Regierung, so könnten neue Technologien dafür ein probates Mittel sein, doch im Moment ist keine solche Lösung in Sicht.Das Vereinigte Königreich und die EU können also zunächst einmal innerhalb einer gemeinsamen Zollunion handeln. Solange dies der Fall ist, wird Großbritannien nicht in der Lage sein, den Traum von neuen Freihandelsabkommen umzusetzen. Für Klarheit gesorgtAus Unternehmenssicht ist der vorliegende Entwurf zu begrüßen, weil er einen rechtlichen Rahmen für den geregelten Brexit setzt und gleichzeitig die bestehenden Rechte von Unternehmen und Bürgern während der Übergangszeit schützt. Zusammen mit der politischen Erklärung über die künftigen Beziehungen gibt es nun Klarheit über die zukünftige Situation von EU und Großbritannien. Unternehmen sollten daher mit der Wiedereinführung einer Zollgrenze frühestens zum 1. Januar 2021, eher aber zu einem späteren, noch unbestimmbaren Zeitpunkt planen. Die fast sechshundert Seiten des Abkommensentwurfs sind eine deutliche Erinnerung daran, dass – sollte es nicht noch zu Änderungen kommen – der Brexit nun Wirklichkeit wird.—-*) John Hammond ist Partner von CMS Deutschland im Stuttgarter Büro.