RECHT UND KAPITALMARKT

Entwurf für EU-Kaufrecht stößt auf Widerstand

Harmonisierung kann grenzüberschreitenden Handel aus Sicht der Praxis nicht fördern - Regelungslücken

Entwurf für EU-Kaufrecht stößt auf Widerstand

Von Stephan Balthasar *)Die Europäische Kommission hat unlängst einen Entwurf für ein einheitliches europäisches Kaufrecht vorgelegt. Das sogenannte “Gemeinsame Europäische Kaufrecht” soll bei grenzüberschreitenden Warenkäufen zur Anwendung kommen, wenn die Parteien seine Geltung vertraglich vereinbaren. Diese Rechtswahl soll sowohl bei Verträgen zwischen Unternehmern als auch bei Verträgen zwischen Unternehmen und Verbrauchern möglich sein.Das erklärte Ziel der Kommission ist es, Handelshemmnisse abzubauen, die mit dem Nebeneinander verschiedener nationaler Rechtsordnungen und dadurch verursachten Transaktionskosten verbunden sein sollen. Mit dem europäischen Kaufrecht will die Kommission insbesondere den grenzüberschreitenden Fernabsatz stärken. Nicht der große WurfMit ihrem Verordnungsentwurf ist Vizepräsidentin und Justizkommissarin Viviane Reding jedoch nach Einschätzung der betroffenen Marktteilnehmer kein großer Wurf gelungen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Zentralverband des Deutschen Handwerks und der Bundesverband Verbraucherzentrale haben sich in seltener Einmütigkeit gegen die Pläne der EU ausgesprochen.Tatsächlich deuten die von der Kommission selbst erhobenen Statistiken darauf hin, dass die geplante Rechtsvereinheitlichung nicht den erstrebten ökonomischen Nutzen haben könnte. Von rund 7 000 befragten Managern glauben 80 %, dass das gemeinsame Kaufrecht den grenzüberschreitenden Handel überhaupt nicht oder allenfalls leicht stärken wird. Demgegenüber rechnen gerade einmal 10 % der Befragten mit einer großen Steigerung. Dieser Befund gilt sowohl für Geschäfte zwischen Unternehmern als auch für Geschäfte zwischen Unternehmern und Verbrauchern.Die Befürchtungen aus der Praxis sind Ausdruck einer unterschiedlichen Einschätzung der aktuellen Marktsituation. So nimmt die Kommission an, dass das aktuell uneinheitliche System zu hohen oder gar abschreckenden Kosten beim Markteintritt führt. Dieser erfordere derzeit vor Beginn oder Ausweitung der unternehmerischen Tätigkeit in einem ausländischen Markt eine kostspielige rechtliche Beratung. Gerade kleinere und mittlere Unternehmen sähen sich daher häufig daran gehindert, ihre Leistungen auch außerhalb ihres Heimatstaats anzubieten.Kritiker allerdings bezweifeln, dass kleine und mittlere Unternehmen, auf die der Entwurf vor allem abzielt, stets anwaltlichen Rechtsrat zum Vertragsrecht suchen. So werde sich ein deutscher Einzelhändler vor Beginn seiner unternehmerischen Tätigkeit keineswegs in jedem Fall zum deutschen Kaufrecht beraten lassen. Es bestehe kein Anhaltspunkt, warum dies für den Fall einer grenzüberschreitenden Entwicklung des Geschäfts anders sein sollte.Vor allem aber bestehen Zweifel an der Annahme der Kommission, dass Transaktionskosten in Form von Rechtsberatungskosten in erster Linie bei Beratung vor einem Markteintritt anfallen. Tatsächlich entstehen sie auch – und vielleicht sogar überwiegend – bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten nach dem Markteintritt bzw. nach Abschluss eines Geschäfts. Gerade in solchen Fällen wäre das gemeinsame europäische Kaufrecht keine Hilfe. Bei grenzüberschreitenden Fernabsatzgeschäften, die das gemeinsame europäische Kaufrecht fördern will, wird ein eventueller Rechtsstreit mit einem Verbraucher in der Regel an dessen Wohnsitz geführt – aus Sicht des Unternehmers also in einem ausländischen Rechtssystem mit einer fremden Prozessordnung, mit fremden Rechtsanwälten und in einer fremden Sprache. Die damit verbundenen – erheblichen – Transaktionskosten kann auch das gemeinsame europäische Kaufrecht nicht verhindern. Das gilt nicht nur für Verbraucherverträge, sondern auch im Rechtsverkehr zwischen Unternehmern, von denen sich im Falle eines grenzüberschreitenden Rechtsstreits mindestens einer auf fremdes Prozessrecht, fremde Anwälte und häufig auch eine fremde Sprache einstellen muss.Problematisch ist im Hinblick auf die bezweckte Harmonisierung auch, dass das gemeinsame Kaufrecht nicht alle materiellrechtlichen Fragen abdeckt. Soweit es an einer vereinheitlichten Regelung fehlt, soll subsidiär immer nationales – also unvereinheitlichtes – Recht zur Anwendung kommen. Überspitzt formuliert schafft der Vorschlag der Kommission also überhaupt kein einheitliches Recht, sondern schafft in Wahrheit 27 neue Rechtsordnungen, die jeweils aus einer Mischung von europäischem Recht mit jeweiligem nationalen Recht bestehen. Dass damit geringere Kosten für Rechtsberatung und Vorteile für Unternehmen und Verbraucher einhergehen, erscheint fernliegend.Zu den genannten Problemen kommt hinzu, dass die von der Kommission vorgeschlagene Ausgestaltung des einheitlichen Kaufrechts für Unternehmer unattraktiv ist. So übernimmt der Entwurf die in Deutschland bekannte Regelung, wonach auch im unternehmerischen Rechtsverkehr eine gerichtliche Kontrolle der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (ABG) stattfindet – ein deutscher Sonderweg, der aus unternehmerischer Sicht immer wieder kritisiert wird und im europäischen Ausland häufig auf Unverständnis stößt.Auch sieht das europäische Kaufrecht für Verbrauchergeschäfte kein Recht des Unternehmers auf Nacherfüllung vor. Mit dieser Lösung setzt sich die Kommission nicht nur in Widerspruch zu ihrer eigenen Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Vielmehr wirkt sich der Wegfall des Nacherfüllungsrechts im Regelfall umsatz- und ergebnismindernd aus. Man darf bezweifeln, dass Unternehmer diese Nachteile für das vermeintliche Mehr an Rechtssicherheit in Kauf nehmen werden. Denn mit einer Reihe von Regelungen im Verordnungsentwurf ist praktisch programmiert, dass es die für Unternehmen im Prinzip wünschenswerte Rechtsvereinfachung und Rechtssicherheit nicht geben wird.Schon der Rechtswahlmechanismus ist im Verhältnis zu Verbrauchern mit vielen “Fallstricken” versehen, sodass häufig zweifelhaft bleiben wird, welches Recht zur Anwendung kommt. Abgesehen davon operiert der Kommissionsentwurf mit zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffen wie “Treu und Glauben”, “angemessen”, “vernünftig” oder “unfair”. Solche Begriffe werden nicht durch den Gesetzgeber, sondern erst durch den Rechtsanwender – insbesondere die Gerichte – überhaupt mit Inhalt und Leben gefüllt.Bei diesem Prozess kommen unweigerlich die Rechtskultur, die Ausbildung und der juristische Hintergrund des jeweiligen Rechtsanwenders zum Tragen. Ein englischer Richter wird unweigerlich ein anderes Verständnis solcher Begriffe entwickeln als ein französischer, dessen Ansichten sich wieder von denen eines deutschen Kollegen unterscheiden. Selbst in dem ohnehin begrenzten Anwendungsbereich des einheitlichen Kaufrechts dürfte wirkliche Rechtsvereinheitlichung eine Illusion sein.Daran wird auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) schwerlich etwas ändern können. Er ist personell nicht mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet, um eine einheitliche Anwendung eines europäischen Vertragsrechts gewährleisten zu können. Zudem fehlt es an einem Rechtsbehelf, mit dem Parteien eines Rechtsstreits die Anrufung des EuGH erzwingen könnten. Überdies mag man bezweifeln, ob ein zusätzlicher Instanzenzug zum EuGH, der unweigerlich mit Zeit und Kosten verbunden wäre, wünschenswert ist. Placebo-WirkungIm Ergebnis drängt sich die Befürchtung auf, dass das Vorhaben der Kommission die Wirkung eines Placebos haben wird – freilich mit gravierenden Nebenfolgen: Mit der geplanten Gesetzgebung ginge eine erhebliche Verschiebung von Kompetenzen und Zuständigkeiten einher, weg von nationalen Parlamenten hin zur Europäischen Kommission. Letztlich wird ein Präzedenzfall geschaffen, auf dessen Grundlage umfassende Privatrechtsgesetzgebung aus Brüssel zur Selbstverständlichkeit wird. Folgt man der Kommission im Ansatz, kann im Namen des Binnenmarkts letztlich das gesamte nationale Privatrecht von Brüssel aus vereinheitlicht werden. Diese Nebenwirkungen sind bedenklich und erklären, warum das Vorhaben der Kommission bislang nicht auf breite Akzeptanz gestoßen ist.—-*) Dr. Stephan Balthasar ist Rechtsanwalt bei Linklaters.